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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Absicht der Sätze heißt wirckliche, in Absicht
der Anwendung Schwachheitssünde.

Erst buchstabiren, dann lesen, sagten
unsere liebe Alten. -- Erst ein Urtheil über
Pausch und Bogen, dann ein richtiges. Erst
der Läufer, dann der Herr. Wer in seinen
vorläufigen Urtheilen das rechte trift, heißt:
ein Glückskind, oder solt' es eher heißen, als
der, in dessen Familie viele alte Tanten sind.
Es wäre wohl werth, ein Buchstabirbuch in
diesem Verstande, in diesem Sinn, herauszu-
geben, und über die vorläufige Urtheile eine
Anleitung zu ertheilen. Die Franzosen sind
vorläufige Urtheiler. -- Der erste Gedank'
ist oft der beste, und in Wahrheit, es giebt
vorläufige Urtheile, die werth sind, in Rah-
men gefaßt zu werden!

Vorurtheile sind Urtheile aus der bloßen
Sinnlichkeit, die man für Urtheile aus dem
Verstande hält. Die Sinnlichkeit läuft dem
Verstande vor. Den Grund, den wir ha-
ben, von einer Sache zu urtheilen, der aber
nicht aus den Gesetzen des Verstandes genom-
men ist, heißt ein Vorurtheil. Die Eltern
haben Vorliebe zu ihren Kindern; hieraus
entstehet eine Vorsprache, welches die Rede-
kunst des Vorurtheils ist. --

Ein

Abſicht der Saͤtze heißt wirckliche, in Abſicht
der Anwendung Schwachheitsſuͤnde.

Erſt buchſtabiren, dann leſen, ſagten
unſere liebe Alten. — Erſt ein Urtheil uͤber
Pauſch und Bogen, dann ein richtiges. Erſt
der Laͤufer, dann der Herr. Wer in ſeinen
vorlaͤufigen Urtheilen das rechte trift, heißt:
ein Gluͤckskind, oder ſolt’ es eher heißen, als
der, in deſſen Familie viele alte Tanten ſind.
Es waͤre wohl werth, ein Buchſtabirbuch in
dieſem Verſtande, in dieſem Sinn, herauszu-
geben, und uͤber die vorlaͤufige Urtheile eine
Anleitung zu ertheilen. Die Franzoſen ſind
vorlaͤufige Urtheiler. — Der erſte Gedank’
iſt oft der beſte, und in Wahrheit, es giebt
vorlaͤufige Urtheile, die werth ſind, in Rah-
men gefaßt zu werden!

Vorurtheile ſind Urtheile aus der bloßen
Sinnlichkeit, die man fuͤr Urtheile aus dem
Verſtande haͤlt. Die Sinnlichkeit laͤuft dem
Verſtande vor. Den Grund, den wir ha-
ben, von einer Sache zu urtheilen, der aber
nicht aus den Geſetzen des Verſtandes genom-
men iſt, heißt ein Vorurtheil. Die Eltern
haben Vorliebe zu ihren Kindern; hieraus
entſtehet eine Vorſprache, welches die Rede-
kunſt des Vorurtheils iſt. —

Ein
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[240/0248] Abſicht der Saͤtze heißt wirckliche, in Abſicht der Anwendung Schwachheitsſuͤnde. Erſt buchſtabiren, dann leſen, ſagten unſere liebe Alten. — Erſt ein Urtheil uͤber Pauſch und Bogen, dann ein richtiges. Erſt der Laͤufer, dann der Herr. Wer in ſeinen vorlaͤufigen Urtheilen das rechte trift, heißt: ein Gluͤckskind, oder ſolt’ es eher heißen, als der, in deſſen Familie viele alte Tanten ſind. Es waͤre wohl werth, ein Buchſtabirbuch in dieſem Verſtande, in dieſem Sinn, herauszu- geben, und uͤber die vorlaͤufige Urtheile eine Anleitung zu ertheilen. Die Franzoſen ſind vorlaͤufige Urtheiler. — Der erſte Gedank’ iſt oft der beſte, und in Wahrheit, es giebt vorlaͤufige Urtheile, die werth ſind, in Rah- men gefaßt zu werden! Vorurtheile ſind Urtheile aus der bloßen Sinnlichkeit, die man fuͤr Urtheile aus dem Verſtande haͤlt. Die Sinnlichkeit laͤuft dem Verſtande vor. Den Grund, den wir ha- ben, von einer Sache zu urtheilen, der aber nicht aus den Geſetzen des Verſtandes genom- men iſt, heißt ein Vorurtheil. Die Eltern haben Vorliebe zu ihren Kindern; hieraus entſtehet eine Vorſprache, welches die Rede- kunſt des Vorurtheils iſt. — Ein

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/248>, abgerufen am 28.03.2024.