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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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wie eine körperliche, oft Zeit Lebens auf die
Seel' einen Einflus hat. Die Zung' ist in
solchen Fällen Ventilator in einem stockigen
Zimmer. -- Sie bringt frische Luft herein.)

Da ich einsahe, fuhr der Leichenprediger
fort, daß unser Seliger Ursachen zur Zurück-
haltung hatte, wandt' ich schnell um, und
klopft' an eine andre Thür, die zum Seelen-
heil führt. Hier blieb er mir kein Wort
schuldig. -- Nach seinem seligen Hintritt
klärte sich alles auf. Er fand nicht für gut
zu erzählen, was seine Schreibtafel enthielt,
er wolt' sich nicht die Augenblicke entwenden,
die er himmlisch anwenden konnte. Sein
Wandel war nicht von hier, sondern von dro-
ben. -- Das erste, was ich öfnete, war
seine Schreibtafel, die wie ein Commu-
nionbuch gebunden war. Seinen Geldbeutel,
worinnen vierzig Gulden waren, öfnete ich
nachher.

(Ich war im preußischen Gelde ganz un-
erfahren, und ich muß mich noch hüten, um
ja hiebey nicht wider das Costume zu sün-
digen.)

In seinem Communionbuch von Schreib-
tafel fand ich mehr, als ich gefragt hatte.
Man pflegt oft in Schreibtafeln das Geheim-

ste,
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wie eine koͤrperliche, oft Zeit Lebens auf die
Seel’ einen Einflus hat. Die Zung’ iſt in
ſolchen Faͤllen Ventilator in einem ſtockigen
Zimmer. — Sie bringt friſche Luft herein.)

Da ich einſahe, fuhr der Leichenprediger
fort, daß unſer Seliger Urſachen zur Zuruͤck-
haltung hatte, wandt’ ich ſchnell um, und
klopft’ an eine andre Thuͤr, die zum Seelen-
heil fuͤhrt. Hier blieb er mir kein Wort
ſchuldig. — Nach ſeinem ſeligen Hintritt
klaͤrte ſich alles auf. Er fand nicht fuͤr gut
zu erzaͤhlen, was ſeine Schreibtafel enthielt,
er wolt’ ſich nicht die Augenblicke entwenden,
die er himmliſch anwenden konnte. Sein
Wandel war nicht von hier, ſondern von dro-
ben. — Das erſte, was ich oͤfnete, war
ſeine Schreibtafel, die wie ein Commu-
nionbuch gebunden war. Seinen Geldbeutel,
worinnen vierzig Gulden waren, oͤfnete ich
nachher.

(Ich war im preußiſchen Gelde ganz un-
erfahren, und ich muß mich noch huͤten, um
ja hiebey nicht wider das Coſtume zu ſuͤn-
digen.)

In ſeinem Communionbuch von Schreib-
tafel fand ich mehr, als ich gefragt hatte.
Man pflegt oft in Schreibtafeln das Geheim-

ſte,
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[181/0189] wie eine koͤrperliche, oft Zeit Lebens auf die Seel’ einen Einflus hat. Die Zung’ iſt in ſolchen Faͤllen Ventilator in einem ſtockigen Zimmer. — Sie bringt friſche Luft herein.) Da ich einſahe, fuhr der Leichenprediger fort, daß unſer Seliger Urſachen zur Zuruͤck- haltung hatte, wandt’ ich ſchnell um, und klopft’ an eine andre Thuͤr, die zum Seelen- heil fuͤhrt. Hier blieb er mir kein Wort ſchuldig. — Nach ſeinem ſeligen Hintritt klaͤrte ſich alles auf. Er fand nicht fuͤr gut zu erzaͤhlen, was ſeine Schreibtafel enthielt, er wolt’ ſich nicht die Augenblicke entwenden, die er himmliſch anwenden konnte. Sein Wandel war nicht von hier, ſondern von dro- ben. — Das erſte, was ich oͤfnete, war ſeine Schreibtafel, die wie ein Commu- nionbuch gebunden war. Seinen Geldbeutel, worinnen vierzig Gulden waren, oͤfnete ich nachher. (Ich war im preußiſchen Gelde ganz un- erfahren, und ich muß mich noch huͤten, um ja hiebey nicht wider das Coſtume zu ſuͤn- digen.) In ſeinem Communionbuch von Schreib- tafel fand ich mehr, als ich gefragt hatte. Man pflegt oft in Schreibtafeln das Geheim- ſte, M 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/189>, abgerufen am 28.03.2024.