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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Von den Gegenständen
III.
Von der Anmuthigkeit und Lieblichkeit.

Die Wirkung der Schönheit, sie mag aus Farbe oder Bewegung entspringen,
ist diese, daß sie mit dem Augenblick, worin sie sich in die Einbildungskraft
ergießt, lebhaftes Vergnügen erweckt.

Allein es giebt an den Gegenständen in ihrer Lage und Verbindung noch Eigen-
schaften, wodurch sie weniger lebhaft vergnügen, wodurch sie nicht bezaubern, sondern
nur einnehmen. Diese Eigenschaften sind Anmuthigkeit und Lieblichkeit. Sie sind
mit Schönheit so nahe verwandt, daß es schwer ist, die Familienzüge so genau zu
entwickeln, um jede Person für sich durch bestimmte Merkmale unterschieden darzu-
stellen. Gleichwohl ist Schönheit nicht Anmuthigkeit oder Lieblichkeit, und letztere
sind nicht Schönheit; welches die Empfindung schneller, und, wie es scheint, auch
sicherer entscheidet, als das Raisonnement. Der Unterschied der Wirkungen auf
das Gefühl scheint am besten die Kennzeichen des Schönen und des Anmuthigen
fühlbar zu machen.

Zwischen Anmuthigkeit und Lieblichkeit ist der Zwischenraum so unmerklich, daß
er sich kaum bezeichnen läßt; die Empfindung schlüpft hier so schnell in einander,
daß die Mühe ganz vergeblich scheint, sie zur Prüfung anzuhalten, um zu erfahren,
wo die Gränze sey, wo das Anmuthige aufhöre und das Liebliche anfange. In-
dessen scheint uns eine geheime Stimme des feinern Gefühls zu verstehen zu geben,
daß Lieblichkeit ein höherer Grad von Anmuthigkeit sey, und tiefer, als diese, in den
innern Sinn eindringe, daß das Anmuthige mehr die Phantasie, das Liebliche aber
mehr die Empfindungskraft berühre. Da sich hier kein deutlicher Unterschied ent-
wickeln läßt, so wollen wir unter Anmuthigkeit und Lieblichkeit einerley Sache be-
greifen.

Die Wirkung der Annehmlichkeit ist von der Wirkung der Schönheit unter-
schieden. Wenn diese lebhaftes, starkes, auch wohl begeisterndes Vergnügen giebt,
so gewährt jene eine sanftere Bewegung der Seele, eine stille Zuneigung des Gemüths
zu dem Gegenstande, ein gelassenes und verweilendes Behagen über seine Betrach-
tung. Das Anmuthige ist also von dem Großen, Erhabenen, Prächtigen und
Schönen unterschieden. Seine Eindrücke sind viel schwächer; aber sanft und erhei-
ternd. Es stärkt zwar nicht, wie eine nahrhafte Speise; aber es giebt eine Erfri-
schung, wie auf einer wohlbesetzten Tafel ein Aufsatz von milden Früchten. Es ist
nur Seelen empfindbar, die von einer ruhigen Denkungsart und von einer besondern

Feinheit
Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden
III.
Von der Anmuthigkeit und Lieblichkeit.

Die Wirkung der Schoͤnheit, ſie mag aus Farbe oder Bewegung entſpringen,
iſt dieſe, daß ſie mit dem Augenblick, worin ſie ſich in die Einbildungskraft
ergießt, lebhaftes Vergnuͤgen erweckt.

Allein es giebt an den Gegenſtaͤnden in ihrer Lage und Verbindung noch Eigen-
ſchaften, wodurch ſie weniger lebhaft vergnuͤgen, wodurch ſie nicht bezaubern, ſondern
nur einnehmen. Dieſe Eigenſchaften ſind Anmuthigkeit und Lieblichkeit. Sie ſind
mit Schoͤnheit ſo nahe verwandt, daß es ſchwer iſt, die Familienzuͤge ſo genau zu
entwickeln, um jede Perſon fuͤr ſich durch beſtimmte Merkmale unterſchieden darzu-
ſtellen. Gleichwohl iſt Schoͤnheit nicht Anmuthigkeit oder Lieblichkeit, und letztere
ſind nicht Schoͤnheit; welches die Empfindung ſchneller, und, wie es ſcheint, auch
ſicherer entſcheidet, als das Raiſonnement. Der Unterſchied der Wirkungen auf
das Gefuͤhl ſcheint am beſten die Kennzeichen des Schoͤnen und des Anmuthigen
fuͤhlbar zu machen.

Zwiſchen Anmuthigkeit und Lieblichkeit iſt der Zwiſchenraum ſo unmerklich, daß
er ſich kaum bezeichnen laͤßt; die Empfindung ſchluͤpft hier ſo ſchnell in einander,
daß die Muͤhe ganz vergeblich ſcheint, ſie zur Pruͤfung anzuhalten, um zu erfahren,
wo die Graͤnze ſey, wo das Anmuthige aufhoͤre und das Liebliche anfange. In-
deſſen ſcheint uns eine geheime Stimme des feinern Gefuͤhls zu verſtehen zu geben,
daß Lieblichkeit ein hoͤherer Grad von Anmuthigkeit ſey, und tiefer, als dieſe, in den
innern Sinn eindringe, daß das Anmuthige mehr die Phantaſie, das Liebliche aber
mehr die Empfindungskraft beruͤhre. Da ſich hier kein deutlicher Unterſchied ent-
wickeln laͤßt, ſo wollen wir unter Anmuthigkeit und Lieblichkeit einerley Sache be-
greifen.

