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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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der Landschaft und ihren Wirkungen.
regt erhabene Gedanken; sieht man es aber lange, so verliert es vieles von seinen Rei-
zungen. Hier hingegen ermüdet das Auge niemals."

Allein man muß so wenig in den Gärten, als in der Natur, überall freye Aus-
sichten haben wollen. Prospecte, die immer von allen Seiten vor den Augen offen
liegen, zerstreuen oder ermüden doch zuletzt; so wie eine ewige Klarheit des Himmels,
von keinem sanften Gewölke gemildert. Das Auge verlangt, wie der Geist, Ruhe-
punkte, gesperrte Plätze, wo es auf nahen Rasen, unter kühlen Schatten oder dem
Geplätscher eines Bachs sich wieder erfrischt. Der Genuß einer kleinen sanften Sce-
ne, die in einer angenehmen Dämmerung oder Verschließung ruht, ist nie beleben-
der, als nach der Wonne heller und ausgedehnter Prospecte. Verschiedene Arten
von Anlagen, als eine Einsiedeley, ein Bad, verlangen durchaus eine gesperrte Ge-
gend; und zuweilen ist es nöthig, einen Theil der Aussicht zu verschließen, um der
Zerstreuung des Auges vorzubeugen, oder einige Partien in einem schönern Lichte er-
scheinen zu lassen. Die Natur sperret in ihren Landschaften die Aussicht durch An-
höhen und Gehölze; der Gartenkünstler hat außer diesen Mitteln noch Gebäude.

Für Gegenden, die gar keine erfreuliche Aussichten liefern, als kahle Felder,
dürre Sandebenen, unfruchtbare Haiden, sumpfige Torfthäler, trübe Teiche mit
Weiden bepflanzt, überhaupt für Gegenden, die durch das Leere und Einförmige miß-
fallen, verlangt das Auge eine wohlthätige Verschließung.

Außerdem kann das Weitschweifige und Unbestimmte in den Aussichten durch
kluge Unterbrechungen mit Bäumen und Gruppen vortheilhaft verändert werden.
Eine Landschaft, deren verschiedene Theile von einander getrennt und gleichsam ver-
streut umherliegen, wird eine desto schlechtere Wirkung thun, je ausgedehnter sie ist.
Hier kann die gefällige Kunst ihren Beystand leisten. Durch einzelne Bäume und
kleine Gruppen, die sie hinpflanzt, können die Theile mehr verbunden, mehr zu einem
bestimmten Ganzen charakterisirt werden; dadurch gewinnt die Landschaft an Man-
nigfaltigkeit, und die Aussichten werden nicht allein vervielfältigt, sondern auch
reizender.

11.
Zufälligkeiten.

Die Natur hat eine Menge von zufälligen Erscheinungen, womit sie in ver-
schiedenen Jahreszeiten und in verschiedenen Tagesstunden ihre Landschaften verschö-
nert. Die mannigfaltigen Veränderungen bey dem Aufgang und Untergang der
Sonne; die verschiedenen Stellungen, Bewegungen und Malereyen der Wolken,

zumal

der Landſchaft und ihren Wirkungen.
regt erhabene Gedanken; ſieht man es aber lange, ſo verliert es vieles von ſeinen Rei-
zungen. Hier hingegen ermuͤdet das Auge niemals.“

Allein man muß ſo wenig in den Gaͤrten, als in der Natur, uͤberall freye Aus-
ſichten haben wollen. Proſpecte, die immer von allen Seiten vor den Augen offen
liegen, zerſtreuen oder ermuͤden doch zuletzt; ſo wie eine ewige Klarheit des Himmels,
von keinem ſanften Gewoͤlke gemildert. Das Auge verlangt, wie der Geiſt, Ruhe-
punkte, geſperrte Plaͤtze, wo es auf nahen Raſen, unter kuͤhlen Schatten oder dem
Geplaͤtſcher eines Bachs ſich wieder erfriſcht. Der Genuß einer kleinen ſanften Sce-
ne, die in einer angenehmen Daͤmmerung oder Verſchließung ruht, iſt nie beleben-
der, als nach der Wonne heller und ausgedehnter Proſpecte. Verſchiedene Arten
von Anlagen, als eine Einſiedeley, ein Bad, verlangen durchaus eine geſperrte Ge-
gend; und zuweilen iſt es noͤthig, einen Theil der Ausſicht zu verſchließen, um der
Zerſtreuung des Auges vorzubeugen, oder einige Partien in einem ſchoͤnern Lichte er-
ſcheinen zu laſſen. Die Natur ſperret in ihren Landſchaften die Ausſicht durch An-
hoͤhen und Gehoͤlze; der Gartenkuͤnſtler hat außer dieſen Mitteln noch Gebaͤude.

Fuͤr Gegenden, die gar keine erfreuliche Ausſichten liefern, als kahle Felder,
duͤrre Sandebenen, unfruchtbare Haiden, ſumpfige Torfthaͤler, truͤbe Teiche mit
Weiden bepflanzt, uͤberhaupt fuͤr Gegenden, die durch das Leere und Einfoͤrmige miß-
fallen, verlangt das Auge eine wohlthaͤtige Verſchließung.

