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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Herz brach zu gleicher Zeit. Grete konnte nie
an diesen Herz- an diesen Augenbruch denken,
ohne bitterlich zu weinen. -- Mine erhohlte
sich indessen mit dem Tage, der sich auch er-
hohlte. Was sie nach der Zeit schrieb, konnte
sie nicht mehr versiegeln. Sie nahm die Ver-
abredung mit Gretchen, diese Postscripte,
gleich nach ihrem lezten Hauch, an sich zu
nehmen, und sie mir zu geben.

Von ihrem Begräbnisse sprach sie wenig
oder nichts. Zuweilen äußerte sie den Wunsch,
und auch dies nur beyläufig, unter ihren
Verwandten begraben zu werden. Mitten
unter ihnen -- da hat man doch gleich Be-
kannte bey der Auferstehung um sich herum,
sagte sie!

Ich, das bat sie sehr, und es ward ihr
heilig versprochen, solte bey ihrem Begräb-
niß seyn. Vielleicht wünscht' er mich noch zu
sehen! Der Arme! trösten Sie ihn! ich sterbe
dem Herrn, unserm Gott, ich sterb' als Alexan-
ders Freundin. Er hat mir geschrieben, daß
er gern eine Haarlocke von mir hätte. Wenn
er nicht vor dem Haar einer Todten zurückbebt,
kann er sie nehmen. Gott sey ihm gnädig! --

Der Tod grub jede Stunde näher, um
Minen ans Herz zu kommen. Sie lebte zwar

nach

Herz brach zu gleicher Zeit. Grete konnte nie
an dieſen Herz- an dieſen Augenbruch denken,
ohne bitterlich zu weinen. — Mine erhohlte
ſich indeſſen mit dem Tage, der ſich auch er-
hohlte. Was ſie nach der Zeit ſchrieb, konnte
ſie nicht mehr verſiegeln. Sie nahm die Ver-
abredung mit Gretchen, dieſe Poſtſcripte,
gleich nach ihrem lezten Hauch, an ſich zu
nehmen, und ſie mir zu geben.

Von ihrem Begraͤbniſſe ſprach ſie wenig
oder nichts. Zuweilen aͤußerte ſie den Wunſch,
und auch dies nur beylaͤufig, unter ihren
Verwandten begraben zu werden. Mitten
unter ihnen — da hat man doch gleich Be-
kannte bey der Auferſtehung um ſich herum,
ſagte ſie!

Ich, das bat ſie ſehr, und es ward ihr
heilig verſprochen, ſolte bey ihrem Begraͤb-
niß ſeyn. Vielleicht wuͤnſcht’ er mich noch zu
ſehen! Der Arme! troͤſten Sie ihn! ich ſterbe
dem Herrn, unſerm Gott, ich ſterb’ als Alexan-
ders Freundin. Er hat mir geſchrieben, daß
er gern eine Haarlocke von mir haͤtte. Wenn
er nicht vor dem Haar einer Todten zuruͤckbebt,
kann er ſie nehmen. Gott ſey ihm gnaͤdig! —

Der Tod grub jede Stunde naͤher, um
Minen ans Herz zu kommen. Sie lebte zwar

nach
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[514/0524] Herz brach zu gleicher Zeit. Grete konnte nie an dieſen Herz- an dieſen Augenbruch denken, ohne bitterlich zu weinen. — Mine erhohlte ſich indeſſen mit dem Tage, der ſich auch er- hohlte. Was ſie nach der Zeit ſchrieb, konnte ſie nicht mehr verſiegeln. Sie nahm die Ver- abredung mit Gretchen, dieſe Poſtſcripte, gleich nach ihrem lezten Hauch, an ſich zu nehmen, und ſie mir zu geben. Von ihrem Begraͤbniſſe ſprach ſie wenig oder nichts. Zuweilen aͤußerte ſie den Wunſch, und auch dies nur beylaͤufig, unter ihren Verwandten begraben zu werden. Mitten unter ihnen — da hat man doch gleich Be- kannte bey der Auferſtehung um ſich herum, ſagte ſie! Ich, das bat ſie ſehr, und es ward ihr heilig verſprochen, ſolte bey ihrem Begraͤb- niß ſeyn. Vielleicht wuͤnſcht’ er mich noch zu ſehen! Der Arme! troͤſten Sie ihn! ich ſterbe dem Herrn, unſerm Gott, ich ſterb’ als Alexan- ders Freundin. Er hat mir geſchrieben, daß er gern eine Haarlocke von mir haͤtte. Wenn er nicht vor dem Haar einer Todten zuruͤckbebt, kann er ſie nehmen. Gott ſey ihm gnaͤdig! — Der Tod grub jede Stunde naͤher, um Minen ans Herz zu kommen. Sie lebte zwar nach

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/524>, abgerufen am 25.04.2024.