Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom Baumwerk.
4.

Inzwischen sind Alleen, als besondere Zugänge zu den Landsitzen, sehr entbehr-
lich. Bey manchen Lagen, deren Eigenthümliches in dem Freyen und Luftigen be-
steht, würden sie sogar von einer nachtheiligen Wirkung seyn. Man hat sie vornehm-
lich bey Wohnhäusern eingeführt, die in der Ebene liegen. Nicht selten verbergen sie
den Anblick eines schönen Gebäudes aus der Ferne; auch versperren sie, von dem Hause
aus betrachtet, zuweilen alle erfreuende Aussichten in die Landschaft, und verbreiten
über den Sitz des Vergnügens ein dunkles Ansehen.

Nach dieser Wirkung, die so wenig heitern Landhäusern zustimmt, sehen wir
doch hohe und weite Alleen noch jetzt nicht ungern als Zugänge zu alten gothischen
Schlössern. Sie haben hier nicht blos das Schickliche, sondern auch das Ehrwürdi-
ge und Feyerliche, das wir unter den hohen Gewölbern und in den langen dunklen Gän-
gen der Domkirchen und alter Klöster zu empfinden pflegen. Die Höhe und die Dun-
kelheit erheben die Seele. Sie glaubt in die Zeiten der ehrwürdigen Vorwelt versetzt
zu seyn. Die Bäume, die ihr Moos in den Wolken verhüllen und seit Jahrhunderten
stehen, unterdessen daß ganze Menschengeschlechter untergiengen, die starken und plumpen
Massen von Gemäuer, die zerstörten Wohnungen alter Helden, die hin und wieder erschei-
nenden Spuren von der Gewalt und von der Schwäche der Zeit, von Hinfälligkeit und
von Dauer, von Rohigkeit des Gefühls und von gesunder Kraft der Vernunft -- alles
dieses giebt ein Gemisch sehr interessanter Bewegungen von Erstaunen und von Furcht,
von Bewunderung und von Bedauern, von Ehrfurcht und von Selbstschätzung.

Niedrige und dunkle Alleen, die man oft mit dem Namen philosophischer Gänge
zu bezeichnen pflegt, müssen mit Scenen von diesem Charakter, z. B. mit Grotten, Ein-
siedeleyen, eine Verbindung haben, zu ihnen führen, oder von ihnen ablaufen. Sie ma-
chen ein Zubehör einer einzelnen Parthie aus, und müssen daher eine verhältnißmäßige
Einschränkung haben. In einer gewissen Entfernung von dem Auftritte, dem sie an-
gehören, können sie selbst zu Mitteln der Ueberraschung dienen, indem sie plötzlich auf
heitre Aussichten fallen lassen.

Man wird übrigens leicht zugestehen, daß die natürlichen Arten der Anordnung
des Baumwerks, die wir bey den Gruppen, Hainen und Wäldern bemerkt haben, dem
reinen Geschmack der Natur und der Bestimmung der Gärten mehr angemessen sind,
und daher vor den Zusammensetzungen der Kunst ihre Vorrechte behaupten.

Les Arts, ces esclaves serviles
De nos Desirs effemines,
Transportent le luxe de villes
Au milieu des champs etounes.
No
J 3.
Vom Baumwerk.
4.

Inzwiſchen ſind Alleen, als beſondere Zugaͤnge zu den Landſitzen, ſehr entbehr-
lich. Bey manchen Lagen, deren Eigenthuͤmliches in dem Freyen und Luftigen be-
ſteht, wuͤrden ſie ſogar von einer nachtheiligen Wirkung ſeyn. Man hat ſie vornehm-
lich bey Wohnhaͤuſern eingefuͤhrt, die in der Ebene liegen. Nicht ſelten verbergen ſie
den Anblick eines ſchoͤnen Gebaͤudes aus der Ferne; auch verſperren ſie, von dem Hauſe
aus betrachtet, zuweilen alle erfreuende Ausſichten in die Landſchaft, und verbreiten
uͤber den Sitz des Vergnuͤgens ein dunkles Anſehen.

