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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Sechster Abschnitt.
sind. Da, wo weite Aussichten sich eröffnen sollen, wo die Ergötzung der Ausdeh-
nung und Größe gesucht wird, wo der Blick auf einen vorliegenden interessanten
Gegenstand, der die Erwartung unterhalten soll, unverrückt zu heften ist, da laufen
die Wege am besten in der geraden Linie fort. In einer völlig geraden und flachen
Ebene würde ein gekrümmter Pfad widersinnig scheinen. Wo man auf den Seiten
nichts zu zeigen hat, wo die Ausschweisungen der Gänge auf keine neue Gesichts-
punkte und Abwechselungen führen würden, wo man keine andere Absicht hat, als
bequem und bald nach einer bestimmten Stelle zu kommen, da verdient ohne Zweifel
der gerade Weg den Vorzug. Außer allen diesen Fällen ist die gerade Linie oft blos
des Contrastes und der Unterbrechung wegen nöthig. In ausgedehnten Gartenrevie-
ten würden lauter gekrümmte Gänge eben so, wie lauter gerade laufende, dem Gan-
zen ein Gepräge von verdrüßlicher Einförmigkeit mittheilen. Allein eine verständi-
ge Vermischung beyder Arten wird in einem weitläustigen Raum nicht allein nöthig,
sondern auch der Abwechselung wegen angenehm. Wo Boden und Absicht es erfor-
dern, da lasse man die gerade Linie eine Strecke fortlaufen; man unterbreche sie wie-
der mit der gekrümmten, wo diese sich mit Vortheil anbietet.

Der gekrümmte Gang wird zuerst von der Nothwendigkeit vorgeschrieben, wo
der geraden Linie sich Vertiefungen oder Erhöhungen des Bodens, Bäume, Was-
ser und andere Hindernisse der Natur entgegenstellen. Aber er wird auch außerdem
mit Vorbedacht und Geschmack gewählt. Er ist besonders den Scenen und An-
pflanzungen angemessen, zwischen welchen man mit Ruhe und Betrachtung, und
mit einer allmählig fortschreitenden Unterhaltung umherwandeln, wo das Auge stu-
fenweise von einem Gegenstande zu dem andern, von einem Gesichtspunkte zu dem
andern geleitet werden soll. In Lusthainen und Gebüschen, in Wildnissen an den
Ufern der Gewässer, streift man gerne auf sich krümmenden Pfaden umher; gerne
schleicht man auf ihnen in waldigte Tiefen und dunkle Einsiedeleyen hinab; gerne
windet man sich auf ihnen zu Anhöhen in der Runde hinauf, wodurch allmählig eine
Vervielfältigung und beständige Abwechselung der Prospecte entsteht. In Gärten
von einem kleinern Umfang können gewundene Gänge auch dazu dienen, daß sie einen
Schein der Vergrößerung erregen.

Jedoch ist bey den gekrümmten Wegen zuvörderst jedes Kennzeichen der Kunst
zu vermeiden. Die Wendungen müssen überall natürlich seyn; es muß keine Fort-
schreitung, keine Einbiegung, kein Auslauf vorkommen, die nicht aus der Beschaf-
fenheit des Bodens entsprungen scheinen, und mit der Lage der Gegenstände, die sich
auf ihm befinden, übereinstimmen. Ein einzelner Baum kann oft einen erheblichen

Unter-

Sechſter Abſchnitt.
ſind. Da, wo weite Ausſichten ſich eroͤffnen ſollen, wo die Ergoͤtzung der Ausdeh-
nung und Groͤße geſucht wird, wo der Blick auf einen vorliegenden intereſſanten
Gegenſtand, der die Erwartung unterhalten ſoll, unverruͤckt zu heften iſt, da laufen
die Wege am beſten in der geraden Linie fort. In einer voͤllig geraden und flachen
Ebene wuͤrde ein gekruͤmmter Pfad widerſinnig ſcheinen. Wo man auf den Seiten
nichts zu zeigen hat, wo die Ausſchweiſungen der Gaͤnge auf keine neue Geſichts-
punkte und Abwechſelungen fuͤhren wuͤrden, wo man keine andere Abſicht hat, als
bequem und bald nach einer beſtimmten Stelle zu kommen, da verdient ohne Zweifel
der gerade Weg den Vorzug. Außer allen dieſen Faͤllen iſt die gerade Linie oft blos
des Contraſtes und der Unterbrechung wegen noͤthig. In ausgedehnten Gartenrevie-
ten wuͤrden lauter gekruͤmmte Gaͤnge eben ſo, wie lauter gerade laufende, dem Gan-
zen ein Gepraͤge von verdruͤßlicher Einfoͤrmigkeit mittheilen. Allein eine verſtaͤndi-
ge Vermiſchung beyder Arten wird in einem weitlaͤuſtigen Raum nicht allein noͤthig,
ſondern auch der Abwechſelung wegen angenehm. Wo Boden und Abſicht es erfor-
dern, da laſſe man die gerade Linie eine Strecke fortlaufen; man unterbreche ſie wie-
der mit der gekruͤmmten, wo dieſe ſich mit Vortheil anbietet.

