Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

vorzüglich selbst verstehn, und das Buch
Gottes, die Welt. -- Diese Philosophie
kann nicht auswendig gelernt werden; es ist
was inwendiges, ein Philosoph zu seyn.
Denken und leben heißt: philosophiren.
Wenn man die Wissenschaften in die, der
Gelahrtheit, und die, der Einsicht eintheilt;
so würd' ich die künstliche Philosophie zur
Gelahrtheit rechnen, und so, wie man z. E.
von einem Historikus sagen kann: er sey ein
Gelahrter, er habe viel gelernt; so auch von
einem Kunstphilosophen. Die natürliche
Philosophie bestehet nicht in Nachricht, son-
dern in Einsicht. Man kann nicht vom na-
türlichen Philosophen sagen: er habe viel ge-
lernt; allein er kann viel lehren. Alle Ver-
nunfterkenntniß aus Begriffen, gehöret zwar
zur Philosophie; allein der Philosoph ist ei-
gentlich ein Führer der Vernunft, und brin-
get den Menschen an Ort und Stelle. Der
Mensch ist nicht bey sich, heißt, oder solte
heißen: er habe diesen eigentlichen philoso-
phischen Weg verfehlt. Die Bestimmung
des Menschen, und die Mittel dahin zu ge-
langen, das ist das Ziel, wo alle philoso-
phische Erkenntniß zusammen trift. Es ist
die Probe der Philosophie. Der gemeine

Mann

vorzuͤglich ſelbſt verſtehn, und das Buch
Gottes, die Welt. — Dieſe Philoſophie
kann nicht auswendig gelernt werden; es iſt
was inwendiges, ein Philoſoph zu ſeyn.
Denken und leben heißt: philoſophiren.
Wenn man die Wiſſenſchaften in die, der
Gelahrtheit, und die, der Einſicht eintheilt;
ſo wuͤrd’ ich die kuͤnſtliche Philoſophie zur
Gelahrtheit rechnen, und ſo, wie man z. E.
von einem Hiſtorikus ſagen kann: er ſey ein
Gelahrter, er habe viel gelernt; ſo auch von
einem Kunſtphiloſophen. Die natuͤrliche
Philoſophie beſtehet nicht in Nachricht, ſon-
dern in Einſicht. Man kann nicht vom na-
tuͤrlichen Philoſophen ſagen: er habe viel ge-
lernt; allein er kann viel lehren. Alle Ver-
nunfterkenntniß aus Begriffen, gehoͤret zwar
zur Philoſophie; allein der Philoſoph iſt ei-
gentlich ein Fuͤhrer der Vernunft, und brin-
get den Menſchen an Ort und Stelle. Der
Menſch iſt nicht bey ſich, heißt, oder ſolte
heißen: er habe dieſen eigentlichen philoſo-
phiſchen Weg verfehlt. Die Beſtimmung
des Menſchen, und die Mittel dahin zu ge-
langen, das iſt das Ziel, wo alle philoſo-
phiſche Erkenntniß zuſammen trift. Es iſt
die Probe der Philoſophie. Der gemeine

Mann
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0232" n="224"/>
vorzu&#x0364;glich &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tehn, und das Buch<lb/>
Gottes, die Welt. &#x2014; Die&#x017F;e Philo&#x017F;ophie<lb/>
kann nicht auswendig gelernt werden; es i&#x017F;t<lb/>
was inwendiges, ein Philo&#x017F;oph zu &#x017F;eyn.<lb/>
Denken und leben heißt: philo&#x017F;ophiren.<lb/>
Wenn man die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften in die, der<lb/>
Gelahrtheit, und die, der Ein&#x017F;icht eintheilt;<lb/>
&#x017F;o wu&#x0364;rd&#x2019; ich die ku&#x0364;n&#x017F;tliche Philo&#x017F;ophie zur<lb/>
Gelahrtheit rechnen, und &#x017F;o, wie man z. E.<lb/>
von einem Hi&#x017F;torikus &#x017F;agen kann: er &#x017F;ey ein<lb/>
Gelahrter, er habe viel gelernt; &#x017F;o auch von<lb/>
einem Kun&#x017F;tphilo&#x017F;ophen. Die natu&#x0364;rliche<lb/>
Philo&#x017F;ophie be&#x017F;tehet nicht in Nachricht, &#x017F;on-<lb/>
dern in Ein&#x017F;icht. Man kann nicht vom na-<lb/>
tu&#x0364;rlichen Philo&#x017F;ophen &#x017F;agen: er habe viel ge-<lb/>
lernt; allein er kann viel lehren. Alle Ver-<lb/>
nunfterkenntniß aus Begriffen, geho&#x0364;ret zwar<lb/>
zur Philo&#x017F;ophie; allein der Philo&#x017F;oph i&#x017F;t ei-<lb/>
gentlich ein Fu&#x0364;hrer der Vernunft, und brin-<lb/>
get den Men&#x017F;chen an Ort und Stelle. Der<lb/>
Men&#x017F;ch i&#x017F;t nicht bey &#x017F;ich, heißt, oder &#x017F;olte<lb/>
heißen: er habe die&#x017F;en eigentlichen philo&#x017F;o-<lb/>
phi&#x017F;chen Weg verfehlt. Die Be&#x017F;timmung<lb/>
des Men&#x017F;chen, und die Mittel dahin zu ge-<lb/>
langen, das i&#x017F;t das Ziel, wo alle philo&#x017F;o-<lb/>
phi&#x017F;che Erkenntniß zu&#x017F;ammen trift. Es i&#x017F;t<lb/>
die Probe der Philo&#x017F;ophie. Der gemeine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mann</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0232] vorzuͤglich ſelbſt verſtehn, und das Buch Gottes, die Welt. — Dieſe Philoſophie kann nicht auswendig gelernt werden; es iſt was inwendiges, ein Philoſoph zu ſeyn. Denken und leben heißt: philoſophiren. Wenn man die Wiſſenſchaften in die, der Gelahrtheit, und die, der Einſicht eintheilt; ſo wuͤrd’ ich die kuͤnſtliche Philoſophie zur Gelahrtheit rechnen, und ſo, wie man z. E. von einem Hiſtorikus ſagen kann: er ſey ein Gelahrter, er habe viel gelernt; ſo auch von einem Kunſtphiloſophen. Die natuͤrliche Philoſophie beſtehet nicht in Nachricht, ſon- dern in Einſicht. Man kann nicht vom na- tuͤrlichen Philoſophen ſagen: er habe viel ge- lernt; allein er kann viel lehren. Alle Ver- nunfterkenntniß aus Begriffen, gehoͤret zwar zur Philoſophie; allein der Philoſoph iſt ei- gentlich ein Fuͤhrer der Vernunft, und brin- get den Menſchen an Ort und Stelle. Der Menſch iſt nicht bey ſich, heißt, oder ſolte heißen: er habe dieſen eigentlichen philoſo- phiſchen Weg verfehlt. Die Beſtimmung des Menſchen, und die Mittel dahin zu ge- langen, das iſt das Ziel, wo alle philoſo- phiſche Erkenntniß zuſammen trift. Es iſt die Probe der Philoſophie. Der gemeine Mann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/232
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/232>, abgerufen am 25.04.2024.