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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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bat ihm sterbend ab, und er ihr, und alle,
die Messer und Scheer verschlossen hatten,
verlangten ihren Segen. --

Vergib mir, sagte sie zu ihrem Manne,
es wird dir alles im Himmel gelohnt werden.
Am Grab' endet sich alles Elend, aller Kum-
mer. -- Dort wird das Buch meines Schick-
sals aufgethan, damit ich les' und verstehe,
was hier kein weiser Mann zu erklären wuß-
te. Alle Finsterniß wird dort Licht seyn. O!
wie froh werd ich seyn, den Zusammenhang
meines Lebens kennen zu lernen. -- Ihr
Mann rang die Hände, und wenn sie ihm
abbat, weint' er bitterlich. -- Ehe sie ihr
edles Auge schloß, sah sie sich rund herum.
Bey ihrem Manne ließ sie das Auge etwas
ruhen, und nachdem sie diesen Lauf vollen-
det, sah sie gen Himmel und ihr Auge schloß
sich, als wenn man müd' ist, von selbst. Es
durfte nicht zugedrückt werden. -- Sie ent-
schlief. -- Wahrlich! wahrlich! sie starb in
einer seligen Stunde. -- Ihr Liebling, der
Sohn unsers Bekannten, spielt' oft auf
ihrem Grabe, das kein Kraut des Fluchens,
Dornen und Disteln, entehrte, obgleich es
rund herum stand. Es schien, als ob Dor-
nen und Disteln Achtung für das Grab un-

serer

bat ihm ſterbend ab, und er ihr, und alle,
die Meſſer und Scheer verſchloſſen hatten,
verlangten ihren Segen. —

Vergib mir, ſagte ſie zu ihrem Manne,
es wird dir alles im Himmel gelohnt werden.
Am Grab’ endet ſich alles Elend, aller Kum-
mer. — Dort wird das Buch meines Schick-
ſals aufgethan, damit ich leſ’ und verſtehe,
was hier kein weiſer Mann zu erklaͤren wuß-
te. Alle Finſterniß wird dort Licht ſeyn. O!
wie froh werd ich ſeyn, den Zuſammenhang
meines Lebens kennen zu lernen. — Ihr
Mann rang die Haͤnde, und wenn ſie ihm
abbat, weint’ er bitterlich. — Ehe ſie ihr
edles Auge ſchloß, ſah ſie ſich rund herum.
Bey ihrem Manne ließ ſie das Auge etwas
ruhen, und nachdem ſie dieſen Lauf vollen-
det, ſah ſie gen Himmel und ihr Auge ſchloß
ſich, als wenn man muͤd’ iſt, von ſelbſt. Es
durfte nicht zugedruͤckt werden. — Sie ent-
ſchlief. — Wahrlich! wahrlich! ſie ſtarb in
einer ſeligen Stunde. — Ihr Liebling, der
Sohn unſers Bekannten, ſpielt’ oft auf
ihrem Grabe, das kein Kraut des Fluchens,
Dornen und Diſteln, entehrte, obgleich es
rund herum ſtand. Es ſchien, als ob Dor-
nen und Diſteln Achtung fuͤr das Grab un-

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[96/0102] bat ihm ſterbend ab, und er ihr, und alle, die Meſſer und Scheer verſchloſſen hatten, verlangten ihren Segen. — Vergib mir, ſagte ſie zu ihrem Manne, es wird dir alles im Himmel gelohnt werden. Am Grab’ endet ſich alles Elend, aller Kum- mer. — Dort wird das Buch meines Schick- ſals aufgethan, damit ich leſ’ und verſtehe, was hier kein weiſer Mann zu erklaͤren wuß- te. Alle Finſterniß wird dort Licht ſeyn. O! wie froh werd ich ſeyn, den Zuſammenhang meines Lebens kennen zu lernen. — Ihr Mann rang die Haͤnde, und wenn ſie ihm abbat, weint’ er bitterlich. — Ehe ſie ihr edles Auge ſchloß, ſah ſie ſich rund herum. Bey ihrem Manne ließ ſie das Auge etwas ruhen, und nachdem ſie dieſen Lauf vollen- det, ſah ſie gen Himmel und ihr Auge ſchloß ſich, als wenn man muͤd’ iſt, von ſelbſt. Es durfte nicht zugedruͤckt werden. — Sie ent- ſchlief. — Wahrlich! wahrlich! ſie ſtarb in einer ſeligen Stunde. — Ihr Liebling, der Sohn unſers Bekannten, ſpielt’ oft auf ihrem Grabe, das kein Kraut des Fluchens, Dornen und Diſteln, entehrte, obgleich es rund herum ſtand. Es ſchien, als ob Dor- nen und Diſteln Achtung fuͤr das Grab un- ſerer

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/102>, abgerufen am 25.04.2024.