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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Erster Abschnitt.
mäßigern Abänderungen und Zusätzen zu Hülfe gekommen wären. Unterdessen daß
die neuen Anpflanzungen nicht gedeihen, oder nur langsam zu einer gewissen Vollkom-
menheit gelangen, wird man über den Entwurf müde, oder ändert von Zeit zu Zeit,
bis so viel geändert ist, daß dem Werke nicht mehr geholfen werden kann.

Vieles, das bey dem ersten Anschein Ueberfluß oder selbst Hinderniß scheint,
läßt sich bey näherer Betrachtung geschickt in den Plan einflechten. Ein Baum, der
ein halbes Jahrhundert zu seinem schönen Wuchs brauchte, wird oft, nicht ohne eine
Art von Verbrechen, einer Kleinigkeit wegen weggehauen. Ich würde selbst der hun-
dertjährigen Eiche mit ihrem halbverfaulten Stamme, mit ihren unförmlichen und
zum Theil verdorreten Aesten, noch schonen, und, wenn der Ort nicht widerspräche,
unter ihrem dürftigen Schatten eine Einsiedeley anlegen, wo Betrachtungen der Ver-
gänglichkeit einladen, unterdessen daß oben aus einer Höhle eine sympathisirende Eule
ihre Klage erhebt.

Man misdeute diese Bemerkung nicht. Was eine angenehme Aussicht merk-
lich stört, oder gar Widerspruch erregt, das haue man weg; so wie überhaupt der
Gartenkünstler, der pflanzt, auch den Beruf hat, alles fortzuschaffen, was zu stör-
risch ist, um sich auf irgend eine Weise mit dem Plan seiner höhern Verschönerung
vereinigen zu lassen. Nur ohne eine solche Nothwendigkeit verderbe man nichts. --
Daß der Herzog von Antin ein ganzes schönes Gehölz auf einmal umfällen ließ, um
blos einem augenblicklichen Einfall Ludewigs XIV. aufzuwarten, ist eine bekannte
Anekdote, die zur Beschämung ähnlicher Hofschmeichler länger bekannt zu bleiben
verdient.

8.

Ueber die Gränzen des Gartenplatzes lassen sich keine bestimmte Vorschriften
mittheilen, da sie, theils nach der Beschaffenheit der Gegend, theils nach der Ein-
richtung und Bestimmung des Gartens selbst, einer großen Abänderung unterworfen
sind; Verhältnisse, die nicht aus der Acht gelassen werden sollten. So viel läßt sich
indessen allgemein behaupten, daß sie nicht unter eine gewisse abgemessene Form, z. B.
von Viereck und dergleichen, zu zwingen sind, daß sie nicht zu merklich abgestochen
und genau ins Auge leuchten müssen, daß sie angenehmer ausfallen, wenn sie sich all-
mählig in die mehr nachlässige Landschaft verlieren, ohne daß durch Mauer oder Gra-
ben ein gar zu deutliches Gränzzeichen vorgelegt wird. Dadurch gewinnt ein Garten
nicht nur ein mehr natürliches Ansehen, sondern auch mehr Schein von Größe. Der
Anblick des Endes eines uns angenehmen Orts ist verdrießlich, so wie die Vorstel-
lung, daß man da wieder umkehren muß. Aber die Ausdehnung der Aussicht und

die

Erſter Abſchnitt.
maͤßigern Abaͤnderungen und Zuſaͤtzen zu Huͤlfe gekommen waͤren. Unterdeſſen daß
die neuen Anpflanzungen nicht gedeihen, oder nur langſam zu einer gewiſſen Vollkom-
menheit gelangen, wird man uͤber den Entwurf muͤde, oder aͤndert von Zeit zu Zeit,
bis ſo viel geaͤndert iſt, daß dem Werke nicht mehr geholfen werden kann.

Vieles, das bey dem erſten Anſchein Ueberfluß oder ſelbſt Hinderniß ſcheint,
laͤßt ſich bey naͤherer Betrachtung geſchickt in den Plan einflechten. Ein Baum, der
ein halbes Jahrhundert zu ſeinem ſchoͤnen Wuchs brauchte, wird oft, nicht ohne eine
Art von Verbrechen, einer Kleinigkeit wegen weggehauen. Ich wuͤrde ſelbſt der hun-
dertjaͤhrigen Eiche mit ihrem halbverfaulten Stamme, mit ihren unfoͤrmlichen und
zum Theil verdorreten Aeſten, noch ſchonen, und, wenn der Ort nicht widerſpraͤche,
unter ihrem duͤrftigen Schatten eine Einſiedeley anlegen, wo Betrachtungen der Ver-
gaͤnglichkeit einladen, unterdeſſen daß oben aus einer Hoͤhle eine ſympathiſirende Eule
ihre Klage erhebt.

Man misdeute dieſe Bemerkung nicht. Was eine angenehme Ausſicht merk-
lich ſtoͤrt, oder gar Widerſpruch erregt, das haue man weg; ſo wie uͤberhaupt der
Gartenkuͤnſtler, der pflanzt, auch den Beruf hat, alles fortzuſchaffen, was zu ſtoͤr-
riſch iſt, um ſich auf irgend eine Weiſe mit dem Plan ſeiner hoͤhern Verſchoͤnerung
vereinigen zu laſſen. Nur ohne eine ſolche Nothwendigkeit verderbe man nichts. —
Daß der Herzog von Antin ein ganzes ſchoͤnes Gehoͤlz auf einmal umfaͤllen ließ, um
blos einem augenblicklichen Einfall Ludewigs XIV. aufzuwarten, iſt eine bekannte
Anekdote, die zur Beſchaͤmung aͤhnlicher Hofſchmeichler laͤnger bekannt zu bleiben
verdient.

