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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der Landschaft und ihren Wirkungen.
II.
Charakteristik verschiedener Gegenden.
1.

Es giebt in den weiten Landschaften einige Gegenden, die man gemein, unbedeu-
tend, ohne Charakter nennen kann, die keinen Reiz für den Geist und das Auge
haben, oder gar auf eine merkliche Art misfallen, und die demnach auch nicht in den
Bezirk der Gärten kommen dürfen.

Ganz leere und einförmige Flächen haben kein Interesse; und bey einem län-
gern Anblick ermüden sie zuletzt.

Haiden und Torffelder, wie in Niederdeutschland, misfallen durch ihre trau-
rige Unfruchtbarkeit. Arabiens und Peru's weite Sandebenen schrecken außerdem
noch durch die Vorstellung der Beschwerlichkeit und Gefahr, denen der Reisende in
ihnen ausgesetzt ist.

Ausgedehnte, wildverwachsene, mit Morästen und Sümpfen, mit Finsterniß
erfüllte Wüsteneyen, wie in America, oder lauter Strecken von rauhen Klippen und
öden Felsen, wie in einigen Gegenden von Island und Grönland, erregen Un-
muth, Furcht, Schauder. Ihnen sind die Vorstellungen von Mangel, von Elend
und von Gefahr eigen; der Gedanke der Einsamkeit geht hier in das Schreckhafte
über, und ein niederdrückendes Gefühl seiner Schwäche bemächtigt sich des Menschen.
Die Anrufung eines unsrer größten Dichter: *)

Ihr Wälder, wo kein Licht durch finstre Tannen stralt,
Und sich in jedem Busch die Nacht des Grabes malt;
Ihr hohlen Felsen dort, wo im Gesträuch verirret
Ein trauriges Geschwärm einsamer Vögel schwirret;
Ihr Bäche, die ihr matt in dürren Angern fließt,
Und den verlornen Strom in öde Sümpfe gießt;
Erstorbenes Gefild, und grausenvolle Gründe:
O! daß ich doch bey euch des Todes Farben fünde!
O! nährt mit kaltem Schaur und schwarzem Gram mein Leid!

diese
*) von Haller.
I Band. D d
der Landſchaft und ihren Wirkungen.
II.
Charakteriſtik verſchiedener Gegenden.
1.

Es giebt in den weiten Landſchaften einige Gegenden, die man gemein, unbedeu-
tend, ohne Charakter nennen kann, die keinen Reiz fuͤr den Geiſt und das Auge
haben, oder gar auf eine merkliche Art misfallen, und die demnach auch nicht in den
Bezirk der Gaͤrten kommen duͤrfen.

Ganz leere und einfoͤrmige Flaͤchen haben kein Intereſſe; und bey einem laͤn-
gern Anblick ermuͤden ſie zuletzt.

Haiden und Torffelder, wie in Niederdeutſchland, misfallen durch ihre trau-
rige Unfruchtbarkeit. Arabiens und Peru’s weite Sandebenen ſchrecken außerdem
noch durch die Vorſtellung der Beſchwerlichkeit und Gefahr, denen der Reiſende in
ihnen ausgeſetzt iſt.

Ausgedehnte, wildverwachſene, mit Moraͤſten und Suͤmpfen, mit Finſterniß
erfuͤllte Wuͤſteneyen, wie in America, oder lauter Strecken von rauhen Klippen und
oͤden Felſen, wie in einigen Gegenden von Island und Groͤnland, erregen Un-
muth, Furcht, Schauder. Ihnen ſind die Vorſtellungen von Mangel, von Elend
und von Gefahr eigen; der Gedanke der Einſamkeit geht hier in das Schreckhafte
uͤber, und ein niederdruͤckendes Gefuͤhl ſeiner Schwaͤche bemaͤchtigt ſich des Menſchen.
Die Anrufung eines unſrer groͤßten Dichter: *)

Ihr Waͤlder, wo kein Licht durch finſtre Tannen ſtralt,
Und ſich in jedem Buſch die Nacht des Grabes malt;
Ihr hohlen Felſen dort, wo im Geſtraͤuch verirret
Ein trauriges Geſchwaͤrm einſamer Voͤgel ſchwirret;
Ihr Baͤche, die ihr matt in duͤrren Angern fließt,
Und den verlornen Strom in oͤde Suͤmpfe gießt;
Erſtorbenes Gefild, und grauſenvolle Gruͤnde:
O! daß ich doch bey euch des Todes Farben fuͤnde!
O! naͤhrt mit kaltem Schaur und ſchwarzem Gram mein Leid!

dieſe
*) von Haller.
I Band. D d
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[209/0223] der Landſchaft und ihren Wirkungen. II. Charakteriſtik verſchiedener Gegenden. 1. Es giebt in den weiten Landſchaften einige Gegenden, die man gemein, unbedeu- tend, ohne Charakter nennen kann, die keinen Reiz fuͤr den Geiſt und das Auge haben, oder gar auf eine merkliche Art misfallen, und die demnach auch nicht in den Bezirk der Gaͤrten kommen duͤrfen. Ganz leere und einfoͤrmige Flaͤchen haben kein Intereſſe; und bey einem laͤn- gern Anblick ermuͤden ſie zuletzt. Haiden und Torffelder, wie in Niederdeutſchland, misfallen durch ihre trau- rige Unfruchtbarkeit. Arabiens und Peru’s weite Sandebenen ſchrecken außerdem noch durch die Vorſtellung der Beſchwerlichkeit und Gefahr, denen der Reiſende in ihnen ausgeſetzt iſt. Ausgedehnte, wildverwachſene, mit Moraͤſten und Suͤmpfen, mit Finſterniß erfuͤllte Wuͤſteneyen, wie in America, oder lauter Strecken von rauhen Klippen und oͤden Felſen, wie in einigen Gegenden von Island und Groͤnland, erregen Un- muth, Furcht, Schauder. Ihnen ſind die Vorſtellungen von Mangel, von Elend und von Gefahr eigen; der Gedanke der Einſamkeit geht hier in das Schreckhafte uͤber, und ein niederdruͤckendes Gefuͤhl ſeiner Schwaͤche bemaͤchtigt ſich des Menſchen. Die Anrufung eines unſrer groͤßten Dichter: *) Ihr Waͤlder, wo kein Licht durch finſtre Tannen ſtralt, Und ſich in jedem Buſch die Nacht des Grabes malt; Ihr hohlen Felſen dort, wo im Geſtraͤuch verirret Ein trauriges Geſchwaͤrm einſamer Voͤgel ſchwirret; Ihr Baͤche, die ihr matt in duͤrren Angern fließt, Und den verlornen Strom in oͤde Suͤmpfe gießt; Erſtorbenes Gefild, und grauſenvolle Gruͤnde: O! daß ich doch bey euch des Todes Farben fuͤnde! O! naͤhrt mit kaltem Schaur und ſchwarzem Gram mein Leid! dieſe *) von Haller. I Band. D d

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/223>, abgerufen am 29.03.2024.