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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Wenn Er doch fände. Aus Peters Hand
nichts, rein nichts, auch nicht einen Kranz,
der mir gehört, und den ich mir zusammen
geflückt. Nichts, nichts, wenn er auch gleich
beym Junker gilt und viel gilt!


Da bin ich überm Wasser und Mutter-
chen ist jenseits. Es ging schwer ab, wie wir
Abschied nahmen, und nun ists mir noch schwe-
rer, da du jenseit des Wassers bist, am schwer-
sten wirds seyn, wenn ich dich nicht mehr se-
hen kann, o du liebe liebe Mutter! -- Noch
-- noch -- noch -- steh doch -- steh doch nur
noch einen Augenblick. Weg ist sie und ich? --
O gutes Mutterchen, ich in der weiten lang
und breiten Welt, erst bey dir, nun in der wei-
ten pfadlosen Welt. -- Es muß geschieden
seyn. -- -- Nun hör' ich dich nicht mehr be-
ten, nun seh ich dich nicht mehr weinen! Nun
rufst du nicht mehr: Lieschen, wenn der Tisch
raucht, Lieschen, wenn du reife Beeren fin-
dest, Lieschen, wenn du eine Quelle am
schwuhlen Mittag' entdeckest, die von der Son-
ne nicht gefunden war! Ich armes Lieschen!
Dies Wellchen kommt von mir, liebes Mut-
terchen, und bringt ein Thränchen mit von mir
-- von mir. Sieh' es an, es walt zu dir,

sey

Wenn Er doch faͤnde. Aus Peters Hand
nichts, rein nichts, auch nicht einen Kranz,
der mir gehoͤrt, und den ich mir zuſammen
gefluͤckt. Nichts, nichts, wenn er auch gleich
beym Junker gilt und viel gilt!


Da bin ich uͤberm Waſſer und Mutter-
chen iſt jenſeits. Es ging ſchwer ab, wie wir
Abſchied nahmen, und nun iſts mir noch ſchwe-
rer, da du jenſeit des Waſſers biſt, am ſchwer-
ſten wirds ſeyn, wenn ich dich nicht mehr ſe-
hen kann, o du liebe liebe Mutter! — Noch
— noch — noch — ſteh doch — ſteh doch nur
noch einen Augenblick. Weg iſt ſie und ich? —
O gutes Mutterchen, ich in der weiten lang
und breiten Welt, erſt bey dir, nun in der wei-
ten pfadloſen Welt. — Es muß geſchieden
ſeyn. — — Nun hoͤr’ ich dich nicht mehr be-
ten, nun ſeh ich dich nicht mehr weinen! Nun
rufſt du nicht mehr: Lieschen, wenn der Tiſch
raucht, Lieschen, wenn du reife Beeren fin-
deſt, Lieschen, wenn du eine Quelle am
ſchwuhlen Mittag’ entdeckeſt, die von der Son-
ne nicht gefunden war! Ich armes Lieschen!
Dies Wellchen kommt von mir, liebes Mut-
terchen, und bringt ein Thraͤnchen mit von mir
— von mir. Sieh’ es an, es walt zu dir,

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[573/0585] Wenn Er doch faͤnde. Aus Peters Hand nichts, rein nichts, auch nicht einen Kranz, der mir gehoͤrt, und den ich mir zuſammen gefluͤckt. Nichts, nichts, wenn er auch gleich beym Junker gilt und viel gilt! Da bin ich uͤberm Waſſer und Mutter- chen iſt jenſeits. Es ging ſchwer ab, wie wir Abſchied nahmen, und nun iſts mir noch ſchwe- rer, da du jenſeit des Waſſers biſt, am ſchwer- ſten wirds ſeyn, wenn ich dich nicht mehr ſe- hen kann, o du liebe liebe Mutter! — Noch — noch — noch — ſteh doch — ſteh doch nur noch einen Augenblick. Weg iſt ſie und ich? — O gutes Mutterchen, ich in der weiten lang und breiten Welt, erſt bey dir, nun in der wei- ten pfadloſen Welt. — Es muß geſchieden ſeyn. — — Nun hoͤr’ ich dich nicht mehr be- ten, nun ſeh ich dich nicht mehr weinen! Nun rufſt du nicht mehr: Lieschen, wenn der Tiſch raucht, Lieschen, wenn du reife Beeren fin- deſt, Lieschen, wenn du eine Quelle am ſchwuhlen Mittag’ entdeckeſt, die von der Son- ne nicht gefunden war! Ich armes Lieschen! Dies Wellchen kommt von mir, liebes Mut- terchen, und bringt ein Thraͤnchen mit von mir — von mir. Sieh’ es an, es walt zu dir, ſey

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/585>, abgerufen am 25.04.2024.