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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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wenn je ein Mann den Namen Nathanael
verdiente, er's wäre. Der heutige Fall sey
in gewisser Art Nathanaels Geschichte. Er
sagte in Beziehung auf meinen Herrn und
Meister, fügte der Prediger hinzu, wie kann
aus Nazareth etwas Gutes kommen? Allein
Christus nennt ihn dem unerachtet einen Is-
raeliten, in dem kein falsch ist. --

Dies richtete den armen Rechtsgelehrten
ziemlich auf, wozu der Umstand einen be-
trächtlichen Beitrag lieferte, daß Natha-
nael einer seiner Vornamen war.

Seine Heiterkeit war indessen nicht dau-
erhaft. Er konnte nicht aufhören, sich Zwei-
fel vorzuwerfen. Wenn ich schwiege, fuhr
er fort, wenn ich schwiege, würden die Steine
schreyen. Minens Geschichte gieng ihm ge-
rade durch die Seele, und doch bat er ohn
End' und Ziel, sie ihm zu erzählen, und
das Erzählte zu wiederholen. Mein tägli-
ches Gebet soll seyn, sagte der Bußfertige:
Schaf in mir Gott ein reines Herz, und gib
mir einen neuen gewissen Geist! --

Er ersuchte den Prediger so oft und viel,
sein Freund zu bleiben, daß der gute Pre-
diger herzlich bewegt war. Wahrlich, wer

im-

wenn je ein Mann den Namen Nathanael
verdiente, er’s waͤre. Der heutige Fall ſey
in gewiſſer Art Nathanaels Geſchichte. Er
ſagte in Beziehung auf meinen Herrn und
Meiſter, fuͤgte der Prediger hinzu, wie kann
aus Nazareth etwas Gutes kommen? Allein
Chriſtus nennt ihn dem unerachtet einen Iſ-
raeliten, in dem kein falſch iſt. —

Dies richtete den armen Rechtsgelehrten
ziemlich auf, wozu der Umſtand einen be-
traͤchtlichen Beitrag lieferte, daß Natha-
nael einer ſeiner Vornamen war.

Seine Heiterkeit war indeſſen nicht dau-
erhaft. Er konnte nicht aufhoͤren, ſich Zwei-
fel vorzuwerfen. Wenn ich ſchwiege, fuhr
er fort, wenn ich ſchwiege, wuͤrden die Steine
ſchreyen. Minens Geſchichte gieng ihm ge-
rade durch die Seele, und doch bat er ohn
End’ und Ziel, ſie ihm zu erzaͤhlen, und
das Erzaͤhlte zu wiederholen. Mein taͤgli-
ches Gebet ſoll ſeyn, ſagte der Bußfertige:
Schaf in mir Gott ein reines Herz, und gib
mir einen neuen gewiſſen Geiſt! —

Er erſuchte den Prediger ſo oft und viel,
ſein Freund zu bleiben, daß der gute Pre-
diger herzlich bewegt war. Wahrlich, wer

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[500/0510] wenn je ein Mann den Namen Nathanael verdiente, er’s waͤre. Der heutige Fall ſey in gewiſſer Art Nathanaels Geſchichte. Er ſagte in Beziehung auf meinen Herrn und Meiſter, fuͤgte der Prediger hinzu, wie kann aus Nazareth etwas Gutes kommen? Allein Chriſtus nennt ihn dem unerachtet einen Iſ- raeliten, in dem kein falſch iſt. — Dies richtete den armen Rechtsgelehrten ziemlich auf, wozu der Umſtand einen be- traͤchtlichen Beitrag lieferte, daß Natha- nael einer ſeiner Vornamen war. Seine Heiterkeit war indeſſen nicht dau- erhaft. Er konnte nicht aufhoͤren, ſich Zwei- fel vorzuwerfen. Wenn ich ſchwiege, fuhr er fort, wenn ich ſchwiege, wuͤrden die Steine ſchreyen. Minens Geſchichte gieng ihm ge- rade durch die Seele, und doch bat er ohn End’ und Ziel, ſie ihm zu erzaͤhlen, und das Erzaͤhlte zu wiederholen. Mein taͤgli- ches Gebet ſoll ſeyn, ſagte der Bußfertige: Schaf in mir Gott ein reines Herz, und gib mir einen neuen gewiſſen Geiſt! — Er erſuchte den Prediger ſo oft und viel, ſein Freund zu bleiben, daß der gute Pre- diger herzlich bewegt war. Wahrlich, wer im-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/510>, abgerufen am 20.04.2024.