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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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ist es oft begegnet, daß das alles, was mir
von der Lieb' ahndete, auf ein Haar eintraf,
und dies bestätigte meine Idee, daß eine un-
sichtbare Hand mit meiner Liebe sey, so wie
sie's mit jeder reinen Lieb' ist. --

Benjamin hatt' einen verstelten Auftrag
an seinen Vater, der unaufhaltsam böse
war, daß sich Benjamin unterstanden, ihn
hier aufzusuchen. Es fiel ihm gar nicht ein,
daß das Schneiderhandwerk für den Sohn
eines Litteratus noch das allerschicklichste
sey, daß Gott der Herr selbst nach dem be-
trübten Sündenfall dieses geschenkte Hand-
werk eingesetzet, und die ersten Röcke verfer-
tiget, daß sein Sohn auf Prima säße, und
künftige Ostern Student werden würde.
Noch böser würde der alte Herr gewesen seyn,
wenn Benjamin nicht sein Ehrenkleid ange-
legt, und die Haar' in Verse gezwungen
hätte; so nannte meine Mutter die damalige
Art in Curland, Locken im eigentlichsten
Sinn -- anzunehen. Dem Benjamin war
diese Frisur die natürlichste.

Während der Zeit, daß der alte Herr
dem Benjamin seine Herausnahme, ihn
hier aufzusuchen, verwieß, winkte Darius
seinem Freunde Alexander, daß er aus ei-

ner
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iſt es oft begegnet, daß das alles, was mir
von der Lieb’ ahndete, auf ein Haar eintraf,
und dies beſtaͤtigte meine Idee, daß eine un-
ſichtbare Hand mit meiner Liebe ſey, ſo wie
ſie’s mit jeder reinen Lieb’ iſt. —

Benjamin hatt’ einen verſtelten Auftrag
an ſeinen Vater, der unaufhaltſam boͤſe
war, daß ſich Benjamin unterſtanden, ihn
hier aufzuſuchen. Es fiel ihm gar nicht ein,
daß das Schneiderhandwerk fuͤr den Sohn
eines Litteratus noch das allerſchicklichſte
ſey, daß Gott der Herr ſelbſt nach dem be-
truͤbten Suͤndenfall dieſes geſchenkte Hand-
werk eingeſetzet, und die erſten Roͤcke verfer-
tiget, daß ſein Sohn auf Prima ſaͤße, und
kuͤnftige Oſtern Student werden wuͤrde.
Noch boͤſer wuͤrde der alte Herr geweſen ſeyn,
wenn Benjamin nicht ſein Ehrenkleid ange-
legt, und die Haar’ in Verſe gezwungen
haͤtte; ſo nannte meine Mutter die damalige
Art in Curland, Locken im eigentlichſten
Sinn — anzunehen. Dem Benjamin war
dieſe Friſur die natuͤrlichſte.

Waͤhrend der Zeit, daß der alte Herr
dem Benjamin ſeine Herausnahme, ihn
hier aufzuſuchen, verwieß, winkte Darius
ſeinem Freunde Alexander, daß er aus ei-

ner
G 5
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[105/0111] iſt es oft begegnet, daß das alles, was mir von der Lieb’ ahndete, auf ein Haar eintraf, und dies beſtaͤtigte meine Idee, daß eine un- ſichtbare Hand mit meiner Liebe ſey, ſo wie ſie’s mit jeder reinen Lieb’ iſt. — Benjamin hatt’ einen verſtelten Auftrag an ſeinen Vater, der unaufhaltſam boͤſe war, daß ſich Benjamin unterſtanden, ihn hier aufzuſuchen. Es fiel ihm gar nicht ein, daß das Schneiderhandwerk fuͤr den Sohn eines Litteratus noch das allerſchicklichſte ſey, daß Gott der Herr ſelbſt nach dem be- truͤbten Suͤndenfall dieſes geſchenkte Hand- werk eingeſetzet, und die erſten Roͤcke verfer- tiget, daß ſein Sohn auf Prima ſaͤße, und kuͤnftige Oſtern Student werden wuͤrde. Noch boͤſer wuͤrde der alte Herr geweſen ſeyn, wenn Benjamin nicht ſein Ehrenkleid ange- legt, und die Haar’ in Verſe gezwungen haͤtte; ſo nannte meine Mutter die damalige Art in Curland, Locken im eigentlichſten Sinn — anzunehen. Dem Benjamin war dieſe Friſur die natuͤrlichſte. Waͤhrend der Zeit, daß der alte Herr dem Benjamin ſeine Herausnahme, ihn hier aufzuſuchen, verwieß, winkte Darius ſeinem Freunde Alexander, daß er aus ei- ner G 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/111>, abgerufen am 25.04.2024.