Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Viuat Academia!

Nach dem Liede, (dacht ich mit einem
Verwunderungszeichen,) nach dem Liede:
Lieber Gott, wenn werd ich sterben?
indessen, wenn gleich ein solcher Zugvogel
nicht tagtäglich kommt, so wird ein Predi-
ger doch mit der Zeit mit dem Tode so be-
kannt, wie eine geübte Wöchnerin mit einer
Entbindung. Muth, das bin ich vollkommen
überzeugt, ist nicht Stärke der Seele, son-
dern Bekanntschaft mit dem Gegenstande. --

Unser alte Pfarrer war nicht ohne Em-
pfindung; er ward sehr leicht roth, wenn
man ihn nur mit einem Blick etwas zu hart
anfühlte. Gleich roth -- ist ein so sichres Zei-
chen von einem empfindlichen als empfindsa-
men Menschen, von einem Menschen, der
sich fühlt, und der auch fühlt, was um und
neben ihm ist! so wie es was sanftes, was
weibisches verräth, wenn man Musik liebt!
-- Der gute Pastor! in Wahrheit, er
brauchte keinen andern Beweis von seiner
Frömmigkeit, als sein heiteres Gott erge-
benes Auge, in dem Ruh' und Zufriedenheit
lag. Ich will nicht, sagt' er, wie Israel
über die Wachteln murren, und wär' es
auch der vierzig Wüstenjahre, der vierzig Fe-

stungs-

Viuat Academia!

Nach dem Liede, (dacht ich mit einem
Verwunderungszeichen,) nach dem Liede:
Lieber Gott, wenn werd ich ſterben?
indeſſen, wenn gleich ein ſolcher Zugvogel
nicht tagtaͤglich kommt, ſo wird ein Predi-
ger doch mit der Zeit mit dem Tode ſo be-
kannt, wie eine geuͤbte Woͤchnerin mit einer
Entbindung. Muth, das bin ich vollkommen
uͤberzeugt, iſt nicht Staͤrke der Seele, ſon-
dern Bekanntſchaft mit dem Gegenſtande. —

Unſer alte Pfarrer war nicht ohne Em-
pfindung; er ward ſehr leicht roth, wenn
man ihn nur mit einem Blick etwas zu hart
anfuͤhlte. Gleich roth — iſt ein ſo ſichres Zei-
chen von einem empfindlichen als empfindſa-
men Menſchen, von einem Menſchen, der
ſich fuͤhlt, und der auch fuͤhlt, was um und
neben ihm iſt! ſo wie es was ſanftes, was
weibiſches verraͤth, wenn man Muſik liebt!
— Der gute Paſtor! in Wahrheit, er
brauchte keinen andern Beweis von ſeiner
Froͤmmigkeit, als ſein heiteres Gott erge-
benes Auge, in dem Ruh’ und Zufriedenheit
lag. Ich will nicht, ſagt’ er, wie Iſrael
uͤber die Wachteln murren, und waͤr’ es
auch der vierzig Wuͤſtenjahre, der vierzig Fe-

ſtungs-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p>
            <pb facs="#f0213" n="205"/> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq">Viuat Academia!</hi> </hi> </p><lb/>
          <p>Nach dem Liede, (dacht ich mit einem<lb/>
Verwunderungszeichen,) nach dem Liede:<lb/><hi rendition="#c">Lieber Gott, wenn werd ich &#x017F;terben?</hi><lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en, wenn gleich ein &#x017F;olcher Zugvogel<lb/>
nicht tagta&#x0364;glich kommt, &#x017F;o wird ein Predi-<lb/>
ger doch mit der Zeit mit dem Tode &#x017F;o be-<lb/>
kannt, wie eine geu&#x0364;bte Wo&#x0364;chnerin mit einer<lb/>
Entbindung. Muth, das bin ich vollkommen<lb/>
u&#x0364;berzeugt, i&#x017F;t nicht Sta&#x0364;rke der Seele, &#x017F;on-<lb/>
dern Bekannt&#x017F;chaft mit dem Gegen&#x017F;tande. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;er alte Pfarrer war nicht ohne Em-<lb/>
pfindung; er ward &#x017F;ehr leicht roth, wenn<lb/>
man ihn nur mit einem Blick etwas zu hart<lb/>
anfu&#x0364;hlte. Gleich roth &#x2014; i&#x017F;t ein &#x017F;o &#x017F;ichres Zei-<lb/>
chen von einem empfindlichen als empfind&#x017F;a-<lb/>
men Men&#x017F;chen, von einem Men&#x017F;chen, der<lb/>
&#x017F;ich fu&#x0364;hlt, und der auch fu&#x0364;hlt, was um und<lb/>
neben ihm i&#x017F;t! &#x017F;o wie es was &#x017F;anftes, was<lb/>
weibi&#x017F;ches verra&#x0364;th, wenn man Mu&#x017F;ik liebt!<lb/>
&#x2014; Der gute Pa&#x017F;tor! in Wahrheit, er<lb/>
brauchte keinen andern Beweis von &#x017F;einer<lb/>
Fro&#x0364;mmigkeit, als &#x017F;ein heiteres Gott erge-<lb/>
benes Auge, in dem Ruh&#x2019; und Zufriedenheit<lb/>
lag. Ich will nicht, &#x017F;agt&#x2019; er, wie I&#x017F;rael<lb/>
u&#x0364;ber die Wachteln murren, und wa&#x0364;r&#x2019; es<lb/>
auch der vierzig Wu&#x0364;&#x017F;tenjahre, der vierzig Fe-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tungs-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0213] Viuat Academia! Nach dem Liede, (dacht ich mit einem Verwunderungszeichen,) nach dem Liede: Lieber Gott, wenn werd ich ſterben? indeſſen, wenn gleich ein ſolcher Zugvogel nicht tagtaͤglich kommt, ſo wird ein Predi- ger doch mit der Zeit mit dem Tode ſo be- kannt, wie eine geuͤbte Woͤchnerin mit einer Entbindung. Muth, das bin ich vollkommen uͤberzeugt, iſt nicht Staͤrke der Seele, ſon- dern Bekanntſchaft mit dem Gegenſtande. — Unſer alte Pfarrer war nicht ohne Em- pfindung; er ward ſehr leicht roth, wenn man ihn nur mit einem Blick etwas zu hart anfuͤhlte. Gleich roth — iſt ein ſo ſichres Zei- chen von einem empfindlichen als empfindſa- men Menſchen, von einem Menſchen, der ſich fuͤhlt, und der auch fuͤhlt, was um und neben ihm iſt! ſo wie es was ſanftes, was weibiſches verraͤth, wenn man Muſik liebt! — Der gute Paſtor! in Wahrheit, er brauchte keinen andern Beweis von ſeiner Froͤmmigkeit, als ſein heiteres Gott erge- benes Auge, in dem Ruh’ und Zufriedenheit lag. Ich will nicht, ſagt’ er, wie Iſrael uͤber die Wachteln murren, und waͤr’ es auch der vierzig Wuͤſtenjahre, der vierzig Fe- ſtungs-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/213
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/213>, abgerufen am 19.04.2024.