8.

Ueber die Graͤnzen des Gartenplatzes laſſen ſich keine beſtimmte Vorſchriften
mittheilen, da ſie, theils nach der Beſchaffenheit der Gegend, theils nach der Ein-
richtung und Beſtimmung des Gartens ſelbſt, einer großen Abaͤnderung unterworfen
ſind; Verhaͤltniſſe, die nicht aus der Acht gelaſſen werden ſollten. So viel laͤßt ſich
indeſſen allgemein behaupten, daß ſie nicht unter eine gewiſſe abgemeſſene Form, z. B.
von Viereck und dergleichen, zu zwingen ſind, daß ſie nicht zu merklich abgeſtochen
und genau ins Auge leuchten muͤſſen, daß ſie angenehmer ausfallen, wenn ſie ſich all-
maͤhlig in die mehr nachlaͤſſige Landſchaft verlieren, ohne daß durch Mauer oder Gra-
ben ein gar zu deutliches Graͤnzzeichen vorgelegt wird. Dadurch gewinnt ein Garten
nicht nur ein mehr natuͤrliches Anſehen, ſondern auch mehr Schein von Groͤße. Der
Anblick des Endes eines uns angenehmen Orts iſt verdrießlich, ſo wie die Vorſtel-
lung, daß man da wieder umkehren muß. Aber die Ausdehnung der Ausſicht und

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[12/0016] Erſter Abſchnitt. maͤßigern Abaͤnderungen und Zuſaͤtzen zu Huͤlfe gekommen waͤren. Unterdeſſen daß die neuen Anpflanzungen nicht gedeihen, oder nur langſam zu einer gewiſſen Vollkom- menheit gelangen, wird man uͤber den Entwurf muͤde, oder aͤndert von Zeit zu Zeit, bis ſo viel geaͤndert iſt, daß dem Werke nicht mehr geholfen werden kann. Vieles, das bey dem erſten Anſchein Ueberfluß oder ſelbſt Hinderniß ſcheint, laͤßt ſich bey naͤherer Betrachtung geſchickt in den Plan einflechten. Ein Baum, der ein halbes Jahrhundert zu ſeinem ſchoͤnen Wuchs brauchte, wird oft, nicht ohne eine Art von Verbrechen, einer Kleinigkeit wegen weggehauen. Ich wuͤrde ſelbſt der hun- dertjaͤhrigen Eiche mit ihrem halbverfaulten Stamme, mit ihren unfoͤrmlichen und zum Theil verdorreten Aeſten, noch ſchonen, und, wenn der Ort nicht widerſpraͤche, unter ihrem duͤrftigen Schatten eine Einſiedeley anlegen, wo Betrachtungen der Ver- gaͤnglichkeit einladen, unterdeſſen daß oben aus einer Hoͤhle eine ſympathiſirende Eule ihre Klage erhebt. Man misdeute dieſe Bemerkung nicht. Was eine angenehme Ausſicht merk- lich ſtoͤrt, oder gar Widerſpruch erregt, das haue man weg; ſo wie uͤberhaupt der Gartenkuͤnſtler, der pflanzt, auch den Beruf hat, alles fortzuſchaffen, was zu ſtoͤr- riſch iſt, um ſich auf irgend eine Weiſe mit dem Plan ſeiner hoͤhern Verſchoͤnerung vereinigen zu laſſen. Nur ohne eine ſolche Nothwendigkeit verderbe man nichts. — Daß der Herzog von Antin ein ganzes ſchoͤnes Gehoͤlz auf einmal umfaͤllen ließ, um blos einem augenblicklichen Einfall Ludewigs XIV. aufzuwarten, iſt eine bekannte Anekdote, die zur Beſchaͤmung aͤhnlicher Hofſchmeichler laͤnger bekannt zu bleiben verdient. 8. Ueber die Graͤnzen des Gartenplatzes laſſen ſich keine beſtimmte Vorſchriften mittheilen, da ſie, theils nach der Beſchaffenheit der Gegend, theils nach der Ein- richtung und Beſtimmung des Gartens ſelbſt, einer großen Abaͤnderung unterworfen ſind; Verhaͤltniſſe, die nicht aus der Acht gelaſſen werden ſollten. So viel laͤßt ſich indeſſen allgemein behaupten, daß ſie nicht unter eine gewiſſe abgemeſſene Form, z. B. von Viereck und dergleichen, zu zwingen ſind, daß ſie nicht zu merklich abgeſtochen und genau ins Auge leuchten muͤſſen, daß ſie angenehmer ausfallen, wenn ſie ſich all- maͤhlig in die mehr nachlaͤſſige Landſchaft verlieren, ohne daß durch Mauer oder Gra- ben ein gar zu deutliches Graͤnzzeichen vorgelegt wird. Dadurch gewinnt ein Garten nicht nur ein mehr natuͤrliches Anſehen, ſondern auch mehr Schein von Groͤße. Der Anblick des Endes eines uns angenehmen Orts iſt verdrießlich, ſo wie die Vorſtel- lung, daß man da wieder umkehren muß. Aber die Ausdehnung der Ausſicht und die

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/16>, abgerufen am 18.04.2024.