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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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hat. Da scharrt ihn auf die Spitze, damit
er den Berg noch größer mache. Er war
Berg im Leben, und nicht Thal, und muß
bey seines Gleichen im Tode --

Wie! du willst ihm die Augen zudrücken?
Laß sie starr; wie sie sind! Laß sie, Freund!
Die Sonne bleibt Sonne, wenn sie gleich
verfinstert ist, und auch ein Viertel vom Mond
ist Mond. Laß sie so starr, wie sie da sind.
Ihre Seel' ist weg; allein sie haben noch
was, das viele Augen mit Seelen nicht ha-
ben. Es wohnt' eine große Seel' in ihnen,
und das sieht man jedem Haus' an, wenn
schon der, welcher es baute, lang todt ist.
Aendre nichts -- was die Natur will, sey
auch dein Wille. Wilst du was thun, setz
oben über sein Grab ein Kreuz, das ist das
größte Zeichen, was mir bekannt ist, eine
Krone hat auch ein Pfau! Mache dies Kreuz
groß, damit es in der See gesehen werde und
Schiffe, die sich verirren, dies Kreuz als Weg-
weiser ehren, und sich freuen, wenn sie es sehen.

Leb wohl, Streiter! Erzähle den Gei-
stern des Himmels, die nie gestorben sind,
daß es auch gut sey zu sterben, damit sie den
Sterblichen nicht verachten, weil er sterblich
ist. Die Engel, die dich todt gesehen haben,

kannst

hat. Da ſcharrt ihn auf die Spitze, damit
er den Berg noch groͤßer mache. Er war
Berg im Leben, und nicht Thal, und muß
bey ſeines Gleichen im Tode —

Wie! du willſt ihm die Augen zudruͤcken?
Laß ſie ſtarr; wie ſie ſind! Laß ſie, Freund!
Die Sonne bleibt Sonne, wenn ſie gleich
verfinſtert iſt, und auch ein Viertel vom Mond
iſt Mond. Laß ſie ſo ſtarr, wie ſie da ſind.
Ihre Seel’ iſt weg; allein ſie haben noch
was, das viele Augen mit Seelen nicht ha-
ben. Es wohnt’ eine große Seel’ in ihnen,
und das ſieht man jedem Hauſ’ an, wenn
ſchon der, welcher es baute, lang todt iſt.
Aendre nichts — was die Natur will, ſey
auch dein Wille. Wilſt du was thun, ſetz
oben uͤber ſein Grab ein Kreuz, das iſt das
groͤßte Zeichen, was mir bekannt iſt, eine
Krone hat auch ein Pfau! Mache dies Kreuz
groß, damit es in der See geſehen werde und
Schiffe, die ſich verirren, dies Kreuz als Weg-
weiſer ehren, und ſich freuen, wenn ſie es ſehen.

Leb wohl, Streiter! Erzaͤhle den Gei-
ſtern des Himmels, die nie geſtorben ſind,
daß es auch gut ſey zu ſterben, damit ſie den
Sterblichen nicht verachten, weil er ſterblich
iſt. Die Engel, die dich todt geſehen haben,

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[584/0596] hat. Da ſcharrt ihn auf die Spitze, damit er den Berg noch groͤßer mache. Er war Berg im Leben, und nicht Thal, und muß bey ſeines Gleichen im Tode — Wie! du willſt ihm die Augen zudruͤcken? Laß ſie ſtarr; wie ſie ſind! Laß ſie, Freund! Die Sonne bleibt Sonne, wenn ſie gleich verfinſtert iſt, und auch ein Viertel vom Mond iſt Mond. Laß ſie ſo ſtarr, wie ſie da ſind. Ihre Seel’ iſt weg; allein ſie haben noch was, das viele Augen mit Seelen nicht ha- ben. Es wohnt’ eine große Seel’ in ihnen, und das ſieht man jedem Hauſ’ an, wenn ſchon der, welcher es baute, lang todt iſt. Aendre nichts — was die Natur will, ſey auch dein Wille. Wilſt du was thun, ſetz oben uͤber ſein Grab ein Kreuz, das iſt das groͤßte Zeichen, was mir bekannt iſt, eine Krone hat auch ein Pfau! Mache dies Kreuz groß, damit es in der See geſehen werde und Schiffe, die ſich verirren, dies Kreuz als Weg- weiſer ehren, und ſich freuen, wenn ſie es ſehen. Leb wohl, Streiter! Erzaͤhle den Gei- ſtern des Himmels, die nie geſtorben ſind, daß es auch gut ſey zu ſterben, damit ſie den Sterblichen nicht verachten, weil er ſterblich iſt. Die Engel, die dich todt geſehen haben, kannſt

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/596>, abgerufen am 16.04.2024.