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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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die Freude an seiner schönen Welt verdirbt. -- Das
war immer der letzte Gedanke, der ihr kam, wenn
ein unsicheres Gefühl gegen ihren Entschluß laut
werden wollte.

Im Nebenzimmer, das nur durch eine dünne
Wand von Marlenens Kammer getrennt war, saßen
der Pfarrer und die Pfarrerin beisammen. Clemens
zögerte noch draußen unter den Bäumen herum und
konnte sich von Gebirg und Sternen und der ge¬
dämpften Musik des Wassers nicht trennen.

"Es ängstigt mich," sagte die Pfarrerin, "daß
Marlene so verkommt und verkümmert. -- Der ge¬
ringste Anlaß erschüttert sie und das wird sie bald
aufreiben. Wenn du einmal mit ihr reden wolltest,
daß sie sich das Unabänderliche nicht so quälend zu
Herzen nehmen möchte!"

"Ich fürchte nur, ich werde nichts ausrichten."
erwiederte der Pfarrer. "Hat nicht ihre Erziehung
und die Liebe ihrer Eltern und unser täglicher Um¬
gang zu ihr geredet, so vermag Menschenwort nichts
mehr. Hätte sie Demuth gegen Gott gelernt, so er¬
trüge sie seine Fügung, die ihr noch so viel gelassen
hat, mit Dank, statt mit Murren."

"Er hat ihr aber viel genommen."

"Ja wohl; aber nicht Alles für immer. Das ist
meine Hoffnung und mein Gebet. -- Die Kraft zu
lieben und gegen die Liebe zu Gott und Menschen

die Freude an ſeiner ſchönen Welt verdirbt. — Das
war immer der letzte Gedanke, der ihr kam, wenn
ein unſicheres Gefühl gegen ihren Entſchluß laut
werden wollte.

Im Nebenzimmer, das nur durch eine dünne
Wand von Marlenens Kammer getrennt war, ſaßen
der Pfarrer und die Pfarrerin beiſammen. Clemens
zögerte noch draußen unter den Bäumen herum und
konnte ſich von Gebirg und Sternen und der ge¬
dämpften Muſik des Waſſers nicht trennen.

„Es ängſtigt mich,“ ſagte die Pfarrerin, „daß
Marlene ſo verkommt und verkümmert. — Der ge¬
ringſte Anlaß erſchüttert ſie und das wird ſie bald
aufreiben. Wenn du einmal mit ihr reden wollteſt,
daß ſie ſich das Unabänderliche nicht ſo quälend zu
Herzen nehmen möchte!“

„Ich fürchte nur, ich werde nichts ausrichten.“
erwiederte der Pfarrer. „Hat nicht ihre Erziehung
und die Liebe ihrer Eltern und unſer täglicher Um¬
gang zu ihr geredet, ſo vermag Menſchenwort nichts
mehr. Hätte ſie Demuth gegen Gott gelernt, ſo er¬
trüge ſie ſeine Fügung, die ihr noch ſo viel gelaſſen
hat, mit Dank, ſtatt mit Murren.“

„Er hat ihr aber viel genommen.“

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meine Hoffnung und mein Gebet. — Die Kraft zu
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[32/0044] die Freude an ſeiner ſchönen Welt verdirbt. — Das war immer der letzte Gedanke, der ihr kam, wenn ein unſicheres Gefühl gegen ihren Entſchluß laut werden wollte. Im Nebenzimmer, das nur durch eine dünne Wand von Marlenens Kammer getrennt war, ſaßen der Pfarrer und die Pfarrerin beiſammen. Clemens zögerte noch draußen unter den Bäumen herum und konnte ſich von Gebirg und Sternen und der ge¬ dämpften Muſik des Waſſers nicht trennen. „Es ängſtigt mich,“ ſagte die Pfarrerin, „daß Marlene ſo verkommt und verkümmert. — Der ge¬ ringſte Anlaß erſchüttert ſie und das wird ſie bald aufreiben. Wenn du einmal mit ihr reden wollteſt, daß ſie ſich das Unabänderliche nicht ſo quälend zu Herzen nehmen möchte!“ „Ich fürchte nur, ich werde nichts ausrichten.“ erwiederte der Pfarrer. „Hat nicht ihre Erziehung und die Liebe ihrer Eltern und unſer täglicher Um¬ gang zu ihr geredet, ſo vermag Menſchenwort nichts mehr. Hätte ſie Demuth gegen Gott gelernt, ſo er¬ trüge ſie ſeine Fügung, die ihr noch ſo viel gelaſſen hat, mit Dank, ſtatt mit Murren.“ „Er hat ihr aber viel genommen.“ „Ja wohl; aber nicht Alles für immer. Das iſt meine Hoffnung und mein Gebet. — Die Kraft zu lieben und gegen die Liebe zu Gott und Menſchen

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/44>, abgerufen am 16.04.2024.