Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Im Traum sieht man alles größer und näher
und so sehen Geister auch! Desto besser für
den Guten, desto schlechter für den Bösen,
und für dich! Mörder! Unglückseliger!

Das alles, Mond, Seelenfreund, das
alles siehst du, als Sonntagskind, und was
siehst du nicht unter den Lebendigen? Doch
du bist verschwiegen, ich will es auch seyn
-- -- --

Wenn der von seinen ungerathenen Kin-
dern verstossene Greiß die Hände gen Him-
mel über sein Haupt zusammenschlägt, und
sich nach einem seligen Ende sehnt: wenn er
laut betet: "es ist genug, Herr! Laß mich
ruhen! Ich kann nicht mehr!" Dann be-
strale das Kreuz auf diesem Grabe, mach' es
ringsumher hell und klar; denn in des Grei-
ses Augen ist Abend worden. Es war nicht
Raum in der Herberge für mich Unterdrück-
ten in der Welt! Gott nimm mich in den
Himmel, wo für mich Raum ist. So bet'
er, wenn er dies Kreuz sieht, und sanft und
selig geh' er dann zur Ruhe! Mond! dem
frommen Pilger, der nicht mehr die Kirchen-
thürme der benachbarten Stadt reichen kann,
den der Tod auf dem Feld' überrascht, Mond!
diesen Pilger leuchte nach Hause, diesem Pil-

ger

Im Traum ſieht man alles groͤßer und naͤher
und ſo ſehen Geiſter auch! Deſto beſſer fuͤr
den Guten, deſto ſchlechter fuͤr den Boͤſen,
und fuͤr dich! Moͤrder! Ungluͤckſeliger!

Das alles, Mond, Seelenfreund, das
alles ſiehſt du, als Sonntagskind, und was
ſiehſt du nicht unter den Lebendigen? Doch
du biſt verſchwiegen, ich will es auch ſeyn
— — —

Wenn der von ſeinen ungerathenen Kin-
dern verſtoſſene Greiß die Haͤnde gen Him-
mel uͤber ſein Haupt zuſammenſchlaͤgt, und
ſich nach einem ſeligen Ende ſehnt: wenn er
laut betet: „es iſt genug, Herr! Laß mich
ruhen! Ich kann nicht mehr!“ Dann be-
ſtrale das Kreuz auf dieſem Grabe, mach’ es
ringsumher hell und klar; denn in des Grei-
ſes Augen iſt Abend worden. Es war nicht
Raum in der Herberge fuͤr mich Unterdruͤck-
ten in der Welt! Gott nimm mich in den
Himmel, wo fuͤr mich Raum iſt. So bet’
er, wenn er dies Kreuz ſieht, und ſanft und
ſelig geh’ er dann zur Ruhe! Mond! dem
frommen Pilger, der nicht mehr die Kirchen-
thuͤrme der benachbarten Stadt reichen kann,
den der Tod auf dem Feld’ uͤberraſcht, Mond!
dieſen Pilger leuchte nach Hauſe, dieſem Pil-

ger
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0599" n="587"/>
Im Traum &#x017F;ieht man alles gro&#x0364;ßer und na&#x0364;her<lb/>
und &#x017F;o &#x017F;ehen Gei&#x017F;ter auch! De&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er fu&#x0364;r<lb/>
den Guten, de&#x017F;to &#x017F;chlechter fu&#x0364;r den Bo&#x0364;&#x017F;en,<lb/>
und fu&#x0364;r dich! Mo&#x0364;rder! Unglu&#x0364;ck&#x017F;eliger!</p><lb/>
        <p>Das alles, Mond, Seelenfreund, das<lb/>
alles &#x017F;ieh&#x017F;t du, als Sonntagskind, und was<lb/>
&#x017F;ieh&#x017F;t du nicht unter den Lebendigen? Doch<lb/>
du bi&#x017F;t ver&#x017F;chwiegen, ich will es auch &#x017F;eyn<lb/>
&#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wenn der von &#x017F;einen ungerathenen Kin-<lb/>
dern ver&#x017F;to&#x017F;&#x017F;ene Greiß die Ha&#x0364;nde gen Him-<lb/>
mel u&#x0364;ber &#x017F;ein Haupt zu&#x017F;ammen&#x017F;chla&#x0364;gt, und<lb/>
&#x017F;ich nach einem &#x017F;eligen Ende &#x017F;ehnt: wenn er<lb/>
laut betet: &#x201E;es i&#x017F;t genug, Herr! Laß mich<lb/>
ruhen! Ich kann nicht mehr!&#x201C; Dann be-<lb/>
&#x017F;trale das Kreuz auf die&#x017F;em Grabe, mach&#x2019; es<lb/>
ringsumher hell und klar; denn in des Grei-<lb/>
&#x017F;es Augen i&#x017F;t Abend worden. Es war nicht<lb/>
Raum in der Herberge fu&#x0364;r mich Unterdru&#x0364;ck-<lb/>
ten in der Welt! Gott nimm mich in den<lb/>
Himmel, wo fu&#x0364;r mich Raum i&#x017F;t. So bet&#x2019;<lb/>
er, wenn er dies Kreuz &#x017F;ieht, und &#x017F;anft und<lb/>
&#x017F;elig geh&#x2019; er dann zur Ruhe! Mond! dem<lb/>
frommen Pilger, der nicht mehr die Kirchen-<lb/>
thu&#x0364;rme der benachbarten Stadt reichen kann,<lb/>
den der Tod auf dem Feld&#x2019; u&#x0364;berra&#x017F;cht, Mond!<lb/>
die&#x017F;en Pilger leuchte nach Hau&#x017F;e, die&#x017F;em Pil-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ger</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[587/0599] Im Traum ſieht man alles groͤßer und naͤher und ſo ſehen Geiſter auch! Deſto beſſer fuͤr den Guten, deſto ſchlechter fuͤr den Boͤſen, und fuͤr dich! Moͤrder! Ungluͤckſeliger! Das alles, Mond, Seelenfreund, das alles ſiehſt du, als Sonntagskind, und was ſiehſt du nicht unter den Lebendigen? Doch du biſt verſchwiegen, ich will es auch ſeyn — — — Wenn der von ſeinen ungerathenen Kin- dern verſtoſſene Greiß die Haͤnde gen Him- mel uͤber ſein Haupt zuſammenſchlaͤgt, und ſich nach einem ſeligen Ende ſehnt: wenn er laut betet: „es iſt genug, Herr! Laß mich ruhen! Ich kann nicht mehr!“ Dann be- ſtrale das Kreuz auf dieſem Grabe, mach’ es ringsumher hell und klar; denn in des Grei- ſes Augen iſt Abend worden. Es war nicht Raum in der Herberge fuͤr mich Unterdruͤck- ten in der Welt! Gott nimm mich in den Himmel, wo fuͤr mich Raum iſt. So bet’ er, wenn er dies Kreuz ſieht, und ſanft und ſelig geh’ er dann zur Ruhe! Mond! dem frommen Pilger, der nicht mehr die Kirchen- thuͤrme der benachbarten Stadt reichen kann, den der Tod auf dem Feld’ uͤberraſcht, Mond! dieſen Pilger leuchte nach Hauſe, dieſem Pil- ger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/599
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/599>, abgerufen am 16.04.2024.