Die Wirkung der Annehmlichkeit iſt von der Wirkung der Schoͤnheit unter-
ſchieden. Wenn dieſe lebhaftes, ſtarkes, auch wohl begeiſterndes Vergnuͤgen giebt,
ſo gewaͤhrt jene eine ſanftere Bewegung der Seele, eine ſtille Zuneigung des Gemuͤths
zu dem Gegenſtande, ein gelaſſenes und verweilendes Behagen uͤber ſeine Betrach-
tung. Das Anmuthige iſt alſo von dem Großen, Erhabenen, Praͤchtigen und
Schoͤnen unterſchieden. Seine Eindruͤcke ſind viel ſchwaͤcher; aber ſanft und erhei-
ternd. Es ſtaͤrkt zwar nicht, wie eine nahrhafte Speiſe; aber es giebt eine Erfri-
ſchung, wie auf einer wohlbeſetzten Tafel ein Aufſatz von milden Fruͤchten. Es iſt
nur Seelen empfindbar, die von einer ruhigen Denkungsart und von einer beſondern

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[174/0188] Erſter Abſchnitt. Von den Gegenſtaͤnden III. Von der Anmuthigkeit und Lieblichkeit. Die Wirkung der Schoͤnheit, ſie mag aus Farbe oder Bewegung entſpringen, iſt dieſe, daß ſie mit dem Augenblick, worin ſie ſich in die Einbildungskraft ergießt, lebhaftes Vergnuͤgen erweckt. Allein es giebt an den Gegenſtaͤnden in ihrer Lage und Verbindung noch Eigen- ſchaften, wodurch ſie weniger lebhaft vergnuͤgen, wodurch ſie nicht bezaubern, ſondern nur einnehmen. Dieſe Eigenſchaften ſind Anmuthigkeit und Lieblichkeit. Sie ſind mit Schoͤnheit ſo nahe verwandt, daß es ſchwer iſt, die Familienzuͤge ſo genau zu entwickeln, um jede Perſon fuͤr ſich durch beſtimmte Merkmale unterſchieden darzu- ſtellen. Gleichwohl iſt Schoͤnheit nicht Anmuthigkeit oder Lieblichkeit, und letztere ſind nicht Schoͤnheit; welches die Empfindung ſchneller, und, wie es ſcheint, auch ſicherer entſcheidet, als das Raiſonnement. Der Unterſchied der Wirkungen auf das Gefuͤhl ſcheint am beſten die Kennzeichen des Schoͤnen und des Anmuthigen fuͤhlbar zu machen. Zwiſchen Anmuthigkeit und Lieblichkeit iſt der Zwiſchenraum ſo unmerklich, daß er ſich kaum bezeichnen laͤßt; die Empfindung ſchluͤpft hier ſo ſchnell in einander, daß die Muͤhe ganz vergeblich ſcheint, ſie zur Pruͤfung anzuhalten, um zu erfahren, wo die Graͤnze ſey, wo das Anmuthige aufhoͤre und das Liebliche anfange. In- deſſen ſcheint uns eine geheime Stimme des feinern Gefuͤhls zu verſtehen zu geben, daß Lieblichkeit ein hoͤherer Grad von Anmuthigkeit ſey, und tiefer, als dieſe, in den innern Sinn eindringe, daß das Anmuthige mehr die Phantaſie, das Liebliche aber mehr die Empfindungskraft beruͤhre. Da ſich hier kein deutlicher Unterſchied ent- wickeln laͤßt, ſo wollen wir unter Anmuthigkeit und Lieblichkeit einerley Sache be- greifen. Die Wirkung der Annehmlichkeit iſt von der Wirkung der Schoͤnheit unter- ſchieden. Wenn dieſe lebhaftes, ſtarkes, auch wohl begeiſterndes Vergnuͤgen giebt, ſo gewaͤhrt jene eine ſanftere Bewegung der Seele, eine ſtille Zuneigung des Gemuͤths zu dem Gegenſtande, ein gelaſſenes und verweilendes Behagen uͤber ſeine Betrach- tung. Das Anmuthige iſt alſo von dem Großen, Erhabenen, Praͤchtigen und Schoͤnen unterſchieden. Seine Eindruͤcke ſind viel ſchwaͤcher; aber ſanft und erhei- ternd. Es ſtaͤrkt zwar nicht, wie eine nahrhafte Speiſe; aber es giebt eine Erfri- ſchung, wie auf einer wohlbeſetzten Tafel ein Aufſatz von milden Fruͤchten. Es iſt nur Seelen empfindbar, die von einer ruhigen Denkungsart und von einer beſondern Feinheit

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/188>, abgerufen am 28.03.2024.