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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Vom Wasser.
sich nicht unter irgend einer Gestalt schickte; keine ist so groß, die dadurch nicht noch an
Lebhaftigkeit und Stärke, keine so glänzend, die nicht an Pracht gewinnen sollte. Das
Wasser kann in allen Arten von Gegenden, in den angenehmen, heitern, lebhaften,
einsamen, melancholischen, romantischen, feyerlichen, wiewohl unter verschiedenen
Charakteren und Bildungen, mit Vortheil erscheinen. Auch ohne auf seine verschie-
denen interessanten Wirkungen zu sehen, gefällt es überall; man erfreut sich, wo man
es erblickt, wenn es nur rein und frey ist; Leben und Erfrischung fließen mit ihm
daher.

So widerspenstig und unbändig auch das Wasser in einigen Massen und Cha-
rakteren ist, so gehorcht es doch in den übrigen Fällen der Macht des Menschen. Er
kann es leiten und bilden, wie er will. Er kann ihm Ruhe oder Bewegung geben,
Ausdehnung oder Einschränkung, Abänderung und Verzierung seiner Ufer, Helle
oder Ueberschattung, jede Abwechselung des Tons von dem sanften Gemurmel eines
zum Schlummer einladenden Bachs bis zu dem wilden Getöse eines Wasserfalls, der
den Wanderer schreckt. Er kann durch Anlage und Verbindung mit andern Gegen-
ständen seine Wirkungen gewisser, stärker und interessanter machen, alle Scenen da-
durch verändern, und alle Empfindungen aufbieten.

Dennoch hat sich der Mensch mit den mannichfaltigen Charakteren, worin ihn
die Natur das Wasser sehen läßt, nicht begnügen wollen. Noch nicht zufrieden, daß
das Wasser bald stehend, bald laufend, bald fallend, und zwar unter so vielen Ab-
wechselungen der Größe, der Bewegung, des Geräusches und tausend Zufälligkeiten
erschien, zwang er es in die Höhe zu springen.

Die Springwasser, welche die Kunst noch zu den natürlichen Charakteren des
Wassers hinzugefügt hat, waren schon den Alten bekannt, und in den Gärten des rö-
mischen Italiens
nicht selten. Die Liebe zu dem Neuen und Sonderbaren hat wohl
an ihrer Erfindung nicht weniger Antheil, als die Absicht, sich auf einem kleinen Platz
das Vergnügen der Kühlung und des Geplätschers bequem zu verschaffen.

Man darf die Springwasser eben nicht aus dem Grunde, weil sie durch die
Kunst hervorgebracht sind, verwerfen. Freylich herrschten sie in der kunstvollen Ma-
nier des le Notre überall, und verdrängten den anmuthigen Bach und den edlen Was-
serfall. Allein dadurch, daß sie in die Höhe getrieben werden, fangen sie noch nicht
an, gegen die Natur zu streiten. Denn auch die Natur zeigt springendes Wasser, wie-
wohl als eine seltene Erscheinung.

Man bemerkt z. B. in Island an verschiedenen Stellen, hin und wieder
im Lande, und meistens in der Entfernung von den Vulcanen, sogar auf der Spitze
der Eisberge, eine Menge von heißen springenden Wasserquellen. Nirgends in der

bekann-
Q 3

Vom Waſſer.
ſich nicht unter irgend einer Geſtalt ſchickte; keine iſt ſo groß, die dadurch nicht noch an
Lebhaftigkeit und Staͤrke, keine ſo glaͤnzend, die nicht an Pracht gewinnen ſollte. Das
Waſſer kann in allen Arten von Gegenden, in den angenehmen, heitern, lebhaften,
einſamen, melancholiſchen, romantiſchen, feyerlichen, wiewohl unter verſchiedenen
Charakteren und Bildungen, mit Vortheil erſcheinen. Auch ohne auf ſeine verſchie-
denen intereſſanten Wirkungen zu ſehen, gefaͤllt es uͤberall; man erfreut ſich, wo man
es erblickt, wenn es nur rein und frey iſt; Leben und Erfriſchung fließen mit ihm
daher.

So widerſpenſtig und unbaͤndig auch das Waſſer in einigen Maſſen und Cha-
rakteren iſt, ſo gehorcht es doch in den uͤbrigen Faͤllen der Macht des Menſchen. Er
kann es leiten und bilden, wie er will. Er kann ihm Ruhe oder Bewegung geben,
Ausdehnung oder Einſchraͤnkung, Abaͤnderung und Verzierung ſeiner Ufer, Helle
oder Ueberſchattung, jede Abwechſelung des Tons von dem ſanften Gemurmel eines
zum Schlummer einladenden Bachs bis zu dem wilden Getoͤſe eines Waſſerfalls, der
den Wanderer ſchreckt. Er kann durch Anlage und Verbindung mit andern Gegen-
ſtaͤnden ſeine Wirkungen gewiſſer, ſtaͤrker und intereſſanter machen, alle Scenen da-
durch veraͤndern, und alle Empfindungen aufbieten.

Dennoch hat ſich der Menſch mit den mannichfaltigen Charakteren, worin ihn
die Natur das Waſſer ſehen laͤßt, nicht begnuͤgen wollen. Noch nicht zufrieden, daß
das Waſſer bald ſtehend, bald laufend, bald fallend, und zwar unter ſo vielen Ab-
wechſelungen der Groͤße, der Bewegung, des Geraͤuſches und tauſend Zufaͤlligkeiten
erſchien, zwang er es in die Hoͤhe zu ſpringen.

