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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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versenken; allein der Prediger liebte keine
Neuerungen, und es blieb bey der Sitte in
diesem Kirchspiel, daß die Aeltesten im Dorf
sie trugen. An andern Orten, bemerkte der
Pfarrer, sind die Jüngsten, Träger. Ich
will es so lassen, wie ich es gefunden habe,
Diese verließen den Sarg, nachdem sie ihn
vor dem Altar gesetzt hatten, und mehr als
zwanzig junge Mädchen traten in ihre Stelle.

Während der lezten Strophe des Liedes:

Amen! mein lieber frommer Gott,
bescheer uns all'n ein'n selgen Tod.
Hilf, daß wir mögen allzugleich,
bald in dein Reich
kommen und bleiben ewiglich!

trat der Prediger auf den Altar. Er hielt
nach diesem Gesang eine Red' über die Worte
aus der Offenbarung Johannis des dritten
Capittels eilften Vers: Siehe ich komme
bald, halt was du hast, das niemand
deine Krone nehme.

Die herzliche Art, mit welcher der Pre-
diger den Text behandelte, war alles, was ich
von dieser Rede hörte, oder eigentlich behielt.
Ich war an Minens offenem Grabe!

Schwer und leer, pflegte meine Mutter
zu sagen, was schwer ist, ist mehrentheils

leer.

verſenken; allein der Prediger liebte keine
Neuerungen, und es blieb bey der Sitte in
dieſem Kirchſpiel, daß die Aelteſten im Dorf
ſie trugen. An andern Orten, bemerkte der
Pfarrer, ſind die Juͤngſten, Traͤger. Ich
will es ſo laſſen, wie ich es gefunden habe,
Dieſe verließen den Sarg, nachdem ſie ihn
vor dem Altar geſetzt hatten, und mehr als
zwanzig junge Maͤdchen traten in ihre Stelle.

Waͤhrend der lezten Strophe des Liedes:

Amen! mein lieber frommer Gott,
beſcheer uns all’n ein’n ſelgen Tod.
Hilf, daß wir moͤgen allzugleich,
bald in dein Reich
kommen und bleiben ewiglich!

trat der Prediger auf den Altar. Er hielt
nach dieſem Geſang eine Red’ uͤber die Worte
aus der Offenbarung Johannis des dritten
Capittels eilften Vers: Siehe ich komme
bald, halt was du haſt, das niemand
deine Krone nehme.

Die herzliche Art, mit welcher der Pre-
diger den Text behandelte, war alles, was ich
von dieſer Rede hoͤrte, oder eigentlich behielt.
Ich war an Minens offenem Grabe!

Schwer und leer, pflegte meine Mutter
zu ſagen, was ſchwer iſt, iſt mehrentheils

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[628/0642] verſenken; allein der Prediger liebte keine Neuerungen, und es blieb bey der Sitte in dieſem Kirchſpiel, daß die Aelteſten im Dorf ſie trugen. An andern Orten, bemerkte der Pfarrer, ſind die Juͤngſten, Traͤger. Ich will es ſo laſſen, wie ich es gefunden habe, Dieſe verließen den Sarg, nachdem ſie ihn vor dem Altar geſetzt hatten, und mehr als zwanzig junge Maͤdchen traten in ihre Stelle. Waͤhrend der lezten Strophe des Liedes: Amen! mein lieber frommer Gott, beſcheer uns all’n ein’n ſelgen Tod. Hilf, daß wir moͤgen allzugleich, bald in dein Reich kommen und bleiben ewiglich! trat der Prediger auf den Altar. Er hielt nach dieſem Geſang eine Red’ uͤber die Worte aus der Offenbarung Johannis des dritten Capittels eilften Vers: Siehe ich komme bald, halt was du haſt, das niemand deine Krone nehme. Die herzliche Art, mit welcher der Pre- diger den Text behandelte, war alles, was ich von dieſer Rede hoͤrte, oder eigentlich behielt. Ich war an Minens offenem Grabe! Schwer und leer, pflegte meine Mutter zu ſagen, was ſchwer iſt, iſt mehrentheils leer.

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/642>, abgerufen am 20.04.2024.