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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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niß; genug, daß sie ist! -- Sie ist ungefehr
das im Körper, was Gott der Herr im All
ist -- ungefehr -- Sie ist Gottes Bild. Sie
ist in allem, und durch alles, und mit allem,
und in ihr leben, weben und sind wir. Vor-
züglich nennen wir sie arm, wenn der Mensch
stirbt, und die Seele den Leib verloren hat.
Leute, die sich einmal an Körpern die Augen
verdorben; halten sie für arm, für bettel-
arm: wie man in der Welt, aus dem Kleide
Armuth und Reichthum beurtheilt. Man giebt
der Seel' ein Körperchen mit, damit sie nur
nicht ganz und gar nackt und bloß erscheine.
Dann ist sie doch, denkt man, wenigstens im
Hemde: allein warum diese Umstände? Bleibt
die Seele nicht in Gottes Welt, in Gottes
Hand, wo nichts arm ist, als was sich dafür
hält? -- -- --

Gott der Herr arbeitet ins Große und
ins Kleine. In ihm lebt, webt und ist al-
les! Wer nicht in seinem Leben einen zu-
sammenhang findet, auch selbst, wenn er
es nicht dazu anlegt, hat nicht an Gott
und nicht an sich gedacht -- -- Wir kön-
nen nicht den Vorhang vor der Zukunft
zerreißen. Bey unserm Tode zerreißt er,
wie beym Tode Christi der Vorhang vor

dem

niß; genug, daß ſie iſt! — Sie iſt ungefehr
das im Koͤrper, was Gott der Herr im All
iſt — ungefehr — Sie iſt Gottes Bild. Sie
iſt in allem, und durch alles, und mit allem,
und in ihr leben, weben und ſind wir. Vor-
zuͤglich nennen wir ſie arm, wenn der Menſch
ſtirbt, und die Seele den Leib verloren hat.
Leute, die ſich einmal an Koͤrpern die Augen
verdorben; halten ſie fuͤr arm, fuͤr bettel-
arm: wie man in der Welt, aus dem Kleide
Armuth und Reichthum beurtheilt. Man giebt
der Seel’ ein Koͤrperchen mit, damit ſie nur
nicht ganz und gar nackt und bloß erſcheine.
Dann iſt ſie doch, denkt man, wenigſtens im
Hemde: allein warum dieſe Umſtaͤnde? Bleibt
die Seele nicht in Gottes Welt, in Gottes
Hand, wo nichts arm iſt, als was ſich dafuͤr
haͤlt? — — —

Gott der Herr arbeitet ins Große und
ins Kleine. In ihm lebt, webt und iſt al-
les! Wer nicht in ſeinem Leben einen zu-
ſammenhang findet, auch ſelbſt, wenn er
es nicht dazu anlegt, hat nicht an Gott
und nicht an ſich gedacht — — Wir koͤn-
nen nicht den Vorhang vor der Zukunft
zerreißen. Bey unſerm Tode zerreißt er,
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[550/0562] niß; genug, daß ſie iſt! — Sie iſt ungefehr das im Koͤrper, was Gott der Herr im All iſt — ungefehr — Sie iſt Gottes Bild. Sie iſt in allem, und durch alles, und mit allem, und in ihr leben, weben und ſind wir. Vor- zuͤglich nennen wir ſie arm, wenn der Menſch ſtirbt, und die Seele den Leib verloren hat. Leute, die ſich einmal an Koͤrpern die Augen verdorben; halten ſie fuͤr arm, fuͤr bettel- arm: wie man in der Welt, aus dem Kleide Armuth und Reichthum beurtheilt. Man giebt der Seel’ ein Koͤrperchen mit, damit ſie nur nicht ganz und gar nackt und bloß erſcheine. Dann iſt ſie doch, denkt man, wenigſtens im Hemde: allein warum dieſe Umſtaͤnde? Bleibt die Seele nicht in Gottes Welt, in Gottes Hand, wo nichts arm iſt, als was ſich dafuͤr haͤlt? — — — Gott der Herr arbeitet ins Große und ins Kleine. In ihm lebt, webt und iſt al- les! Wer nicht in ſeinem Leben einen zu- ſammenhang findet, auch ſelbſt, wenn er es nicht dazu anlegt, hat nicht an Gott und nicht an ſich gedacht — — Wir koͤn- nen nicht den Vorhang vor der Zukunft zerreißen. Bey unſerm Tode zerreißt er, wie beym Tode Chriſti der Vorhang vor dem

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/562>, abgerufen am 28.03.2024.