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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Von den Gegenständen
Nachtigall, das Gemurmel eines Wasserfalls hören, wenn zugleich ein frischer Veil-
chenduft uns entgegenwallt.

Es ist in der Macht des Gartenkünstlers, durch das Auge, durch das Ohr
und durch den Geruch zu ergötzen. Allein weil die Ergötzung aller dieser Sinne in
gleichem Grade theils nicht ganz von ihm abhängt, theils auch wegen der Verschie-
denheit der innern Vollkommenheit der Sinne selbst nicht so gesucht werden soll; so
ist es sein Beruf, ohne gänzliche Zurücksetzung des Geruchs, für das Auge und das
Ohr, am meisten aber für das Auge zu sorgen. Er soll demnach vornehmlich
sichtbare Schönheiten der ländlichen Natur aufzustellen sich bemühen.

I.
Von der Größe und Mannigfaltigkeit.

Unter den gartenmäßigen Eigenschaften der natürlichen Gegenstände, die jetzt näher
zu bestimmen sind, fordert die Größe zuerst unsre Betrachtung.

Wir hassen Einschränkung, und lieben Ausdehnung und Freyheit: eine unläug-
bare ursprüngliche Stimmung der Seele, für welche die Erfahrung stark genug redet.
Das Anschauen kleiner Vorwürfe auf einem abgezirkelten Platz, wie bald sättigt es
nicht und erregt Ekel! Wie erquickend ist dagegen nicht der Anblick einer ganzen
Landschaft, der Berge, Felsen, breiten Gewässer, Waldungen! Wie sehr erweitert
sich nicht die ganze Seele, spannet alle ihre Kräfte an, arbeitet, um alles zu um-
fassen, wenn sich die Aussicht auf den Ocean voraus eröffnet, oder wenn in einer hellen
Winternacht die gränzenlose Schöpfung voll leuchtender Planeten und brennender Fix-
sterne sich unserm Auge zu entwickeln scheint! Die Liebe des Menschen zum Großen,
die seine höhere Bestimmung anzukündigen scheint, wirkt so stark und sichtbar, daß
an ihrer Wahrheit nicht mehr gezweifelt werden kann. Der Genuß der Größe giebt
der Einbildungskraft und dem Geist eine Nahrung, die eine Art von Allgenügsamkeit
mit sich führt; man erhebt sich von dem gewöhnlichen niedrigen Standort hinauf zu
einer höhern Sphäre der Bilder und der Empfindung; man fühlt es, daß man nicht
mehr der alltägliche Mensch, sondern ein Wesen von einer Kraft und Bestimmung
ist, die weit über den Punkt, auf welchem wir stehen, hinausragt.

Die Landschaft ist, mehr als ein Garten, von der Natur bestimmt, um uns
die Ergötzungen, die aus Größe entspringen, zu gewähren. Allein auch dieser soll
uns diese Ergötzungen um so mehr zu verschaffen suchen, je mehr er eine besondere
Verbindlichkeit hat, den Menschen auf eine seiner Würde gemäße Art zu beschäftigen.

Er

Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden
Nachtigall, das Gemurmel eines Waſſerfalls hoͤren, wenn zugleich ein friſcher Veil-
chenduft uns entgegenwallt.

Es iſt in der Macht des Gartenkuͤnſtlers, durch das Auge, durch das Ohr
und durch den Geruch zu ergoͤtzen. Allein weil die Ergoͤtzung aller dieſer Sinne in
gleichem Grade theils nicht ganz von ihm abhaͤngt, theils auch wegen der Verſchie-
denheit der innern Vollkommenheit der Sinne ſelbſt nicht ſo geſucht werden ſoll; ſo
iſt es ſein Beruf, ohne gaͤnzliche Zuruͤckſetzung des Geruchs, fuͤr das Auge und das
Ohr, am meiſten aber fuͤr das Auge zu ſorgen. Er ſoll demnach vornehmlich
ſichtbare Schoͤnheiten der laͤndlichen Natur aufzuſtellen ſich bemuͤhen.

I.
Von der Groͤße und Mannigfaltigkeit.

Unter den gartenmaͤßigen Eigenſchaften der natuͤrlichen Gegenſtaͤnde, die jetzt naͤher
zu beſtimmen ſind, fordert die Groͤße zuerſt unſre Betrachtung.