Außerdem kann das Weitſchweifige und Unbeſtimmte in den Ausſichten durch
kluge Unterbrechungen mit Baͤumen und Gruppen vortheilhaft veraͤndert werden.
Eine Landſchaft, deren verſchiedene Theile von einander getrennt und gleichſam ver-
ſtreut umherliegen, wird eine deſto ſchlechtere Wirkung thun, je ausgedehnter ſie iſt.
Hier kann die gefaͤllige Kunſt ihren Beyſtand leiſten. Durch einzelne Baͤume und
kleine Gruppen, die ſie hinpflanzt, koͤnnen die Theile mehr verbunden, mehr zu einem
beſtimmten Ganzen charakteriſirt werden; dadurch gewinnt die Landſchaft an Man-
nigfaltigkeit, und die Ausſichten werden nicht allein vervielfaͤltigt, ſondern auch
reizender.

11.
Zufaͤlligkeiten.

Die Natur hat eine Menge von zufaͤlligen Erſcheinungen, womit ſie in ver-
ſchiedenen Jahreszeiten und in verſchiedenen Tagesſtunden ihre Landſchaften verſchoͤ-
nert. Die mannigfaltigen Veraͤnderungen bey dem Aufgang und Untergang der
Sonne; die verſchiedenen Stellungen, Bewegungen und Malereyen der Wolken,

zumal
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[207/0221] der Landſchaft und ihren Wirkungen. regt erhabene Gedanken; ſieht man es aber lange, ſo verliert es vieles von ſeinen Rei- zungen. Hier hingegen ermuͤdet das Auge niemals.“ Allein man muß ſo wenig in den Gaͤrten, als in der Natur, uͤberall freye Aus- ſichten haben wollen. Proſpecte, die immer von allen Seiten vor den Augen offen liegen, zerſtreuen oder ermuͤden doch zuletzt; ſo wie eine ewige Klarheit des Himmels, von keinem ſanften Gewoͤlke gemildert. Das Auge verlangt, wie der Geiſt, Ruhe- punkte, geſperrte Plaͤtze, wo es auf nahen Raſen, unter kuͤhlen Schatten oder dem Geplaͤtſcher eines Bachs ſich wieder erfriſcht. Der Genuß einer kleinen ſanften Sce- ne, die in einer angenehmen Daͤmmerung oder Verſchließung ruht, iſt nie beleben- der, als nach der Wonne heller und ausgedehnter Proſpecte. Verſchiedene Arten von Anlagen, als eine Einſiedeley, ein Bad, verlangen durchaus eine geſperrte Ge- gend; und zuweilen iſt es noͤthig, einen Theil der Ausſicht zu verſchließen, um der Zerſtreuung des Auges vorzubeugen, oder einige Partien in einem ſchoͤnern Lichte er- ſcheinen zu laſſen. Die Natur ſperret in ihren Landſchaften die Ausſicht durch An- hoͤhen und Gehoͤlze; der Gartenkuͤnſtler hat außer dieſen Mitteln noch Gebaͤude. Fuͤr Gegenden, die gar keine erfreuliche Ausſichten liefern, als kahle Felder, duͤrre Sandebenen, unfruchtbare Haiden, ſumpfige Torfthaͤler, truͤbe Teiche mit Weiden bepflanzt, uͤberhaupt fuͤr Gegenden, die durch das Leere und Einfoͤrmige miß- fallen, verlangt das Auge eine wohlthaͤtige Verſchließung. Außerdem kann das Weitſchweifige und Unbeſtimmte in den Ausſichten durch kluge Unterbrechungen mit Baͤumen und Gruppen vortheilhaft veraͤndert werden. Eine Landſchaft, deren verſchiedene Theile von einander getrennt und gleichſam ver- ſtreut umherliegen, wird eine deſto ſchlechtere Wirkung thun, je ausgedehnter ſie iſt. Hier kann die gefaͤllige Kunſt ihren Beyſtand leiſten. Durch einzelne Baͤume und kleine Gruppen, die ſie hinpflanzt, koͤnnen die Theile mehr verbunden, mehr zu einem beſtimmten Ganzen charakteriſirt werden; dadurch gewinnt die Landſchaft an Man- nigfaltigkeit, und die Ausſichten werden nicht allein vervielfaͤltigt, ſondern auch reizender. 11. Zufaͤlligkeiten. Die Natur hat eine Menge von zufaͤlligen Erſcheinungen, womit ſie in ver- ſchiedenen Jahreszeiten und in verſchiedenen Tagesſtunden ihre Landſchaften verſchoͤ- nert. Die mannigfaltigen Veraͤnderungen bey dem Aufgang und Untergang der Sonne; die verſchiedenen Stellungen, Bewegungen und Malereyen der Wolken, zumal

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/221>, abgerufen am 29.03.2024.