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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Von den Gegenständen
II.
Von der Schönheit.

Von Schönheit erhalten Größe und Mannigfaltigkeit ihre letzte Vollkommenheit.
Der Gartenkünstler soll also nach dem Beyspiel der Natur bedacht seyn, den
ausgedehnten und abändernden Theilen so viel Schönheit zu geben, als sie fähig sind.
Wenn Schönheit nach der Meynung einiger Kunstrichter in den Eigenschaften der
Gegenstände besteht, wodurch sie sinnliches Wohlgefallen erwecken; so würde schon
in Größe und Mannigfaltigkeit ein Theil der Schönheit liegen.

Allein Schönheit kann noch für sich, abgesondert von Größe und Mannigfal-
tigkeit, betrachtet werden; und hier wollen wir einen eigenen Weg versuchen, und
landschaftliche Schönheit, die zugleich gartenmäßige Schönheit ist, von allen übri-
gen Gattungen unterscheiden, die man noch etwa von Schönheit angeben möchte.

Es scheint, daß landschaftliche Schönheit sich auf zween wesentliche Punkte,
auf Farbe und Bewegung, vereinigen läßt.

In der Proportion kann überhaupt gerechnet allerdings Schönheit seyn; nur
scheint das Schöne des Pflanzenreichs nicht nothwendig durch Proportion bestimmt
zu werden. Indem ein berühmter engländischer Kunstrichter wider die erste Be-
hauptung streitet, so giebt er daneben der andern eine so große Wahrscheinlichkeit,
daß sein Urtheil hier eine Stelle verdient. "Im Pflanzenreich," sagt er, *) "finden
wir nichts, das so schön sey, als die Blumen. Aber Blumen giebt es fast von jeder
Gestalt und von jeder Anordnung der Theile. Die Mannigfaltigkeit der Formen,
worin sie von der Natur ausgebildet werden, ist unendlich. Was ist es denn für eine
Proportion, die wir zwischen dem Stängel der Blumen und ihren Blättern, oder
zwischen den Blättern und den Staubfäden gewahr werden? Wie schickt sich der
schlanke Stiel der Rose zu dem dicken Kopfe, unter welchem er sich beuget? Aber die
Rose ist doch eine schöne Blume. Und getrauen wir uns wohl zu sagen, daß sie
nicht einen Theil ihrer Schönheit eben diesem Mangel an Proportion zu danken haben
könne? Die Rose ist eine große Blume, und wächst doch auf einem kleinen Strauche.
Die Aepselblüte ist sehr klein, und wächst auf einem großen Baume. Doch sind
beyde, die Rose und die Aepfelblüte, schön; und die Pflanzen, worauf sie wachsen,
erhalten, dieser Disproportion ungeachtet, durch sie ihren einnehmendsten Schmuck.
Welcher Baum kann, der allgemeinen Empfindung nach, schöner seyn, als ein Oran-

genbaum,
*) Burkes philosoph. Untersuchungen über den Ursprung unsrer Begriffe vom Erha-
benen und Schönen. Nach der 5ten engl. Ausg. 8. 1773. S. 148.
Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden
II.
Von der Schoͤnheit.

Von Schoͤnheit erhalten Groͤße und Mannigfaltigkeit ihre letzte Vollkommenheit.
Der Gartenkuͤnſtler ſoll alſo nach dem Beyſpiel der Natur bedacht ſeyn, den
ausgedehnten und abaͤndernden Theilen ſo viel Schoͤnheit zu geben, als ſie faͤhig ſind.
Wenn Schoͤnheit nach der Meynung einiger Kunſtrichter in den Eigenſchaften der
Gegenſtaͤnde beſteht, wodurch ſie ſinnliches Wohlgefallen erwecken; ſo wuͤrde ſchon
in Groͤße und Mannigfaltigkeit ein Theil der Schoͤnheit liegen.

Allein Schoͤnheit kann noch fuͤr ſich, abgeſondert von Groͤße und Mannigfal-
tigkeit, betrachtet werden; und hier wollen wir einen eigenen Weg verſuchen, und
landſchaftliche Schoͤnheit, die zugleich gartenmaͤßige Schoͤnheit iſt, von allen uͤbri-
gen Gattungen unterſcheiden, die man noch etwa von Schoͤnheit angeben moͤchte.

Es ſcheint, daß landſchaftliche Schoͤnheit ſich auf zween weſentliche Punkte,
auf Farbe und Bewegung, vereinigen laͤßt.

