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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Anne, und lange hernach sagt' alles, "ihre
Mutter auch" da hätte man doch denken sol-
len, würd' er sich an die Brust schlagen und
verzweifeln! Eins sagte dem andern: das ist
er, und mancher, der Herz hatte, setzte,
wiewohl ins Ohr, hinzu: der Mörder! Al-
les wuste von seiner Falschheit gegen Annen;
allein nur drey, außer dem Pastor von ihrer
Leichtgläubigkeit. Der Bösewicht schien, mir
nichts, dir nichts! Sie hat Ihnen --
ver--ziehen, gnädiger Herr, sagte der Pa-
stor, und konnte das Wort verziehen lang
nicht herausbringen. Der alte Mann war
zu bewegt. -- Sie hat Ihnen verziehen, wie-
derhohlt' er mit blossem Haupt', und ich,
versetzte der Frevler trotzig, verzeih' ihr auch,
daß sie gestorben ist! O Jung frauen! denkt
ans Jahr nach Christi Geburt ein tausend
sieben hundert und sieben, und an die
Verzeihung, daß sie gestorben ist! Traut
nicht den gnädigen Herren, wenn sie
gleich bey den Gräbern eurer Väter wei-
nen!

Es ward dem Pastor und seiner Gemeine,
als ob die Erde bebte, da der Mörder sieg-
prangte und trotzte. Der Pastor setzte sei-
nen Hut auf, und die Begleiter und Beglei-

terin-
Q q 3

Anne, und lange hernach ſagt’ alles, „ihre
Mutter auch“ da haͤtte man doch denken ſol-
len, wuͤrd’ er ſich an die Bruſt ſchlagen und
verzweifeln! Eins ſagte dem andern: das iſt
er, und mancher, der Herz hatte, ſetzte,
wiewohl ins Ohr, hinzu: der Moͤrder! Al-
les wuſte von ſeiner Falſchheit gegen Annen;
allein nur drey, außer dem Paſtor von ihrer
Leichtglaͤubigkeit. Der Boͤſewicht ſchien, mir
nichts, dir nichts! Sie hat Ihnen —
ver—ziehen, gnaͤdiger Herr, ſagte der Pa-
ſtor, und konnte das Wort verziehen lang
nicht herausbringen. Der alte Mann war
zu bewegt. — Sie hat Ihnen verziehen, wie-
derhohlt’ er mit bloſſem Haupt’, und ich,
verſetzte der Frevler trotzig, verzeih’ ihr auch,
daß ſie geſtorben iſt! O Jung frauen! denkt
ans Jahr nach Chriſti Geburt ein tauſend
ſieben hundert und ſieben, und an die
Verzeihung, daß ſie geſtorben iſt! Traut
nicht den gnaͤdigen Herren, wenn ſie
gleich bey den Graͤbern eurer Vaͤter wei-
nen!

Es ward dem Paſtor und ſeiner Gemeine,
als ob die Erde bebte, da der Moͤrder ſieg-
prangte und trotzte. Der Paſtor ſetzte ſei-
nen Hut auf, und die Begleiter und Beglei-

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Q q 3
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[613/0625] Anne, und lange hernach ſagt’ alles, „ihre Mutter auch“ da haͤtte man doch denken ſol- len, wuͤrd’ er ſich an die Bruſt ſchlagen und verzweifeln! Eins ſagte dem andern: das iſt er, und mancher, der Herz hatte, ſetzte, wiewohl ins Ohr, hinzu: der Moͤrder! Al- les wuſte von ſeiner Falſchheit gegen Annen; allein nur drey, außer dem Paſtor von ihrer Leichtglaͤubigkeit. Der Boͤſewicht ſchien, mir nichts, dir nichts! Sie hat Ihnen — ver—ziehen, gnaͤdiger Herr, ſagte der Pa- ſtor, und konnte das Wort verziehen lang nicht herausbringen. Der alte Mann war zu bewegt. — Sie hat Ihnen verziehen, wie- derhohlt’ er mit bloſſem Haupt’, und ich, verſetzte der Frevler trotzig, verzeih’ ihr auch, daß ſie geſtorben iſt! O Jung frauen! denkt ans Jahr nach Chriſti Geburt ein tauſend ſieben hundert und ſieben, und an die Verzeihung, daß ſie geſtorben iſt! Traut nicht den gnaͤdigen Herren, wenn ſie gleich bey den Graͤbern eurer Vaͤter wei- nen! Es ward dem Paſtor und ſeiner Gemeine, als ob die Erde bebte, da der Moͤrder ſieg- prangte und trotzte. Der Paſtor ſetzte ſei- nen Hut auf, und die Begleiter und Beglei- terin- Q q 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/625>, abgerufen am 29.03.2024.