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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Ach daß sich Gott erbarm,
nun bin, nun bin ich bettelarm,

nicht, wie mir mein Weib starb, die hart
an der Kirche liegt, wo ich Weynachten, Ostern,
Pfingsten feyre, indem ich auf ihrem Grabe
den ersten heiligen Tag knie und bete. Es
wird mir schwer, mir alten Mann! Zum
Glück ist das Grab hoch, und je älter ich werd,
je höher wird das Grab. Sie starb, und
ich dacht', ich wäre mitten entzwey geschnit-
ten; doch waren noch da, Tochter, Schwie-
gersohn und mein und ihr Lieschen. Noch
schlaf ich in dem großen Bette, wo ich mit
der Seligen schlief, und wenn ich nicht alle
Woche dreymal von ihr träume, denk' ich,
ich sey undankbar, und bitte Gott und ihr
ab. Ich dacht' ewig zu weinen! Dumm
war es von mir, daß ichs dachte, wie bald
muß ich bey Maschen seyn! Drey Jahr älter
als sie, wie bald muß ich bei ihr seyn! O! wär'
ich gestorben vor dir! liebe Masche -- vor dir!
O wär ich vor dir gestorben, und du gleich nach
mir; denn wenn ich wünschen solte, daß du er-
lebt hättest, was ich erlebe, würd' ich ein Böse-
wicht seyn, und nie zu dir im Himmel kommen.

Ach daß sich Gott erbarm,
nun bin, nun bin ich bettelarm!
nicht,
N n 2
Ach daß ſich Gott erbarm,
nun bin, nun bin ich bettelarm,

nicht, wie mir mein Weib ſtarb, die hart
an der Kirche liegt, wo ich Weynachten, Oſtern,
Pfingſten feyre, indem ich auf ihrem Grabe
den erſten heiligen Tag knie und bete. Es
wird mir ſchwer, mir alten Mann! Zum
Gluͤck iſt das Grab hoch, und je aͤlter ich werd,
je hoͤher wird das Grab. Sie ſtarb, und
ich dacht’, ich waͤre mitten entzwey geſchnit-
ten; doch waren noch da, Tochter, Schwie-
gerſohn und mein und ihr Lieschen. Noch
ſchlaf ich in dem großen Bette, wo ich mit
der Seligen ſchlief, und wenn ich nicht alle
Woche dreymal von ihr traͤume, denk’ ich,
ich ſey undankbar, und bitte Gott und ihr
ab. Ich dacht’ ewig zu weinen! Dumm
war es von mir, daß ichs dachte, wie bald
muß ich bey Maſchen ſeyn! Drey Jahr aͤlter
als ſie, wie bald muß ich bei ihr ſeyn! O! waͤr’
ich geſtorben vor dir! liebe Maſche — vor dir!
O waͤr ich vor dir geſtorben, und du gleich nach
mir; denn wenn ich wuͤnſchen ſolte, daß du er-
lebt haͤtteſt, was ich erlebe, wuͤrd’ ich ein Boͤſe-
wicht ſeyn, und nie zu dir im Himmel kommen.

Ach daß ſich Gott erbarm,
nun bin, nun bin ich bettelarm!
nicht,
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[563/0575] Ach daß ſich Gott erbarm, nun bin, nun bin ich bettelarm, nicht, wie mir mein Weib ſtarb, die hart an der Kirche liegt, wo ich Weynachten, Oſtern, Pfingſten feyre, indem ich auf ihrem Grabe den erſten heiligen Tag knie und bete. Es wird mir ſchwer, mir alten Mann! Zum Gluͤck iſt das Grab hoch, und je aͤlter ich werd, je hoͤher wird das Grab. Sie ſtarb, und ich dacht’, ich waͤre mitten entzwey geſchnit- ten; doch waren noch da, Tochter, Schwie- gerſohn und mein und ihr Lieschen. Noch ſchlaf ich in dem großen Bette, wo ich mit der Seligen ſchlief, und wenn ich nicht alle Woche dreymal von ihr traͤume, denk’ ich, ich ſey undankbar, und bitte Gott und ihr ab. Ich dacht’ ewig zu weinen! Dumm war es von mir, daß ichs dachte, wie bald muß ich bey Maſchen ſeyn! Drey Jahr aͤlter als ſie, wie bald muß ich bei ihr ſeyn! O! waͤr’ ich geſtorben vor dir! liebe Maſche — vor dir! O waͤr ich vor dir geſtorben, und du gleich nach mir; denn wenn ich wuͤnſchen ſolte, daß du er- lebt haͤtteſt, was ich erlebe, wuͤrd’ ich ein Boͤſe- wicht ſeyn, und nie zu dir im Himmel kommen. Ach daß ſich Gott erbarm, nun bin, nun bin ich bettelarm! nicht, N n 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/575>, abgerufen am 25.04.2024.