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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der schönen ländlichen Natur überhaupt.
Feinheit des Gefühls sind; bey andern, deren Empfindung gleichsam mit einer har-
ten Schale umgeben ist, dringt es nicht durch. Die Schönheit gebietet; die An-
muthigkeit schmeichelt sich ein.

Bey dem Anmuthigen liegt also eine gewisse Mäßigung zum Grunde; Mäßi-
gung in Licht und Farbe, Mäßigung in der Bewegung, es sey Bewegung für das
Auge oder für das Ohr. Der Regenbogen in dem vollen Glanz seiner Farben ist
schön; er ist anmuthig in der allmähligen Verlöschung seines Schimmers. Die
freyen Stralen der Morgensonne sind schön; anmuthig, wenn sie gebrochen durch
die grünen Blätter einer Laube fallen. Das glühende Gold der Abendsonne am west-
lichen Himmel ist schön; anmuthig der Widerschein, das Spiel des Lichts, der da-
zwischen aufsteigende Duft, womit sie die Landschaft überstreut. Die farbenreiche
Tulpe ist schön, die bescheidene Viole anmuthig; der Wasserfall ist schön, die mur-
melnde Quelle anmuthig; der frohe Schlag der Nachtigall ist schön, ihr Seufzer in
der Abenddämmerung anmuthig. Ich weiß nicht, ob das Gefühl anderer mit dem
meinigen in diesem Punkte zusammentrifft; indessen möchte ich fast mit Gewißheit
annehmen, daß der Unterschied in den angegebenen Verhältnissen wirklich der ist, wie
ihn das Gefühl bestimmt, wenigstens für uns so lange bestimmt, bis ein deutlicher
Begriff uns eines andern überführen würde.

Um der Gartenkunst näher zu kommen, wird eine Beobachtung zu bemerken
seyn, die in Ansehung des Anmuthigen einen allgemeinen Grundsatz anbietet. Wir
finden, daß die Natur aus dem Anmuthigen und Lieblichen selten allein ein ganzes
Gemälde entwirft; vielmehr finden wir, daß sie es unter dem Großen, Mannigfalti-
gen und Schönen vermischt. Wir sehen auch, daß diejenigen Dichter, die man im
engern Verstande malende Dichter zu nennen pflegt, die uns die Jahreszeiten und
ländliche Scenen schildern, sich bey den Auftritten der Natur nicht auf das Anmuthi-
ge allein einschränken, sondern es in dem Ganzen stellenweise vertheilen. Die Natur
ist hier Lehrerinn. Sie vernachläßigt nicht das Anmuthige, weil es seine Wirkung
hat; allein sie wählt es auch nicht allein, weil sodann seine Wirkung zu schwach seyn
würde; sie verbindet es vielmehr mit Gegenständen von höhern Kräften, um durch
die Mischung einen desto mannigfaltigern und angenehmern Eindruck zu machen.
Nach dieser Anweisung suche der Gartenkünstler anmuthige und liebliche Gegenstände
in der Natur für seinen Platz aus, sehe sie nicht als ein Ganzes, sondern nur als
Theile an, und vereinige sie als solche mit dem übrigen wichtigern Vorrath, woraus
er sein Werk bilden will.

Weil

der ſchoͤnen laͤndlichen Natur uͤberhaupt.
Feinheit des Gefuͤhls ſind; bey andern, deren Empfindung gleichſam mit einer har-
ten Schale umgeben iſt, dringt es nicht durch. Die Schoͤnheit gebietet; die An-
muthigkeit ſchmeichelt ſich ein.

Bey dem Anmuthigen liegt alſo eine gewiſſe Maͤßigung zum Grunde; Maͤßi-
gung in Licht und Farbe, Maͤßigung in der Bewegung, es ſey Bewegung fuͤr das
Auge oder fuͤr das Ohr. Der Regenbogen in dem vollen Glanz ſeiner Farben iſt
ſchoͤn; er iſt anmuthig in der allmaͤhligen Verloͤſchung ſeines Schimmers. Die
freyen Stralen der Morgenſonne ſind ſchoͤn; anmuthig, wenn ſie gebrochen durch
die gruͤnen Blaͤtter einer Laube fallen. Das gluͤhende Gold der Abendſonne am weſt-
lichen Himmel iſt ſchoͤn; anmuthig der Widerſchein, das Spiel des Lichts, der da-
zwiſchen aufſteigende Duft, womit ſie die Landſchaft uͤberſtreut. Die farbenreiche
Tulpe iſt ſchoͤn, die beſcheidene Viole anmuthig; der Waſſerfall iſt ſchoͤn, die mur-
melnde Quelle anmuthig; der frohe Schlag der Nachtigall iſt ſchoͤn, ihr Seufzer in
der Abenddaͤmmerung anmuthig. Ich weiß nicht, ob das Gefuͤhl anderer mit dem
meinigen in dieſem Punkte zuſammentrifft; indeſſen moͤchte ich faſt mit Gewißheit
annehmen, daß der Unterſchied in den angegebenen Verhaͤltniſſen wirklich der iſt, wie
ihn das Gefuͤhl beſtimmt, wenigſtens fuͤr uns ſo lange beſtimmt, bis ein deutlicher
Begriff uns eines andern uͤberfuͤhren wuͤrde.