Die Springwaſſer, welche die Kunſt noch zu den natuͤrlichen Charakteren des
Waſſers hinzugefuͤgt hat, waren ſchon den Alten bekannt, und in den Gaͤrten des roͤ-
miſchen Italiens
nicht ſelten. Die Liebe zu dem Neuen und Sonderbaren hat wohl
an ihrer Erfindung nicht weniger Antheil, als die Abſicht, ſich auf einem kleinen Platz
das Vergnuͤgen der Kuͤhlung und des Geplaͤtſchers bequem zu verſchaffen.

Man darf die Springwaſſer eben nicht aus dem Grunde, weil ſie durch die
Kunſt hervorgebracht ſind, verwerfen. Freylich herrſchten ſie in der kunſtvollen Ma-
nier des le Notre uͤberall, und verdraͤngten den anmuthigen Bach und den edlen Waſ-
ſerfall. Allein dadurch, daß ſie in die Hoͤhe getrieben werden, fangen ſie noch nicht
an, gegen die Natur zu ſtreiten. Denn auch die Natur zeigt ſpringendes Waſſer, wie-
wohl als eine ſeltene Erſcheinung.

Man bemerkt z. B. in Island an verſchiedenen Stellen, hin und wieder
im Lande, und meiſtens in der Entfernung von den Vulcanen, ſogar auf der Spitze
der Eisberge, eine Menge von heißen ſpringenden Waſſerquellen. Nirgends in der

bekann-
Q 3
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[125/0129] Vom Waſſer. ſich nicht unter irgend einer Geſtalt ſchickte; keine iſt ſo groß, die dadurch nicht noch an Lebhaftigkeit und Staͤrke, keine ſo glaͤnzend, die nicht an Pracht gewinnen ſollte. Das Waſſer kann in allen Arten von Gegenden, in den angenehmen, heitern, lebhaften, einſamen, melancholiſchen, romantiſchen, feyerlichen, wiewohl unter verſchiedenen Charakteren und Bildungen, mit Vortheil erſcheinen. Auch ohne auf ſeine verſchie- denen intereſſanten Wirkungen zu ſehen, gefaͤllt es uͤberall; man erfreut ſich, wo man es erblickt, wenn es nur rein und frey iſt; Leben und Erfriſchung fließen mit ihm daher. So widerſpenſtig und unbaͤndig auch das Waſſer in einigen Maſſen und Cha- rakteren iſt, ſo gehorcht es doch in den uͤbrigen Faͤllen der Macht des Menſchen. Er kann es leiten und bilden, wie er will. Er kann ihm Ruhe oder Bewegung geben, Ausdehnung oder Einſchraͤnkung, Abaͤnderung und Verzierung ſeiner Ufer, Helle oder Ueberſchattung, jede Abwechſelung des Tons von dem ſanften Gemurmel eines zum Schlummer einladenden Bachs bis zu dem wilden Getoͤſe eines Waſſerfalls, der den Wanderer ſchreckt. Er kann durch Anlage und Verbindung mit andern Gegen- ſtaͤnden ſeine Wirkungen gewiſſer, ſtaͤrker und intereſſanter machen, alle Scenen da- durch veraͤndern, und alle Empfindungen aufbieten. Dennoch hat ſich der Menſch mit den mannichfaltigen Charakteren, worin ihn die Natur das Waſſer ſehen laͤßt, nicht begnuͤgen wollen. Noch nicht zufrieden, daß das Waſſer bald ſtehend, bald laufend, bald fallend, und zwar unter ſo vielen Ab- wechſelungen der Groͤße, der Bewegung, des Geraͤuſches und tauſend Zufaͤlligkeiten erſchien, zwang er es in die Hoͤhe zu ſpringen. Die Springwaſſer, welche die Kunſt noch zu den natuͤrlichen Charakteren des Waſſers hinzugefuͤgt hat, waren ſchon den Alten bekannt, und in den Gaͤrten des roͤ- miſchen Italiens nicht ſelten. Die Liebe zu dem Neuen und Sonderbaren hat wohl an ihrer Erfindung nicht weniger Antheil, als die Abſicht, ſich auf einem kleinen Platz das Vergnuͤgen der Kuͤhlung und des Geplaͤtſchers bequem zu verſchaffen. Man darf die Springwaſſer eben nicht aus dem Grunde, weil ſie durch die Kunſt hervorgebracht ſind, verwerfen. Freylich herrſchten ſie in der kunſtvollen Ma- nier des le Notre uͤberall, und verdraͤngten den anmuthigen Bach und den edlen Waſ- ſerfall. Allein dadurch, daß ſie in die Hoͤhe getrieben werden, fangen ſie noch nicht an, gegen die Natur zu ſtreiten. Denn auch die Natur zeigt ſpringendes Waſſer, wie- wohl als eine ſeltene Erſcheinung. Man bemerkt z. B. in Island an verſchiedenen Stellen, hin und wieder im Lande, und meiſtens in der Entfernung von den Vulcanen, ſogar auf der Spitze der Eisberge, eine Menge von heißen ſpringenden Waſſerquellen. Nirgends in der bekann- Q 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/129>, abgerufen am 28.03.2024.