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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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zu haben meint, trifft in noch höherem Maße die Plateau'sche
Theorie.

Nach Plateau kehrt die durch äußere Reize "aus ihrem
Normalzustande gerissene und plötzlich sich selbst überlassene
Netzhaut gleich einer Feder durch eine Oscillationsbewegung in
ihren Normalzustand zurück, so daß der Eindruck wechselweise
in die beiden entgegengesetzten Zustände übergeht." 1) Als solche
entgegengesetzte Zustände sieht er Weiß und Schwarz, sowie je
zwei complementäre Farben an, sonderbarerweise aber so, daß
zwar Schwarz als negativer Zustand dem Weiß als positivem
entgegengestellt wird, eine und dieselbe Farbe aber bald als
positiver bald als negativer Zustand aufgefaßt wird, je nachdem
sie objectiven oder rein subjectiven Ursprungs ist. Das abwech-
selnde Verschwinden und Wiedererscheinen der Nachbilder im
verdunkelten Auge, sowie die Contrast- und Inductionserschei-
nungen, welche letztere er von der physikalischen Irradiation
nicht streng scheidet, bildeten die Ausgangspunkte seiner Theorie.

Abgesehen davon, daß die ganze Theorie im günstigsten
Falle nur auf ein zutreffendes Bild, nicht aber auf eine eigent-
liche Erklärung hinauslaufen würde, ist es nicht einmal zutref-
fend, daß die "Oscillationen" immer um den Normalzustand
(dies wäre mein mittles Grau) erfolgen. Ferner läßt Plateau
aus zwei complementären Farben bald Weiß bald Schwarz ent-
stehen, je nachdem sie objectiv oder subjectiv sind. Er stützt sich
dabei lediglich auf einen Versuch, aus welchem man, wie schon
Fechner angab, wenn man ihn etwas abändert, ebenso gut das
Gegentheil von dem beweisen kann, was Plateau damit be-
weisen wollte. Plateau's Behauptung, daß zwei complementäre
Farben, je nachdem sie objectiv oder subjectiv sind, Weiß oder
Schwarz erzeugen können, ist ebenso willkürlich und paradox,
wie die Behauptung von Helmholtz, daß ein und derselbe
Zustand einer Stelle des Sehorganes bald weiß bald schwarz
wahrgenommen werden kann, je nachdem die Umgebung der
Stelle dunkler oder heller erscheint, als die letztere selbst.

Analog der zeitlich ausgebreiteten, nahm Plateau auch
räumlich ausgebreitete Oscillationen der Netzhaut an. Hierbei

1) Über das Phänomen der zufälligen Farben. Poggendorff (Annal.
d. Physik 32. Bd. 1834, S. 543).

zu haben meint, trifft in noch höherem Maße die Plateau’sche
Theorie.

Nach Plateau kehrt die durch äußere Reize „aus ihrem
Normalzustande gerissene und plötzlich sich selbst überlassene
Netzhaut gleich einer Feder durch eine Oscillationsbewegung in
ihren Normalzustand zurück, so daß der Eindruck wechselweise
in die beiden entgegengesetzten Zustände übergeht.“ 1) Als solche
entgegengesetzte Zustände sieht er Weiß und Schwarz, sowie je
zwei complementäre Farben an, sonderbarerweise aber so, daß
zwar Schwarz als negativer Zustand dem Weiß als positivem
entgegengestellt wird, eine und dieselbe Farbe aber bald als
positiver bald als negativer Zustand aufgefaßt wird, je nachdem
sie objectiven oder rein subjectiven Ursprungs ist. Das abwech-
selnde Verschwinden und Wiedererscheinen der Nachbilder im
verdunkelten Auge, sowie die Contrast- und Inductionserschei-
nungen, welche letztere er von der physikalischen Irradiation
nicht streng scheidet, bildeten die Ausgangspunkte seiner Theorie.

