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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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gieng in Gottes weite Welt mit den Vorstel-
lungen: mein Haus ist ein Bethaus, ihr
aber habts gemacht zu einer Mördergru-
be!
Es war das beste, daß er gieng -- indessen
ließ er die Widdem nicht aus den Augen, um
zu bemerken, wer zn ihrer Thür aus oder
eingieng. -- Der plötzliche Aufbruch des
Justizraths beruhigte die arme Predigerin
mehr, als der Zuspruch ihres Mannes. Sinn-
lichkeit gegen Sinnlichkeit. -- Sie ward still,
das war ein gutes Zeichen, der Prediger be-
nutzte diese Stille, und ließ seine Tochter ru-
fen, die das Werk vollenden mußte. Er
lösete sie bey Minen ab, die er stärker fand,
als er glaubte. O Mann Gottes, fing sie
an! ich soll? oder soll ich nicht? in die
Hände der Menschen! Nein, Sie sollen
nicht, antwortete der Prediger, allein sie
blieb bey ihrem entsetzlichem: ich soll, und
konnte sich davon nicht abgewöhnen. -- Es
gieng dem Prediger durch die Seele, sie so
leiden, ohne Hofnung, ohne Zutrauen, lei-
den zu sehen! Er kniete nieder, und betete
kurz! stark! himmelstürmend! und nun auf
dies Gebet versprech ich Ihnen, sagt' er zu
Minen: Sie sollen nicht. -- Sie blieb still.
-- Nach der Zeit gestand sie, daß es ihr wie-

der

gieng in Gottes weite Welt mit den Vorſtel-
lungen: mein Haus iſt ein Bethaus, ihr
aber habts gemacht zu einer Moͤrdergru-
be!
Es war das beſte, daß er gieng — indeſſen
ließ er die Widdem nicht aus den Augen, um
zu bemerken, wer zn ihrer Thuͤr aus oder
eingieng. — Der ploͤtzliche Aufbruch des
Juſtizraths beruhigte die arme Predigerin
mehr, als der Zuſpruch ihres Mannes. Sinn-
lichkeit gegen Sinnlichkeit. — Sie ward ſtill,
das war ein gutes Zeichen, der Prediger be-
nutzte dieſe Stille, und ließ ſeine Tochter ru-
fen, die das Werk vollenden mußte. Er
loͤſete ſie bey Minen ab, die er ſtaͤrker fand,
als er glaubte. O Mann Gottes, fing ſie
an! ich ſoll? oder ſoll ich nicht? in die
Haͤnde der Menſchen! Nein, Sie ſollen
nicht, antwortete der Prediger, allein ſie
blieb bey ihrem entſetzlichem: ich ſoll, und
konnte ſich davon nicht abgewoͤhnen. — Es
gieng dem Prediger durch die Seele, ſie ſo
leiden, ohne Hofnung, ohne Zutrauen, lei-
den zu ſehen! Er kniete nieder, und betete
kurz! ſtark! himmelſtuͤrmend! und nun auf
dies Gebet verſprech ich Ihnen, ſagt’ er zu
Minen: Sie ſollen nicht. — Sie blieb ſtill.
— Nach der Zeit geſtand ſie, daß es ihr wie-

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[488/0498] gieng in Gottes weite Welt mit den Vorſtel- lungen: mein Haus iſt ein Bethaus, ihr aber habts gemacht zu einer Moͤrdergru- be! Es war das beſte, daß er gieng — indeſſen ließ er die Widdem nicht aus den Augen, um zu bemerken, wer zn ihrer Thuͤr aus oder eingieng. — Der ploͤtzliche Aufbruch des Juſtizraths beruhigte die arme Predigerin mehr, als der Zuſpruch ihres Mannes. Sinn- lichkeit gegen Sinnlichkeit. — Sie ward ſtill, das war ein gutes Zeichen, der Prediger be- nutzte dieſe Stille, und ließ ſeine Tochter ru- fen, die das Werk vollenden mußte. Er loͤſete ſie bey Minen ab, die er ſtaͤrker fand, als er glaubte. O Mann Gottes, fing ſie an! ich ſoll? oder ſoll ich nicht? in die Haͤnde der Menſchen! Nein, Sie ſollen nicht, antwortete der Prediger, allein ſie blieb bey ihrem entſetzlichem: ich ſoll, und konnte ſich davon nicht abgewoͤhnen. — Es gieng dem Prediger durch die Seele, ſie ſo leiden, ohne Hofnung, ohne Zutrauen, lei- den zu ſehen! Er kniete nieder, und betete kurz! ſtark! himmelſtuͤrmend! und nun auf dies Gebet verſprech ich Ihnen, ſagt’ er zu Minen: Sie ſollen nicht. — Sie blieb ſtill. — Nach der Zeit geſtand ſie, daß es ihr wie- der

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/498>, abgerufen am 25.04.2024.