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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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wird mir das Auge zudrücken, das nach dir
noch starr offen stehn wird. Sonst hat es
nach nichts zu sehen, in diesem Jammerthal,
nach Vater nicht, nach Mutter nicht, nach
der ganzen Welt nicht. Du würdest es mit
einem sanften Kuß schlüßen, wie die Abend-
luft eine Lilie, das würdest du, mein Einzi-
ger, wenn du geblieben wärest. Dies, dies
trübt mich bey deinem Abschiede, du würdest
meine Leiche mit Thränen salben, wenn du
geblieben wärest. -- Ich würd' in deinem
Arm sterben, wenn du geblieben wärst. --
O wie mir ist! Verzeih, Geliebter! ich weiß
nicht was ich schreibe -- und werfe Blicke
hin und her auf diesen Brief, und fast möcht'
ich ihn zurück halten, wenn ich nicht schrei-
ben müßte des guter lezt und des neuen Vor-
schlages wegen. Schreib mir doch was dir
ahndet, und Gott sey mit seiner Gnade bey
und über dir! Amen, jezt und in Ewigkeit,
Amen, in Ewigkeit Amen!


Ich hatte diesen Brief nicht ohne die
heißesten Thränen lesen können. All' Augen-
blick drückt' ich ihn an meine Lippen und

dann,

wird mir das Auge zudruͤcken, das nach dir
noch ſtarr offen ſtehn wird. Sonſt hat es
nach nichts zu ſehen, in dieſem Jammerthal,
nach Vater nicht, nach Mutter nicht, nach
der ganzen Welt nicht. Du wuͤrdeſt es mit
einem ſanften Kuß ſchluͤßen, wie die Abend-
luft eine Lilie, das wuͤrdeſt du, mein Einzi-
ger, wenn du geblieben waͤreſt. Dies, dies
truͤbt mich bey deinem Abſchiede, du wuͤrdeſt
meine Leiche mit Thraͤnen ſalben, wenn du
geblieben waͤreſt. — Ich wuͤrd’ in deinem
Arm ſterben, wenn du geblieben waͤrſt. —
O wie mir iſt! Verzeih, Geliebter! ich weiß
nicht was ich ſchreibe — und werfe Blicke
hin und her auf dieſen Brief, und faſt moͤcht’
ich ihn zuruͤck halten, wenn ich nicht ſchrei-
ben muͤßte des guter lezt und des neuen Vor-
ſchlages wegen. Schreib mir doch was dir
ahndet, und Gott ſey mit ſeiner Gnade bey
und uͤber dir! Amen, jezt und in Ewigkeit,
Amen, in Ewigkeit Amen!


Ich hatte dieſen Brief nicht ohne die
heißeſten Thraͤnen leſen koͤnnen. All’ Augen-
blick druͤckt’ ich ihn an meine Lippen und

dann,
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[114/0120] wird mir das Auge zudruͤcken, das nach dir noch ſtarr offen ſtehn wird. Sonſt hat es nach nichts zu ſehen, in dieſem Jammerthal, nach Vater nicht, nach Mutter nicht, nach der ganzen Welt nicht. Du wuͤrdeſt es mit einem ſanften Kuß ſchluͤßen, wie die Abend- luft eine Lilie, das wuͤrdeſt du, mein Einzi- ger, wenn du geblieben waͤreſt. Dies, dies truͤbt mich bey deinem Abſchiede, du wuͤrdeſt meine Leiche mit Thraͤnen ſalben, wenn du geblieben waͤreſt. — Ich wuͤrd’ in deinem Arm ſterben, wenn du geblieben waͤrſt. — O wie mir iſt! Verzeih, Geliebter! ich weiß nicht was ich ſchreibe — und werfe Blicke hin und her auf dieſen Brief, und faſt moͤcht’ ich ihn zuruͤck halten, wenn ich nicht ſchrei- ben muͤßte des guter lezt und des neuen Vor- ſchlages wegen. Schreib mir doch was dir ahndet, und Gott ſey mit ſeiner Gnade bey und uͤber dir! Amen, jezt und in Ewigkeit, Amen, in Ewigkeit Amen! Ich hatte dieſen Brief nicht ohne die heißeſten Thraͤnen leſen koͤnnen. All’ Augen- blick druͤckt’ ich ihn an meine Lippen und dann,

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/120>, abgerufen am 19.04.2024.