In der Proportion kann uͤberhaupt gerechnet allerdings Schoͤnheit ſeyn; nur
ſcheint das Schoͤne des Pflanzenreichs nicht nothwendig durch Proportion beſtimmt
zu werden. Indem ein beruͤhmter englaͤndiſcher Kunſtrichter wider die erſte Be-
hauptung ſtreitet, ſo giebt er daneben der andern eine ſo große Wahrſcheinlichkeit,
daß ſein Urtheil hier eine Stelle verdient. „Im Pflanzenreich,“ ſagt er, *) „finden
wir nichts, das ſo ſchoͤn ſey, als die Blumen. Aber Blumen giebt es faſt von jeder
Geſtalt und von jeder Anordnung der Theile. Die Mannigfaltigkeit der Formen,
worin ſie von der Natur ausgebildet werden, iſt unendlich. Was iſt es denn fuͤr eine
Proportion, die wir zwiſchen dem Staͤngel der Blumen und ihren Blaͤttern, oder
zwiſchen den Blaͤttern und den Staubfaͤden gewahr werden? Wie ſchickt ſich der
ſchlanke Stiel der Roſe zu dem dicken Kopfe, unter welchem er ſich beuget? Aber die
Roſe iſt doch eine ſchoͤne Blume. Und getrauen wir uns wohl zu ſagen, daß ſie
nicht einen Theil ihrer Schoͤnheit eben dieſem Mangel an Proportion zu danken haben
koͤnne? Die Roſe iſt eine große Blume, und waͤchſt doch auf einem kleinen Strauche.
Die Aepſelbluͤte iſt ſehr klein, und waͤchſt auf einem großen Baume. Doch ſind
beyde, die Roſe und die Aepfelbluͤte, ſchoͤn; und die Pflanzen, worauf ſie wachſen,
erhalten, dieſer Disproportion ungeachtet, durch ſie ihren einnehmendſten Schmuck.
Welcher Baum kann, der allgemeinen Empfindung nach, ſchoͤner ſeyn, als ein Oran-

genbaum,
*) Burkes philoſoph. Unterſuchungen uͤber den Urſprung unſrer Begriffe vom Erha-
benen und Schoͤnen. Nach der 5ten engl. Ausg. 8. 1773. S. 148.
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[166/0180] Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden II. Von der Schoͤnheit. Von Schoͤnheit erhalten Groͤße und Mannigfaltigkeit ihre letzte Vollkommenheit. Der Gartenkuͤnſtler ſoll alſo nach dem Beyſpiel der Natur bedacht ſeyn, den ausgedehnten und abaͤndernden Theilen ſo viel Schoͤnheit zu geben, als ſie faͤhig ſind. Wenn Schoͤnheit nach der Meynung einiger Kunſtrichter in den Eigenſchaften der Gegenſtaͤnde beſteht, wodurch ſie ſinnliches Wohlgefallen erwecken; ſo wuͤrde ſchon in Groͤße und Mannigfaltigkeit ein Theil der Schoͤnheit liegen. Allein Schoͤnheit kann noch fuͤr ſich, abgeſondert von Groͤße und Mannigfal- tigkeit, betrachtet werden; und hier wollen wir einen eigenen Weg verſuchen, und landſchaftliche Schoͤnheit, die zugleich gartenmaͤßige Schoͤnheit iſt, von allen uͤbri- gen Gattungen unterſcheiden, die man noch etwa von Schoͤnheit angeben moͤchte. Es ſcheint, daß landſchaftliche Schoͤnheit ſich auf zween weſentliche Punkte, auf Farbe und Bewegung, vereinigen laͤßt. In der Proportion kann uͤberhaupt gerechnet allerdings Schoͤnheit ſeyn; nur ſcheint das Schoͤne des Pflanzenreichs nicht nothwendig durch Proportion beſtimmt zu werden. Indem ein beruͤhmter englaͤndiſcher Kunſtrichter wider die erſte Be- hauptung ſtreitet, ſo giebt er daneben der andern eine ſo große Wahrſcheinlichkeit, daß ſein Urtheil hier eine Stelle verdient. „Im Pflanzenreich,“ ſagt er, *) „finden wir nichts, das ſo ſchoͤn ſey, als die Blumen. Aber Blumen giebt es faſt von jeder Geſtalt und von jeder Anordnung der Theile. Die Mannigfaltigkeit der Formen, worin ſie von der Natur ausgebildet werden, iſt unendlich. Was iſt es denn fuͤr eine Proportion, die wir zwiſchen dem Staͤngel der Blumen und ihren Blaͤttern, oder zwiſchen den Blaͤttern und den Staubfaͤden gewahr werden? Wie ſchickt ſich der ſchlanke Stiel der Roſe zu dem dicken Kopfe, unter welchem er ſich beuget? Aber die Roſe iſt doch eine ſchoͤne Blume. Und getrauen wir uns wohl zu ſagen, daß ſie nicht einen Theil ihrer Schoͤnheit eben dieſem Mangel an Proportion zu danken haben koͤnne? Die Roſe iſt eine große Blume, und waͤchſt doch auf einem kleinen Strauche. Die Aepſelbluͤte iſt ſehr klein, und waͤchſt auf einem großen Baume. Doch ſind beyde, die Roſe und die Aepfelbluͤte, ſchoͤn; und die Pflanzen, worauf ſie wachſen, erhalten, dieſer Disproportion ungeachtet, durch ſie ihren einnehmendſten Schmuck. Welcher Baum kann, der allgemeinen Empfindung nach, ſchoͤner ſeyn, als ein Oran- genbaum, *) Burkes philoſoph. Unterſuchungen uͤber den Urſprung unſrer Begriffe vom Erha- benen und Schoͤnen. Nach der 5ten engl. Ausg. 8. 1773. S. 148.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/180>, abgerufen am 28.03.2024.