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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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Erregung einer Netzhautstelle eine Function der gleichzeitigen
Beleuchtung der übrigen Netzhaut oder wenigstens der Nach-
barstellen sei. Hienach würde uns der graue Streifen auf weißem
Grunde deshalb dunkler erscheinen, als auf schwarzem Grunde,
weil die Erregbarkeit der entsprechenden Netzhautstelle durch
gleichzeitige starke Beleuchtung ihrer Umgebung herabgesetzt wird.

Eine eigentliche Erklärung ist damit zwar nicht gegeben,
aber die Ursache der Contrastwirkung wird durch diese Auffas-
sung wenigstens auf physiologischen Boden verlegt und mit an-
deren Thatsachen der Physiologie in Analogie gebracht.

Dem entsprechend drückte J. K. Becker1) das Gesetz der
Contrastwirkung folgendermaßen aus: "Irgend ein Theil der
Netzhaut ist für neue Lichteindrücke empfänglicher, wenn die
Umgebung nur schwache Lichteindrücke empfängt, als wenn sie
stärkere empfangen würde." Mach hingegen nimmt nicht eine
Hemmung der Erregbarkeit an, sondern eine Hemmung des Ab-
flusses der Erregung in's Sensorium. Er sagt nämlich2): "Es ist
nicht unwahrscheinlich, daß von der Erregung einer Netzhaut-
stelle desto mehr oder weniger in das Sensorium abfließen
könne, je weniger, beziehungsweise mehr, die ganze Netzhaut
erregt ist."

"Die Erregungen zweier Stellen versperren sich sozusagen
gegenseitig den Abfluß in's Sensorium."

Das Wesentliche dieser Bemerkungen Becker's und Mach's
scheint mir jedoch lediglich darin zu liegen, daß sie nach einer
physiologischen Erklärung suchen. Im Übrigen kann ich weder
der einen noch der andern Auffassung ganz beipflichten.

§. 12.
Der simultane Contrast als negative Lichtinduction.

Erinnern wir uns desjenigen, was ich in meiner ersten Mit-
theilung über die successive Lichtinduction vorgebracht habe, so
ergibt sich eine interessante Beziehung zwischen dieser und dem
simultanen Contraste.

1) Poggendorff, Annal. d. Physik. Ergänzungsbd. V. S. 305.
2) Mach, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 57. Bd. 1868. S. 11.

Erregung einer Netzhautstelle eine Function der gleichzeitigen
Beleuchtung der übrigen Netzhaut oder wenigstens der Nach-
barstellen sei. Hienach würde uns der graue Streifen auf weißem
Grunde deshalb dunkler erscheinen, als auf schwarzem Grunde,
weil die Erregbarkeit der entsprechenden Netzhautstelle durch
gleichzeitige starke Beleuchtung ihrer Umgebung herabgesetzt wird.

Eine eigentliche Erklärung ist damit zwar nicht gegeben,
aber die Ursache der Contrastwirkung wird durch diese Auffas-
sung wenigstens auf physiologischen Boden verlegt und mit an-
deren Thatsachen der Physiologie in Analogie gebracht.

Dem entsprechend drückte J. K. Becker1) das Gesetz der
Contrastwirkung folgendermaßen aus: „Irgend ein Theil der
Netzhaut ist für neue Lichteindrücke empfänglicher, wenn die
Umgebung nur schwache Lichteindrücke empfängt, als wenn sie
stärkere empfangen würde.“ Mach hingegen nimmt nicht eine
Hemmung der Erregbarkeit an, sondern eine Hemmung des Ab-
flusses der Erregung in’s Sensorium. Er sagt nämlich2): „Es ist
nicht unwahrscheinlich, daß von der Erregung einer Netzhaut-
stelle desto mehr oder weniger in das Sensorium abfließen
könne, je weniger, beziehungsweise mehr, die ganze Netzhaut
erregt ist.“

„Die Erregungen zweier Stellen versperren sich sozusagen
gegenseitig den Abfluß in’s Sensorium.“

Das Wesentliche dieser Bemerkungen Becker’s und Mach’s
scheint mir jedoch lediglich darin zu liegen, daß sie nach einer
physiologischen Erklärung suchen. Im Übrigen kann ich weder
der einen noch der andern Auffassung ganz beipflichten.

§. 12.
Der simultane Contrast als negative Lichtinduction.

Erinnern wir uns desjenigen, was ich in meiner ersten Mit-
theilung über die successive Lichtinduction vorgebracht habe, so
ergibt sich eine interessante Beziehung zwischen dieser und dem
simultanen Contraste.

1) Poggendorff, Annal. d. Physik. Ergänzungsbd. V. S. 305.
2) Mach, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 57. Bd. 1868. S. 11.
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[30/0038] Erregung einer Netzhautstelle eine Function der gleichzeitigen Beleuchtung der übrigen Netzhaut oder wenigstens der Nach- barstellen sei. Hienach würde uns der graue Streifen auf weißem Grunde deshalb dunkler erscheinen, als auf schwarzem Grunde, weil die Erregbarkeit der entsprechenden Netzhautstelle durch gleichzeitige starke Beleuchtung ihrer Umgebung herabgesetzt wird. Eine eigentliche Erklärung ist damit zwar nicht gegeben, aber die Ursache der Contrastwirkung wird durch diese Auffas- sung wenigstens auf physiologischen Boden verlegt und mit an- deren Thatsachen der Physiologie in Analogie gebracht. Dem entsprechend drückte J. K. Becker 1) das Gesetz der Contrastwirkung folgendermaßen aus: „Irgend ein Theil der Netzhaut ist für neue Lichteindrücke empfänglicher, wenn die Umgebung nur schwache Lichteindrücke empfängt, als wenn sie stärkere empfangen würde.“ Mach hingegen nimmt nicht eine Hemmung der Erregbarkeit an, sondern eine Hemmung des Ab- flusses der Erregung in’s Sensorium. Er sagt nämlich 2): „Es ist nicht unwahrscheinlich, daß von der Erregung einer Netzhaut- stelle desto mehr oder weniger in das Sensorium abfließen könne, je weniger, beziehungsweise mehr, die ganze Netzhaut erregt ist.“ „Die Erregungen zweier Stellen versperren sich sozusagen gegenseitig den Abfluß in’s Sensorium.“ Das Wesentliche dieser Bemerkungen Becker’s und Mach’s scheint mir jedoch lediglich darin zu liegen, daß sie nach einer physiologischen Erklärung suchen. Im Übrigen kann ich weder der einen noch der andern Auffassung ganz beipflichten. §. 12. Der simultane Contrast als negative Lichtinduction. Erinnern wir uns desjenigen, was ich in meiner ersten Mit- theilung über die successive Lichtinduction vorgebracht habe, so ergibt sich eine interessante Beziehung zwischen dieser und dem simultanen Contraste. 1) Poggendorff, Annal. d. Physik. Ergänzungsbd. V. S. 305. 2) Mach, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. 57. Bd. 1868. S. 11.

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/38>, abgerufen am 19.03.2024.