Der gekruͤmmte Gang wird zuerſt von der Nothwendigkeit vorgeſchrieben, wo
der geraden Linie ſich Vertiefungen oder Erhoͤhungen des Bodens, Baͤume, Waſ-
ſer und andere Hinderniſſe der Natur entgegenſtellen. Aber er wird auch außerdem
mit Vorbedacht und Geſchmack gewaͤhlt. Er iſt beſonders den Scenen und An-
pflanzungen angemeſſen, zwiſchen welchen man mit Ruhe und Betrachtung, und
mit einer allmaͤhlig fortſchreitenden Unterhaltung umherwandeln, wo das Auge ſtu-
fenweiſe von einem Gegenſtande zu dem andern, von einem Geſichtspunkte zu dem
andern geleitet werden ſoll. In Luſthainen und Gebuͤſchen, in Wildniſſen an den
Ufern der Gewaͤſſer, ſtreift man gerne auf ſich kruͤmmenden Pfaden umher; gerne
ſchleicht man auf ihnen in waldigte Tiefen und dunkle Einſiedeleyen hinab; gerne
windet man ſich auf ihnen zu Anhoͤhen in der Runde hinauf, wodurch allmaͤhlig eine
Vervielfaͤltigung und beſtaͤndige Abwechſelung der Proſpecte entſteht. In Gaͤrten
von einem kleinern Umfang koͤnnen gewundene Gaͤnge auch dazu dienen, daß ſie einen
Schein der Vergroͤßerung erregen.

Jedoch iſt bey den gekruͤmmten Wegen zuvoͤrderſt jedes Kennzeichen der Kunſt
zu vermeiden. Die Wendungen muͤſſen uͤberall natuͤrlich ſeyn; es muß keine Fort-
ſchreitung, keine Einbiegung, kein Auslauf vorkommen, die nicht aus der Beſchaf-
fenheit des Bodens entſprungen ſcheinen, und mit der Lage der Gegenſtaͤnde, die ſich
auf ihm befinden, uͤbereinſtimmen. Ein einzelner Baum kann oft einen erheblichen

Unter-
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[132/0136] Sechſter Abſchnitt. ſind. Da, wo weite Ausſichten ſich eroͤffnen ſollen, wo die Ergoͤtzung der Ausdeh- nung und Groͤße geſucht wird, wo der Blick auf einen vorliegenden intereſſanten Gegenſtand, der die Erwartung unterhalten ſoll, unverruͤckt zu heften iſt, da laufen die Wege am beſten in der geraden Linie fort. In einer voͤllig geraden und flachen Ebene wuͤrde ein gekruͤmmter Pfad widerſinnig ſcheinen. Wo man auf den Seiten nichts zu zeigen hat, wo die Ausſchweiſungen der Gaͤnge auf keine neue Geſichts- punkte und Abwechſelungen fuͤhren wuͤrden, wo man keine andere Abſicht hat, als bequem und bald nach einer beſtimmten Stelle zu kommen, da verdient ohne Zweifel der gerade Weg den Vorzug. Außer allen dieſen Faͤllen iſt die gerade Linie oft blos des Contraſtes und der Unterbrechung wegen noͤthig. In ausgedehnten Gartenrevie- ten wuͤrden lauter gekruͤmmte Gaͤnge eben ſo, wie lauter gerade laufende, dem Gan- zen ein Gepraͤge von verdruͤßlicher Einfoͤrmigkeit mittheilen. Allein eine verſtaͤndi- ge Vermiſchung beyder Arten wird in einem weitlaͤuſtigen Raum nicht allein noͤthig, ſondern auch der Abwechſelung wegen angenehm. Wo Boden und Abſicht es erfor- dern, da laſſe man die gerade Linie eine Strecke fortlaufen; man unterbreche ſie wie- der mit der gekruͤmmten, wo dieſe ſich mit Vortheil anbietet. Der gekruͤmmte Gang wird zuerſt von der Nothwendigkeit vorgeſchrieben, wo der geraden Linie ſich Vertiefungen oder Erhoͤhungen des Bodens, Baͤume, Waſ- ſer und andere Hinderniſſe der Natur entgegenſtellen. Aber er wird auch außerdem mit Vorbedacht und Geſchmack gewaͤhlt. Er iſt beſonders den Scenen und An- pflanzungen angemeſſen, zwiſchen welchen man mit Ruhe und Betrachtung, und mit einer allmaͤhlig fortſchreitenden Unterhaltung umherwandeln, wo das Auge ſtu- fenweiſe von einem Gegenſtande zu dem andern, von einem Geſichtspunkte zu dem andern geleitet werden ſoll. In Luſthainen und Gebuͤſchen, in Wildniſſen an den Ufern der Gewaͤſſer, ſtreift man gerne auf ſich kruͤmmenden Pfaden umher; gerne ſchleicht man auf ihnen in waldigte Tiefen und dunkle Einſiedeleyen hinab; gerne windet man ſich auf ihnen zu Anhoͤhen in der Runde hinauf, wodurch allmaͤhlig eine Vervielfaͤltigung und beſtaͤndige Abwechſelung der Proſpecte entſteht. In Gaͤrten von einem kleinern Umfang koͤnnen gewundene Gaͤnge auch dazu dienen, daß ſie einen Schein der Vergroͤßerung erregen. Jedoch iſt bey den gekruͤmmten Wegen zuvoͤrderſt jedes Kennzeichen der Kunſt zu vermeiden. Die Wendungen muͤſſen uͤberall natuͤrlich ſeyn; es muß keine Fort- ſchreitung, keine Einbiegung, kein Auslauf vorkommen, die nicht aus der Beſchaf- fenheit des Bodens entſprungen ſcheinen, und mit der Lage der Gegenſtaͤnde, die ſich auf ihm befinden, uͤbereinſtimmen. Ein einzelner Baum kann oft einen erheblichen Unter-

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/136>, abgerufen am 19.04.2024.