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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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daß er, sobald er spräche, den Sprengwedel
in der Hand hätte, und die Seele mit ge-
weihtem Wasser besprenge, und daß er jeder-
zeit mit gewaschenen Händen erschien, so wie
man von dem alten und neuen Gebrauch sich,
ehe man in den Tempel gieng, zu besprengen
und zu reinigen, zu sagen pfleget: mit un-
waschenen Händen
. Vielleicht übertrieb
es mein Vater an vielen Orten, wie jener
Jünger, der anfänglich auf die Art des Herrn
v. W. mit seinem Herrn und Meister com-
plimentirte, nachher aber auf einmal aus-
brach: nicht die Füß' allein, sondern die
Händ' und das Haupt. -- --

Der Socinianismus ist etwas kleinstädt-
sches, etwas verlahmtes, etwas ermüdetes,
pflegte mein Vater zu sagen. Entweder Hof,
oder plattes Land. Kalt oder warm. Alles
oder nichts. Aut aut --

Eltern sehen sonst nicht, daß Kinder
wachsen, und Kinder sehen nicht, daß ihre
Eltern alt werden, weil sie sich täglich und
stündlich sehen; wenn es aber ein Fremder
bemerkt, denn reißt sich ihr Aug' auf. --
Mir werden meine Leser den Vorwurf nicht
machen, und wenn sie mit mir in Rücksicht
dieses Charakters nicht zufrieden sind; so ge-

hört

daß er, ſobald er ſpraͤche, den Sprengwedel
in der Hand haͤtte, und die Seele mit ge-
weihtem Waſſer beſprenge, und daß er jeder-
zeit mit gewaſchenen Haͤnden erſchien, ſo wie
man von dem alten und neuen Gebrauch ſich,
ehe man in den Tempel gieng, zu beſprengen
und zu reinigen, zu ſagen pfleget: mit un-
waſchenen Haͤnden
. Vielleicht uͤbertrieb
es mein Vater an vielen Orten, wie jener
Juͤnger, der anfaͤnglich auf die Art des Herrn
v. W. mit ſeinem Herrn und Meiſter com-
plimentirte, nachher aber auf einmal aus-
brach: nicht die Fuͤß’ allein, ſondern die
Haͤnd’ und das Haupt. — —

Der Socinianismus iſt etwas kleinſtaͤdt-
ſches, etwas verlahmtes, etwas ermuͤdetes,
pflegte mein Vater zu ſagen. Entweder Hof,
oder plattes Land. Kalt oder warm. Alles
oder nichts. Aut aut

Eltern ſehen ſonſt nicht, daß Kinder
wachſen, und Kinder ſehen nicht, daß ihre
Eltern alt werden, weil ſie ſich taͤglich und
ſtuͤndlich ſehen; wenn es aber ein Fremder
bemerkt, denn reißt ſich ihr Aug’ auf. —
Mir werden meine Leſer den Vorwurf nicht
machen, und wenn ſie mit mir in Ruͤckſicht
dieſes Charakters nicht zufrieden ſind; ſo ge-

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[77/0083] daß er, ſobald er ſpraͤche, den Sprengwedel in der Hand haͤtte, und die Seele mit ge- weihtem Waſſer beſprenge, und daß er jeder- zeit mit gewaſchenen Haͤnden erſchien, ſo wie man von dem alten und neuen Gebrauch ſich, ehe man in den Tempel gieng, zu beſprengen und zu reinigen, zu ſagen pfleget: mit un- waſchenen Haͤnden. Vielleicht uͤbertrieb es mein Vater an vielen Orten, wie jener Juͤnger, der anfaͤnglich auf die Art des Herrn v. W. mit ſeinem Herrn und Meiſter com- plimentirte, nachher aber auf einmal aus- brach: nicht die Fuͤß’ allein, ſondern die Haͤnd’ und das Haupt. — — Der Socinianismus iſt etwas kleinſtaͤdt- ſches, etwas verlahmtes, etwas ermuͤdetes, pflegte mein Vater zu ſagen. Entweder Hof, oder plattes Land. Kalt oder warm. Alles oder nichts. Aut aut — Eltern ſehen ſonſt nicht, daß Kinder wachſen, und Kinder ſehen nicht, daß ihre Eltern alt werden, weil ſie ſich taͤglich und ſtuͤndlich ſehen; wenn es aber ein Fremder bemerkt, denn reißt ſich ihr Aug’ auf. — Mir werden meine Leſer den Vorwurf nicht machen, und wenn ſie mit mir in Ruͤckſicht dieſes Charakters nicht zufrieden ſind; ſo ge- hoͤrt

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/83>, abgerufen am 29.03.2024.