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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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nicht mit einander besprechen können: wenn
die Seel' erkenntlich seyn will gegen ihren gu-
ten Freund, den Leib, und es nicht seyn kann!
Oft hab' ich einen Freund auf dem Brette
gesehen, mit dem es mir fast so gieng, als
dem Geist mit dem Erd werdenden Körper! --
Da wankt der Betrüger, der der armen Witt-
we den Acker abgrenzte. Gern möcht' er sie
mit einem dreymal grössern Stück entschädi-
gen. Kann er? will sie? Noch haben sie
sich nicht begegnet, allein wenn auch; hat sie
denn jetzt nicht mehr, als Er?

Hier wankt ein Geist, der als roher
Jüngling ein warmblütiges zu leichtgläubi-
ges Mädchen ins Verderben zog. Bald war
ihr Jammer vollendet. Sie starb, ohne dem
Berräther Vorwürfe zu machen, die Abge-
zehrte! Ihr Auge durfte nicht zugedrückt wer-
den, es war so tief gesunken, daß manns nicht
mehr sehen konnte. Es war ein eingefallnes
Grab. Sterbend rang sie ihre verwelkten
Hände, und bat um Gnade bey Gott und den
Menschen. Die Menschen erhörten sie nicht.
Mit Spott und Schande ward sie begraben:
aber jezt hat sie ausgerungen, ihre Leiden
sind geendigt -- wenn werden die Deinigen
geendiget seyn? Unglückseliger! Wenn? --

Im

nicht mit einander beſprechen koͤnnen: wenn
die Seel’ erkenntlich ſeyn will gegen ihren gu-
ten Freund, den Leib, und es nicht ſeyn kann!
Oft hab’ ich einen Freund auf dem Brette
geſehen, mit dem es mir faſt ſo gieng, als
dem Geiſt mit dem Erd werdenden Koͤrper! —
Da wankt der Betruͤger, der der armen Witt-
we den Acker abgrenzte. Gern moͤcht’ er ſie
mit einem dreymal groͤſſern Stuͤck entſchaͤdi-
gen. Kann er? will ſie? Noch haben ſie
ſich nicht begegnet, allein wenn auch; hat ſie
denn jetzt nicht mehr, als Er?

Hier wankt ein Geiſt, der als roher
Juͤngling ein warmbluͤtiges zu leichtglaͤubi-
ges Maͤdchen ins Verderben zog. Bald war
ihr Jammer vollendet. Sie ſtarb, ohne dem
Berraͤther Vorwuͤrfe zu machen, die Abge-
zehrte! Ihr Auge durfte nicht zugedruͤckt wer-
den, es war ſo tief geſunken, daß manns nicht
mehr ſehen konnte. Es war ein eingefallnes
Grab. Sterbend rang ſie ihre verwelkten
Haͤnde, und bat um Gnade bey Gott und den
Menſchen. Die Menſchen erhoͤrten ſie nicht.
Mit Spott und Schande ward ſie begraben:
aber jezt hat ſie ausgerungen, ihre Leiden
ſind geendigt — wenn werden die Deinigen
geendiget ſeyn? Ungluͤckſeliger! Wenn? —

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[586/0598] nicht mit einander beſprechen koͤnnen: wenn die Seel’ erkenntlich ſeyn will gegen ihren gu- ten Freund, den Leib, und es nicht ſeyn kann! Oft hab’ ich einen Freund auf dem Brette geſehen, mit dem es mir faſt ſo gieng, als dem Geiſt mit dem Erd werdenden Koͤrper! — Da wankt der Betruͤger, der der armen Witt- we den Acker abgrenzte. Gern moͤcht’ er ſie mit einem dreymal groͤſſern Stuͤck entſchaͤdi- gen. Kann er? will ſie? Noch haben ſie ſich nicht begegnet, allein wenn auch; hat ſie denn jetzt nicht mehr, als Er? Hier wankt ein Geiſt, der als roher Juͤngling ein warmbluͤtiges zu leichtglaͤubi- ges Maͤdchen ins Verderben zog. Bald war ihr Jammer vollendet. Sie ſtarb, ohne dem Berraͤther Vorwuͤrfe zu machen, die Abge- zehrte! Ihr Auge durfte nicht zugedruͤckt wer- den, es war ſo tief geſunken, daß manns nicht mehr ſehen konnte. Es war ein eingefallnes Grab. Sterbend rang ſie ihre verwelkten Haͤnde, und bat um Gnade bey Gott und den Menſchen. Die Menſchen erhoͤrten ſie nicht. Mit Spott und Schande ward ſie begraben: aber jezt hat ſie ausgerungen, ihre Leiden ſind geendigt — wenn werden die Deinigen geendiget ſeyn? Ungluͤckſeliger! Wenn? — Im

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/598>, abgerufen am 18.04.2024.