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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Nackt, wie die Tugend ist, will er seine
Fiducia; allein ist dies der Weg zur guten
Ehe? Dies war die zwote Frage.

Herr v. G. behauptete in dienstlicher
Antwort, zum Wohlgefallen der Frau v. W.,
daß man heyrathen müßte, um einen ge-
treuen Gehülfen oder Gehülfin zu haben,
und eben hiedurch entschuldigt' er in gewißer
Art seinen Sohn, welches ihm die Frau v.
G. auf eine naive Weise zu verstehen gab.
Um sich herauszuhelfen, sagt' er von mei-
nem Vater gehört zu haben, daß man sich
auch in die Tugend verlieben könnte. Man
muß aber, wie der Pastor bemerkte, nicht
aus Neigung, sondern aus Urtel des Ver-
standes, tugendhaft seyn, nicht, weil die Tu-
gend hübsch ist, sondern weil es die Tugend ist.
Man muß sie lieben, wie sein Weib, und nicht
wie sein Mädchen. -- Ein Tugendverliebter
wird kalt, wie jeder übertriebene Liebhaber. --

Aber, fiel die Frau v. G. ein --

Ich weiß dein Aber, fuhr Herr v. G. fort,
die Damen wollen Neigung. -- Sie glauben,
daß eine unsichtbare höhere Macht ihr Band
geschlungen habe. Neigung ist ihnen der Him-
mel
, in dem die Ehen geschlossen werden.

Frau

Nackt, wie die Tugend iſt, will er ſeine
Fiducia; allein iſt dies der Weg zur guten
Ehe? Dies war die zwote Frage.

Herr v. G. behauptete in dienſtlicher
Antwort, zum Wohlgefallen der Frau v. W.,
daß man heyrathen muͤßte, um einen ge-
treuen Gehuͤlfen oder Gehuͤlfin zu haben,
und eben hiedurch entſchuldigt’ er in gewißer
Art ſeinen Sohn, welches ihm die Frau v.
G. auf eine naive Weiſe zu verſtehen gab.
Um ſich herauszuhelfen, ſagt’ er von mei-
nem Vater gehoͤrt zu haben, daß man ſich
auch in die Tugend verlieben koͤnnte. Man
muß aber, wie der Paſtor bemerkte, nicht
aus Neigung, ſondern aus Urtel des Ver-
ſtandes, tugendhaft ſeyn, nicht, weil die Tu-
gend huͤbſch iſt, ſondern weil es die Tugend iſt.
Man muß ſie lieben, wie ſein Weib, und nicht
wie ſein Maͤdchen. — Ein Tugendverliebter
wird kalt, wie jeder uͤbertriebene Liebhaber. —

Aber, fiel die Frau v. G. ein —

Ich weiß dein Aber, fuhr Herr v. G. fort,
die Damen wollen Neigung. — Sie glauben,
daß eine unſichtbare hoͤhere Macht ihr Band
geſchlungen habe. Neigung iſt ihnen der Him-
mel
, in dem die Ehen geſchloſſen werden.

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[70/0076] Nackt, wie die Tugend iſt, will er ſeine Fiducia; allein iſt dies der Weg zur guten Ehe? Dies war die zwote Frage. Herr v. G. behauptete in dienſtlicher Antwort, zum Wohlgefallen der Frau v. W., daß man heyrathen muͤßte, um einen ge- treuen Gehuͤlfen oder Gehuͤlfin zu haben, und eben hiedurch entſchuldigt’ er in gewißer Art ſeinen Sohn, welches ihm die Frau v. G. auf eine naive Weiſe zu verſtehen gab. Um ſich herauszuhelfen, ſagt’ er von mei- nem Vater gehoͤrt zu haben, daß man ſich auch in die Tugend verlieben koͤnnte. Man muß aber, wie der Paſtor bemerkte, nicht aus Neigung, ſondern aus Urtel des Ver- ſtandes, tugendhaft ſeyn, nicht, weil die Tu- gend huͤbſch iſt, ſondern weil es die Tugend iſt. Man muß ſie lieben, wie ſein Weib, und nicht wie ſein Maͤdchen. — Ein Tugendverliebter wird kalt, wie jeder uͤbertriebene Liebhaber. — Aber, fiel die Frau v. G. ein — Ich weiß dein Aber, fuhr Herr v. G. fort, die Damen wollen Neigung. — Sie glauben, daß eine unſichtbare hoͤhere Macht ihr Band geſchlungen habe. Neigung iſt ihnen der Him- mel, in dem die Ehen geſchloſſen werden. Frau

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/76>, abgerufen am 28.03.2024.