Wir haſſen Einſchraͤnkung, und lieben Ausdehnung und Freyheit: eine unlaͤug-
bare urſpruͤngliche Stimmung der Seele, fuͤr welche die Erfahrung ſtark genug redet.
Das Anſchauen kleiner Vorwuͤrfe auf einem abgezirkelten Platz, wie bald ſaͤttigt es
nicht und erregt Ekel! Wie erquickend iſt dagegen nicht der Anblick einer ganzen
Landſchaft, der Berge, Felſen, breiten Gewaͤſſer, Waldungen! Wie ſehr erweitert
ſich nicht die ganze Seele, ſpannet alle ihre Kraͤfte an, arbeitet, um alles zu um-
faſſen, wenn ſich die Ausſicht auf den Ocean voraus eroͤffnet, oder wenn in einer hellen
Winternacht die graͤnzenloſe Schoͤpfung voll leuchtender Planeten und brennender Fix-
ſterne ſich unſerm Auge zu entwickeln ſcheint! Die Liebe des Menſchen zum Großen,
die ſeine hoͤhere Beſtimmung anzukuͤndigen ſcheint, wirkt ſo ſtark und ſichtbar, daß
an ihrer Wahrheit nicht mehr gezweifelt werden kann. Der Genuß der Groͤße giebt
der Einbildungskraft und dem Geiſt eine Nahrung, die eine Art von Allgenuͤgſamkeit
mit ſich fuͤhrt; man erhebt ſich von dem gewoͤhnlichen niedrigen Standort hinauf zu
einer hoͤhern Sphaͤre der Bilder und der Empfindung; man fuͤhlt es, daß man nicht
mehr der alltaͤgliche Menſch, ſondern ein Weſen von einer Kraft und Beſtimmung
iſt, die weit uͤber den Punkt, auf welchem wir ſtehen, hinausragt.

Die Landſchaft iſt, mehr als ein Garten, von der Natur beſtimmt, um uns
die Ergoͤtzungen, die aus Groͤße entſpringen, zu gewaͤhren. Allein auch dieſer ſoll
uns dieſe Ergoͤtzungen um ſo mehr zu verſchaffen ſuchen, je mehr er eine beſondere
Verbindlichkeit hat, den Menſchen auf eine ſeiner Wuͤrde gemaͤße Art zu beſchaͤftigen.

Er
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[162/0176] Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden Nachtigall, das Gemurmel eines Waſſerfalls hoͤren, wenn zugleich ein friſcher Veil- chenduft uns entgegenwallt. Es iſt in der Macht des Gartenkuͤnſtlers, durch das Auge, durch das Ohr und durch den Geruch zu ergoͤtzen. Allein weil die Ergoͤtzung aller dieſer Sinne in gleichem Grade theils nicht ganz von ihm abhaͤngt, theils auch wegen der Verſchie- denheit der innern Vollkommenheit der Sinne ſelbſt nicht ſo geſucht werden ſoll; ſo iſt es ſein Beruf, ohne gaͤnzliche Zuruͤckſetzung des Geruchs, fuͤr das Auge und das Ohr, am meiſten aber fuͤr das Auge zu ſorgen. Er ſoll demnach vornehmlich ſichtbare Schoͤnheiten der laͤndlichen Natur aufzuſtellen ſich bemuͤhen. I. Von der Groͤße und Mannigfaltigkeit. Unter den gartenmaͤßigen Eigenſchaften der natuͤrlichen Gegenſtaͤnde, die jetzt naͤher zu beſtimmen ſind, fordert die Groͤße zuerſt unſre Betrachtung. Wir haſſen Einſchraͤnkung, und lieben Ausdehnung und Freyheit: eine unlaͤug- bare urſpruͤngliche Stimmung der Seele, fuͤr welche die Erfahrung ſtark genug redet. Das Anſchauen kleiner Vorwuͤrfe auf einem abgezirkelten Platz, wie bald ſaͤttigt es nicht und erregt Ekel! Wie erquickend iſt dagegen nicht der Anblick einer ganzen Landſchaft, der Berge, Felſen, breiten Gewaͤſſer, Waldungen! Wie ſehr erweitert ſich nicht die ganze Seele, ſpannet alle ihre Kraͤfte an, arbeitet, um alles zu um- faſſen, wenn ſich die Ausſicht auf den Ocean voraus eroͤffnet, oder wenn in einer hellen Winternacht die graͤnzenloſe Schoͤpfung voll leuchtender Planeten und brennender Fix- ſterne ſich unſerm Auge zu entwickeln ſcheint! Die Liebe des Menſchen zum Großen, die ſeine hoͤhere Beſtimmung anzukuͤndigen ſcheint, wirkt ſo ſtark und ſichtbar, daß an ihrer Wahrheit nicht mehr gezweifelt werden kann. Der Genuß der Groͤße giebt der Einbildungskraft und dem Geiſt eine Nahrung, die eine Art von Allgenuͤgſamkeit mit ſich fuͤhrt; man erhebt ſich von dem gewoͤhnlichen niedrigen Standort hinauf zu einer hoͤhern Sphaͤre der Bilder und der Empfindung; man fuͤhlt es, daß man nicht mehr der alltaͤgliche Menſch, ſondern ein Weſen von einer Kraft und Beſtimmung iſt, die weit uͤber den Punkt, auf welchem wir ſtehen, hinausragt. Die Landſchaft iſt, mehr als ein Garten, von der Natur beſtimmt, um uns die Ergoͤtzungen, die aus Groͤße entſpringen, zu gewaͤhren. Allein auch dieſer ſoll uns dieſe Ergoͤtzungen um ſo mehr zu verſchaffen ſuchen, je mehr er eine beſondere Verbindlichkeit hat, den Menſchen auf eine ſeiner Wuͤrde gemaͤße Art zu beſchaͤftigen. Er

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/176>, abgerufen am 28.03.2024.