Abgesehen davon, daß die ganze Theorie im günstigsten
Falle nur auf ein zutreffendes Bild, nicht aber auf eine eigent-
liche Erklärung hinauslaufen würde, ist es nicht einmal zutref-
fend, daß die „Oscillationen“ immer um den Normalzustand
(dies wäre mein mittles Grau) erfolgen. Ferner läßt Plateau
aus zwei complementären Farben bald Weiß bald Schwarz ent-
stehen, je nachdem sie objectiv oder subjectiv sind. Er stützt sich
dabei lediglich auf einen Versuch, aus welchem man, wie schon
Fechner angab, wenn man ihn etwas abändert, ebenso gut das
Gegentheil von dem beweisen kann, was Plateau damit be-
weisen wollte. Plateau’s Behauptung, daß zwei complementäre
Farben, je nachdem sie objectiv oder subjectiv sind, Weiß oder
Schwarz erzeugen können, ist ebenso willkürlich und paradox,
wie die Behauptung von Helmholtz, daß ein und derselbe
Zustand einer Stelle des Sehorganes bald weiß bald schwarz
wahrgenommen werden kann, je nachdem die Umgebung der
Stelle dunkler oder heller erscheint, als die letztere selbst.

Analog der zeitlich ausgebreiteten, nahm Plateau auch
räumlich ausgebreitete Oscillationen der Netzhaut an. Hierbei

1) Über das Phänomen der zufälligen Farben. Poggendorff (Annal.
d. Physik 32. Bd. 1834, S. 543).
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[104/0112] zu haben meint, trifft in noch höherem Maße die Plateau’sche Theorie. Nach Plateau kehrt die durch äußere Reize „aus ihrem Normalzustande gerissene und plötzlich sich selbst überlassene Netzhaut gleich einer Feder durch eine Oscillationsbewegung in ihren Normalzustand zurück, so daß der Eindruck wechselweise in die beiden entgegengesetzten Zustände übergeht.“ 1) Als solche entgegengesetzte Zustände sieht er Weiß und Schwarz, sowie je zwei complementäre Farben an, sonderbarerweise aber so, daß zwar Schwarz als negativer Zustand dem Weiß als positivem entgegengestellt wird, eine und dieselbe Farbe aber bald als positiver bald als negativer Zustand aufgefaßt wird, je nachdem sie objectiven oder rein subjectiven Ursprungs ist. Das abwech- selnde Verschwinden und Wiedererscheinen der Nachbilder im verdunkelten Auge, sowie die Contrast- und Inductionserschei- nungen, welche letztere er von der physikalischen Irradiation nicht streng scheidet, bildeten die Ausgangspunkte seiner Theorie. Abgesehen davon, daß die ganze Theorie im günstigsten Falle nur auf ein zutreffendes Bild, nicht aber auf eine eigent- liche Erklärung hinauslaufen würde, ist es nicht einmal zutref- fend, daß die „Oscillationen“ immer um den Normalzustand (dies wäre mein mittles Grau) erfolgen. Ferner läßt Plateau aus zwei complementären Farben bald Weiß bald Schwarz ent- stehen, je nachdem sie objectiv oder subjectiv sind. Er stützt sich dabei lediglich auf einen Versuch, aus welchem man, wie schon Fechner angab, wenn man ihn etwas abändert, ebenso gut das Gegentheil von dem beweisen kann, was Plateau damit be- weisen wollte. Plateau’s Behauptung, daß zwei complementäre Farben, je nachdem sie objectiv oder subjectiv sind, Weiß oder Schwarz erzeugen können, ist ebenso willkürlich und paradox, wie die Behauptung von Helmholtz, daß ein und derselbe Zustand einer Stelle des Sehorganes bald weiß bald schwarz wahrgenommen werden kann, je nachdem die Umgebung der Stelle dunkler oder heller erscheint, als die letztere selbst. Analog der zeitlich ausgebreiteten, nahm Plateau auch räumlich ausgebreitete Oscillationen der Netzhaut an. Hierbei 1) Über das Phänomen der zufälligen Farben. Poggendorff (Annal. d. Physik 32. Bd. 1834, S. 543).

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/112>, abgerufen am 29.03.2024.