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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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spenster. Anfangs fuhr ich auf, und nach-
her wimmert' ich -- ich wuste von nichts,
was ich that. Im Bette hatt' ich nicht
Raum, mit allen diesen Dingen. --

Der redliche Prediger hatte sein Kämmer-
lein neben mir genommen. Anstatt schlafen
zu gehen, zog er also eigentlich auf die Wa-
che, um, wenn es nöthig wäre, bey der Hand
zu seyn. -- Der Schlaf floh auch ihn, und
es war mir besonders, daß wir all' im Hause
nicht eher eine ruhige Schlafstunde hatten, so
müd' und matt wir auch waren, als bis Mine
begraben war. Der Prediger meinte, daß es
ein unempfindliches Herz verrathen würde,
in einem Hause schlafen zu können, wo ein
noch uneingesargter Mensch läge. Er wenig-
stens hätt' es, wie er sagte, nie können. --

Man bildet sich ein, dünkt mich, zu ster-
ben, wenn man so nahe bey einem Todten
einschlafen solte, und fürchtet sich vor dem
Schlafe -- daher die Leichenwachen, oder
aus einem andern Gesichtspunkte: man sieht
sich selbst todt, wenn ich so sagen soll, bei einem
mit Händen zu greifenden Leichnam. Die Ae-
gyptier würden nicht bey einer Leiche haben
essen und trinken können. Dafür steh' ich.

Wir

ſpenſter. Anfangs fuhr ich auf, und nach-
her wimmert’ ich — ich wuſte von nichts,
was ich that. Im Bette hatt’ ich nicht
Raum, mit allen dieſen Dingen. —

Der redliche Prediger hatte ſein Kaͤmmer-
lein neben mir genommen. Anſtatt ſchlafen
zu gehen, zog er alſo eigentlich auf die Wa-
che, um, wenn es noͤthig waͤre, bey der Hand
zu ſeyn. — Der Schlaf floh auch ihn, und
es war mir beſonders, daß wir all’ im Hauſe
nicht eher eine ruhige Schlafſtunde hatten, ſo
muͤd’ und matt wir auch waren, als bis Mine
begraben war. Der Prediger meinte, daß es
ein unempfindliches Herz verrathen wuͤrde,
in einem Hauſe ſchlafen zu koͤnnen, wo ein
noch uneingeſargter Menſch laͤge. Er wenig-
ſtens haͤtt’ es, wie er ſagte, nie koͤnnen. —

Man bildet ſich ein, duͤnkt mich, zu ſter-
ben, wenn man ſo nahe bey einem Todten
einſchlafen ſolte, und fuͤrchtet ſich vor dem
Schlafe — daher die Leichenwachen, oder
aus einem andern Geſichtspunkte: man ſieht
ſich ſelbſt todt, wenn ich ſo ſagen ſoll, bei einem
mit Haͤnden zu greifenden Leichnam. Die Ae-
gyptier wuͤrden nicht bey einer Leiche haben
eſſen und trinken koͤnnen. Dafuͤr ſteh’ ich.

Wir
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[525/0537] ſpenſter. Anfangs fuhr ich auf, und nach- her wimmert’ ich — ich wuſte von nichts, was ich that. Im Bette hatt’ ich nicht Raum, mit allen dieſen Dingen. — Der redliche Prediger hatte ſein Kaͤmmer- lein neben mir genommen. Anſtatt ſchlafen zu gehen, zog er alſo eigentlich auf die Wa- che, um, wenn es noͤthig waͤre, bey der Hand zu ſeyn. — Der Schlaf floh auch ihn, und es war mir beſonders, daß wir all’ im Hauſe nicht eher eine ruhige Schlafſtunde hatten, ſo muͤd’ und matt wir auch waren, als bis Mine begraben war. Der Prediger meinte, daß es ein unempfindliches Herz verrathen wuͤrde, in einem Hauſe ſchlafen zu koͤnnen, wo ein noch uneingeſargter Menſch laͤge. Er wenig- ſtens haͤtt’ es, wie er ſagte, nie koͤnnen. — Man bildet ſich ein, duͤnkt mich, zu ſter- ben, wenn man ſo nahe bey einem Todten einſchlafen ſolte, und fuͤrchtet ſich vor dem Schlafe — daher die Leichenwachen, oder aus einem andern Geſichtspunkte: man ſieht ſich ſelbſt todt, wenn ich ſo ſagen ſoll, bei einem mit Haͤnden zu greifenden Leichnam. Die Ae- gyptier wuͤrden nicht bey einer Leiche haben eſſen und trinken koͤnnen. Dafuͤr ſteh’ ich. Wir

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/537>, abgerufen am 25.04.2024.