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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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legen. Er hatte zu leben. Aus Noth durft'
er nicht ein Zelote seyn, und sich vom Dienst-
eifer fressen lassen. --

Nachdem ich so übel gerichtet, kann ich,
frug er, kann ich wohl hinfort mehr Haus-
halter seyn? Bei dem Blicke der Unschuld:
sie wußten nicht, was sie thaten! wie ward
mir Gott! kalt unter den Füßen.

Der Prediger sucht' ihn von diesem Ge-
danken zu entfernen; allein er blieb. Wie
kann ein Mensch, fieng er an, seines Bru-
ders Richter seyn? -- Bin ich darum gerecht,
wenn ich nicht über Dinge strauchle und falle,
über die andere straucheln und fallen? Je-
der Mensch hat seine besondere Welt, seine
besondere Klippe, sein ihm eigenes Fleisch
und Blut. -- Ja und Nein sey mir genug!
Ich will nicht richten, damit ich nicht auch
gerichtet werde!

Gott, schrie er, der du aller Welt Rich-
ter bist, und stand auf, dir! stehen wir, dir!
fallen wir, und brach die Hände. -- Gehe
nicht ins Gericht mit deinem Knecht, vor dir
ist kein Lebendiger gerecht. Wer kann vor
dir bestehen! wer?

Der Prediger versichert' ihn, nachdem
er ihn ganz um und um kennen gelernt, daß

wenn
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legen. Er hatte zu leben. Aus Noth durft’
er nicht ein Zelote ſeyn, und ſich vom Dienſt-
eifer freſſen laſſen. —

Nachdem ich ſo uͤbel gerichtet, kann ich,
frug er, kann ich wohl hinfort mehr Haus-
halter ſeyn? Bei dem Blicke der Unſchuld:
ſie wußten nicht, was ſie thaten! wie ward
mir Gott! kalt unter den Fuͤßen.

Der Prediger ſucht’ ihn von dieſem Ge-
danken zu entfernen; allein er blieb. Wie
kann ein Menſch, fieng er an, ſeines Bru-
ders Richter ſeyn? — Bin ich darum gerecht,
wenn ich nicht uͤber Dinge ſtrauchle und falle,
uͤber die andere ſtraucheln und fallen? Je-
der Menſch hat ſeine beſondere Welt, ſeine
beſondere Klippe, ſein ihm eigenes Fleiſch
und Blut. — Ja und Nein ſey mir genug!
Ich will nicht richten, damit ich nicht auch
gerichtet werde!

Gott, ſchrie er, der du aller Welt Rich-
ter biſt, und ſtand auf, dir! ſtehen wir, dir!
fallen wir, und brach die Haͤnde. — Gehe
nicht ins Gericht mit deinem Knecht, vor dir
iſt kein Lebendiger gerecht. Wer kann vor
dir beſtehen! wer?

Der Prediger verſichert’ ihn, nachdem
er ihn ganz um und um kennen gelernt, daß

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[499/0509] legen. Er hatte zu leben. Aus Noth durft’ er nicht ein Zelote ſeyn, und ſich vom Dienſt- eifer freſſen laſſen. — Nachdem ich ſo uͤbel gerichtet, kann ich, frug er, kann ich wohl hinfort mehr Haus- halter ſeyn? Bei dem Blicke der Unſchuld: ſie wußten nicht, was ſie thaten! wie ward mir Gott! kalt unter den Fuͤßen. Der Prediger ſucht’ ihn von dieſem Ge- danken zu entfernen; allein er blieb. Wie kann ein Menſch, fieng er an, ſeines Bru- ders Richter ſeyn? — Bin ich darum gerecht, wenn ich nicht uͤber Dinge ſtrauchle und falle, uͤber die andere ſtraucheln und fallen? Je- der Menſch hat ſeine beſondere Welt, ſeine beſondere Klippe, ſein ihm eigenes Fleiſch und Blut. — Ja und Nein ſey mir genug! Ich will nicht richten, damit ich nicht auch gerichtet werde! Gott, ſchrie er, der du aller Welt Rich- ter biſt, und ſtand auf, dir! ſtehen wir, dir! fallen wir, und brach die Haͤnde. — Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, vor dir iſt kein Lebendiger gerecht. Wer kann vor dir beſtehen! wer? Der Prediger verſichert’ ihn, nachdem er ihn ganz um und um kennen gelernt, daß wenn J i 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/509>, abgerufen am 24.04.2024.