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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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rück zu halten. -- Ich brannte vor Begierde,
den Sarg dieses Seligen aufzusprengen, und
mir einen Seegen abzufordern. Es war sehr
zu merken, daß ich dem Pfarrer ein Meteor
war, und ein unverhofter Gast, -- er ha-
spelte seine Predigt in höchster Eil herab; in-
dessen verzählt' er all' Augenblick die Fäden,
und dies zwang ihn von neuem zu zählen.
-- Endlich die Nutzanwendung, zum Schein
und Seyn.

"Meine Geliebte! der selig verstorbene
"schien uns anfänglich ein Mann nach der
"Weise Melchisedech." Ich fragt' ihn nach
Namen? Geburtsort? Vaterland? Ob er
noch in dieser Welt etwas zu berichtigen hät-
te? Auf alle diese Fragen nicht eins zur
Antwort.

(Ich ward über und über roth, und nun
erschien mir der Pfarrer als ein Meteor, und
ein ungebetener Gast, und das ärgste bey die-
ser Verlegenheit war, daß ich nicht haspeln
konnte. Nichts ist einem Verlegenen heilsa-
mer, als wenn er reden kann; er fält zwar
immer tiefer drein, indessen ist es ihm Labsal
reden zu können, wenn er auch nur stam-
meln und stottern solte. Er ist wenigstens
vor einer Seelenlähmung sicher, die eben so,

wie

ruͤck zu halten. — Ich brannte vor Begierde,
den Sarg dieſes Seligen aufzuſprengen, und
mir einen Seegen abzufordern. Es war ſehr
zu merken, daß ich dem Pfarrer ein Meteor
war, und ein unverhofter Gaſt, — er ha-
ſpelte ſeine Predigt in hoͤchſter Eil herab; in-
deſſen verzaͤhlt’ er all’ Augenblick die Faͤden,
und dies zwang ihn von neuem zu zaͤhlen.
— Endlich die Nutzanwendung, zum Schein
und Seyn.

„Meine Geliebte! der ſelig verſtorbene
„ſchien uns anfaͤnglich ein Mann nach der
„Weiſe Melchiſedech.“ Ich fragt’ ihn nach
Namen? Geburtsort? Vaterland? Ob er
noch in dieſer Welt etwas zu berichtigen haͤt-
te? Auf alle dieſe Fragen nicht eins zur
Antwort.

(Ich ward uͤber und uͤber roth, und nun
erſchien mir der Pfarrer als ein Meteor, und
ein ungebetener Gaſt, und das aͤrgſte bey die-
ſer Verlegenheit war, daß ich nicht haſpeln
konnte. Nichts iſt einem Verlegenen heilſa-
mer, als wenn er reden kann; er faͤlt zwar
immer tiefer drein, indeſſen iſt es ihm Labſal
reden zu koͤnnen, wenn er auch nur ſtam-
meln und ſtottern ſolte. Er iſt wenigſtens
vor einer Seelenlaͤhmung ſicher, die eben ſo,

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[180/0188] ruͤck zu halten. — Ich brannte vor Begierde, den Sarg dieſes Seligen aufzuſprengen, und mir einen Seegen abzufordern. Es war ſehr zu merken, daß ich dem Pfarrer ein Meteor war, und ein unverhofter Gaſt, — er ha- ſpelte ſeine Predigt in hoͤchſter Eil herab; in- deſſen verzaͤhlt’ er all’ Augenblick die Faͤden, und dies zwang ihn von neuem zu zaͤhlen. — Endlich die Nutzanwendung, zum Schein und Seyn. „Meine Geliebte! der ſelig verſtorbene „ſchien uns anfaͤnglich ein Mann nach der „Weiſe Melchiſedech.“ Ich fragt’ ihn nach Namen? Geburtsort? Vaterland? Ob er noch in dieſer Welt etwas zu berichtigen haͤt- te? Auf alle dieſe Fragen nicht eins zur Antwort. (Ich ward uͤber und uͤber roth, und nun erſchien mir der Pfarrer als ein Meteor, und ein ungebetener Gaſt, und das aͤrgſte bey die- ſer Verlegenheit war, daß ich nicht haſpeln konnte. Nichts iſt einem Verlegenen heilſa- mer, als wenn er reden kann; er faͤlt zwar immer tiefer drein, indeſſen iſt es ihm Labſal reden zu koͤnnen, wenn er auch nur ſtam- meln und ſtottern ſolte. Er iſt wenigſtens vor einer Seelenlaͤhmung ſicher, die eben ſo, wie

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/188>, abgerufen am 25.04.2024.