Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Mangel noch Ueberfluß ist, sondern just die
erforderlichen Gelenke. -- Die Naturphi-
losophie ist keine Feindin von reinen Vernunfts-
begriffen; allein sie bestätiget sie, wenn ich
so sagen soll, auf der Stelle. -- Sie schaft
sich gleich einen Abdruck -- wie Gott die
Welt. -- Die Religion fängt heut zu Tage
mit dem Catechismus, und die Philosophie
mit einem Compendio an. -- Allein in
Wahrheit, man solt' auf ein lebendiges Er-
kenntniß dringen, dann würde man doch ein-
mal einen Philosophen zu sehen bekommen. --

Roußeau, damit ich eine Bemerkung
mache, die in unsern Tagen zu Hause ge-
hört, Roußeau, (schade! daß er todt ist,)
war wirklich eine Spektabilität unter den
Philosophen. -- Der bloße philosophische
Künstler weiß nichts rechtes, nicht daß ein
Gott ist; der arme Schelm! man könnte die
natürliche: Philosophie kat exokhen, die künst-
liche: Vernünfteley nennen. Die Vernünf-
teley und die Zweifelsucht sind Grenznachba-
ren. Ein Zweifler und ein Abergläubischer
sind Schwester und Bruder. -- Ein Zweif-
ler macht sich sein Leben nicht gemächlich. --
Nein, er hat sich mehr aufgelegt. Er hat
Ja und Nein zu tragen, wenn er denkt.

Im

Mangel noch Ueberfluß iſt, ſondern juſt die
erforderlichen Gelenke. — Die Naturphi-
loſophie iſt keine Feindin von reinen Vernunfts-
begriffen; allein ſie beſtaͤtiget ſie, wenn ich
ſo ſagen ſoll, auf der Stelle. — Sie ſchaft
ſich gleich einen Abdruck — wie Gott die
Welt. — Die Religion faͤngt heut zu Tage
mit dem Catechismus, und die Philoſophie
mit einem Compendio an. — Allein in
Wahrheit, man ſolt’ auf ein lebendiges Er-
kenntniß dringen, dann wuͤrde man doch ein-
mal einen Philoſophen zu ſehen bekommen. —

Roußeau, damit ich eine Bemerkung
mache, die in unſern Tagen zu Hauſe ge-
hoͤrt, Roußeau, (ſchade! daß er todt iſt,)
war wirklich eine Spektabilitaͤt unter den
Philoſophen. — Der bloße philoſophiſche
Kuͤnſtler weiß nichts rechtes, nicht daß ein
Gott iſt; der arme Schelm! man koͤnnte die
natuͤrliche: Philoſophie κατ̕ εξοχην, die kuͤnſt-
liche: Vernuͤnfteley nennen. Die Vernuͤnf-
teley und die Zweifelſucht ſind Grenznachba-
ren. Ein Zweifler und ein Aberglaͤubiſcher
ſind Schweſter und Bruder. — Ein Zweif-
ler macht ſich ſein Leben nicht gemaͤchlich. —
Nein, er hat ſich mehr aufgelegt. Er hat
Ja und Nein zu tragen, wenn er denkt.

Im
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0234" n="226"/>
Mangel noch Ueberfluß i&#x017F;t, &#x017F;ondern ju&#x017F;t die<lb/>
erforderlichen Gelenke. &#x2014; Die Naturphi-<lb/>
lo&#x017F;ophie i&#x017F;t keine Feindin von reinen Vernunfts-<lb/>
begriffen; allein &#x017F;ie be&#x017F;ta&#x0364;tiget &#x017F;ie, wenn ich<lb/>
&#x017F;o &#x017F;agen &#x017F;oll, auf der Stelle. &#x2014; Sie &#x017F;chaft<lb/>
&#x017F;ich gleich einen Abdruck &#x2014; wie Gott die<lb/>
Welt. &#x2014; Die Religion fa&#x0364;ngt heut zu Tage<lb/>
mit dem Catechismus, und die Philo&#x017F;ophie<lb/>
mit einem Compendio an. &#x2014; Allein in<lb/>
Wahrheit, man &#x017F;olt&#x2019; auf ein lebendiges Er-<lb/>
kenntniß dringen, dann wu&#x0364;rde man doch ein-<lb/>
mal einen Philo&#x017F;ophen zu &#x017F;ehen bekommen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Roußeau, damit ich eine Bemerkung<lb/>
mache, die in un&#x017F;ern Tagen zu Hau&#x017F;e ge-<lb/>
ho&#x0364;rt, Roußeau, (&#x017F;chade! daß er todt i&#x017F;t,)<lb/>
war wirklich eine Spektabilita&#x0364;t unter den<lb/>
Philo&#x017F;ophen. &#x2014; Der bloße philo&#x017F;ophi&#x017F;che<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler weiß nichts rechtes, nicht daß ein<lb/>
Gott i&#x017F;t; der arme Schelm! man ko&#x0364;nnte die<lb/>
natu&#x0364;rliche: Philo&#x017F;ophie &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x0315; &#x03B5;&#x03BE;&#x03BF;&#x03C7;&#x03B7;&#x03BD;, die ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
liche: <hi rendition="#fr">Vernu&#x0364;nfteley</hi> nennen. Die Vernu&#x0364;nf-<lb/>
teley und die Zweifel&#x017F;ucht &#x017F;ind Grenznachba-<lb/>
ren. Ein Zweifler und ein Abergla&#x0364;ubi&#x017F;cher<lb/>
&#x017F;ind Schwe&#x017F;ter und Bruder. &#x2014; Ein Zweif-<lb/>
ler macht &#x017F;ich &#x017F;ein Leben nicht gema&#x0364;chlich. &#x2014;<lb/>
Nein, er hat &#x017F;ich mehr aufgelegt. Er hat<lb/>
Ja und Nein zu tragen, wenn er denkt.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Im</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0234] Mangel noch Ueberfluß iſt, ſondern juſt die erforderlichen Gelenke. — Die Naturphi- loſophie iſt keine Feindin von reinen Vernunfts- begriffen; allein ſie beſtaͤtiget ſie, wenn ich ſo ſagen ſoll, auf der Stelle. — Sie ſchaft ſich gleich einen Abdruck — wie Gott die Welt. — Die Religion faͤngt heut zu Tage mit dem Catechismus, und die Philoſophie mit einem Compendio an. — Allein in Wahrheit, man ſolt’ auf ein lebendiges Er- kenntniß dringen, dann wuͤrde man doch ein- mal einen Philoſophen zu ſehen bekommen. — Roußeau, damit ich eine Bemerkung mache, die in unſern Tagen zu Hauſe ge- hoͤrt, Roußeau, (ſchade! daß er todt iſt,) war wirklich eine Spektabilitaͤt unter den Philoſophen. — Der bloße philoſophiſche Kuͤnſtler weiß nichts rechtes, nicht daß ein Gott iſt; der arme Schelm! man koͤnnte die natuͤrliche: Philoſophie κατ̕ εξοχην, die kuͤnſt- liche: Vernuͤnfteley nennen. Die Vernuͤnf- teley und die Zweifelſucht ſind Grenznachba- ren. Ein Zweifler und ein Aberglaͤubiſcher ſind Schweſter und Bruder. — Ein Zweif- ler macht ſich ſein Leben nicht gemaͤchlich. — Nein, er hat ſich mehr aufgelegt. Er hat Ja und Nein zu tragen, wenn er denkt. Im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/234
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/234>, abgerufen am 28.03.2024.