Um der Gartenkunſt naͤher zu kommen, wird eine Beobachtung zu bemerken
ſeyn, die in Anſehung des Anmuthigen einen allgemeinen Grundſatz anbietet. Wir
finden, daß die Natur aus dem Anmuthigen und Lieblichen ſelten allein ein ganzes
Gemaͤlde entwirft; vielmehr finden wir, daß ſie es unter dem Großen, Mannigfalti-
gen und Schoͤnen vermiſcht. Wir ſehen auch, daß diejenigen Dichter, die man im
engern Verſtande malende Dichter zu nennen pflegt, die uns die Jahreszeiten und
laͤndliche Scenen ſchildern, ſich bey den Auftritten der Natur nicht auf das Anmuthi-
ge allein einſchraͤnken, ſondern es in dem Ganzen ſtellenweiſe vertheilen. Die Natur
iſt hier Lehrerinn. Sie vernachlaͤßigt nicht das Anmuthige, weil es ſeine Wirkung
hat; allein ſie waͤhlt es auch nicht allein, weil ſodann ſeine Wirkung zu ſchwach ſeyn
wuͤrde; ſie verbindet es vielmehr mit Gegenſtaͤnden von hoͤhern Kraͤften, um durch
die Miſchung einen deſto mannigfaltigern und angenehmern Eindruck zu machen.
Nach dieſer Anweiſung ſuche der Gartenkuͤnſtler anmuthige und liebliche Gegenſtaͤnde
in der Natur fuͤr ſeinen Platz aus, ſehe ſie nicht als ein Ganzes, ſondern nur als
Theile an, und vereinige ſie als ſolche mit dem uͤbrigen wichtigern Vorrath, woraus
er ſein Werk bilden will.

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[175/0189] der ſchoͤnen laͤndlichen Natur uͤberhaupt. Feinheit des Gefuͤhls ſind; bey andern, deren Empfindung gleichſam mit einer har- ten Schale umgeben iſt, dringt es nicht durch. Die Schoͤnheit gebietet; die An- muthigkeit ſchmeichelt ſich ein. Bey dem Anmuthigen liegt alſo eine gewiſſe Maͤßigung zum Grunde; Maͤßi- gung in Licht und Farbe, Maͤßigung in der Bewegung, es ſey Bewegung fuͤr das Auge oder fuͤr das Ohr. Der Regenbogen in dem vollen Glanz ſeiner Farben iſt ſchoͤn; er iſt anmuthig in der allmaͤhligen Verloͤſchung ſeines Schimmers. Die freyen Stralen der Morgenſonne ſind ſchoͤn; anmuthig, wenn ſie gebrochen durch die gruͤnen Blaͤtter einer Laube fallen. Das gluͤhende Gold der Abendſonne am weſt- lichen Himmel iſt ſchoͤn; anmuthig der Widerſchein, das Spiel des Lichts, der da- zwiſchen aufſteigende Duft, womit ſie die Landſchaft uͤberſtreut. Die farbenreiche Tulpe iſt ſchoͤn, die beſcheidene Viole anmuthig; der Waſſerfall iſt ſchoͤn, die mur- melnde Quelle anmuthig; der frohe Schlag der Nachtigall iſt ſchoͤn, ihr Seufzer in der Abenddaͤmmerung anmuthig. Ich weiß nicht, ob das Gefuͤhl anderer mit dem meinigen in dieſem Punkte zuſammentrifft; indeſſen moͤchte ich faſt mit Gewißheit annehmen, daß der Unterſchied in den angegebenen Verhaͤltniſſen wirklich der iſt, wie ihn das Gefuͤhl beſtimmt, wenigſtens fuͤr uns ſo lange beſtimmt, bis ein deutlicher Begriff uns eines andern uͤberfuͤhren wuͤrde. Um der Gartenkunſt naͤher zu kommen, wird eine Beobachtung zu bemerken ſeyn, die in Anſehung des Anmuthigen einen allgemeinen Grundſatz anbietet. Wir finden, daß die Natur aus dem Anmuthigen und Lieblichen ſelten allein ein ganzes Gemaͤlde entwirft; vielmehr finden wir, daß ſie es unter dem Großen, Mannigfalti- gen und Schoͤnen vermiſcht. Wir ſehen auch, daß diejenigen Dichter, die man im engern Verſtande malende Dichter zu nennen pflegt, die uns die Jahreszeiten und laͤndliche Scenen ſchildern, ſich bey den Auftritten der Natur nicht auf das Anmuthi- ge allein einſchraͤnken, ſondern es in dem Ganzen ſtellenweiſe vertheilen. Die Natur iſt hier Lehrerinn. Sie vernachlaͤßigt nicht das Anmuthige, weil es ſeine Wirkung hat; allein ſie waͤhlt es auch nicht allein, weil ſodann ſeine Wirkung zu ſchwach ſeyn wuͤrde; ſie verbindet es vielmehr mit Gegenſtaͤnden von hoͤhern Kraͤften, um durch die Miſchung einen deſto mannigfaltigern und angenehmern Eindruck zu machen. Nach dieſer Anweiſung ſuche der Gartenkuͤnſtler anmuthige und liebliche Gegenſtaͤnde in der Natur fuͤr ſeinen Platz aus, ſehe ſie nicht als ein Ganzes, ſondern nur als Theile an, und vereinige ſie als ſolche mit dem uͤbrigen wichtigern Vorrath, woraus er ſein Werk bilden will. Weil

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/189>, abgerufen am 25.04.2024.