Nach dieſer Wirkung, die ſo wenig heitern Landhaͤuſern zuſtimmt, ſehen wir
doch hohe und weite Alleen noch jetzt nicht ungern als Zugaͤnge zu alten gothiſchen
Schloͤſſern. Sie haben hier nicht blos das Schickliche, ſondern auch das Ehrwuͤrdi-
ge und Feyerliche, das wir unter den hohen Gewoͤlbern und in den langen dunklen Gaͤn-
gen der Domkirchen und alter Kloͤſter zu empfinden pflegen. Die Hoͤhe und die Dun-
kelheit erheben die Seele. Sie glaubt in die Zeiten der ehrwuͤrdigen Vorwelt verſetzt
zu ſeyn. Die Baͤume, die ihr Moos in den Wolken verhuͤllen und ſeit Jahrhunderten
ſtehen, unterdeſſen daß ganze Menſchengeſchlechter untergiengen, die ſtarken und plumpen
Maſſen von Gemaͤuer, die zerſtoͤrten Wohnungen alter Helden, die hin und wieder erſchei-
nenden Spuren von der Gewalt und von der Schwaͤche der Zeit, von Hinfaͤlligkeit und
von Dauer, von Rohigkeit des Gefuͤhls und von geſunder Kraft der Vernunft — alles
dieſes giebt ein Gemiſch ſehr intereſſanter Bewegungen von Erſtaunen und von Furcht,
von Bewunderung und von Bedauern, von Ehrfurcht und von Selbſtſchaͤtzung.

Niedrige und dunkle Alleen, die man oft mit dem Namen philoſophiſcher Gaͤnge
zu bezeichnen pflegt, muͤſſen mit Scenen von dieſem Charakter, z. B. mit Grotten, Ein-
ſiedeleyen, eine Verbindung haben, zu ihnen fuͤhren, oder von ihnen ablaufen. Sie ma-
chen ein Zubehoͤr einer einzelnen Parthie aus, und muͤſſen daher eine verhaͤltnißmaͤßige
Einſchraͤnkung haben. In einer gewiſſen Entfernung von dem Auftritte, dem ſie an-
gehoͤren, koͤnnen ſie ſelbſt zu Mitteln der Ueberraſchung dienen, indem ſie ploͤtzlich auf
heitre Ausſichten fallen laſſen.

Man wird uͤbrigens leicht zugeſtehen, daß die natuͤrlichen Arten der Anordnung
des Baumwerks, die wir bey den Gruppen, Hainen und Waͤldern bemerkt haben, dem
reinen Geſchmack der Natur und der Beſtimmung der Gaͤrten mehr angemeſſen ſind,
und daher vor den Zuſammenſetzungen der Kunſt ihre Vorrechte behaupten.

Les Arts, ces eſclaves ſerviles
De nos Deſirs efféminés,
Transportent le luxe de villes
Au milieu des champs étounés.
No
J 3.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <div n="5">
              <div n="6">
                <pb facs="#f0073" n="69"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vom Baumwerk.</hi> </fw><lb/>
                <div n="7">
                  <head>4.</head><lb/>
                  <p>Inzwi&#x017F;chen &#x017F;ind Alleen, als be&#x017F;ondere Zuga&#x0364;nge zu den Land&#x017F;itzen, &#x017F;ehr entbehr-<lb/>
lich. Bey manchen Lagen, deren Eigenthu&#x0364;mliches in dem Freyen und Luftigen be-<lb/>
&#x017F;teht, wu&#x0364;rden &#x017F;ie &#x017F;ogar von einer nachtheiligen Wirkung &#x017F;eyn. Man hat &#x017F;ie vornehm-<lb/>
lich bey Wohnha&#x0364;u&#x017F;ern eingefu&#x0364;hrt, die in der Ebene liegen. Nicht &#x017F;elten verbergen &#x017F;ie<lb/>
den Anblick eines &#x017F;cho&#x0364;nen Geba&#x0364;udes aus der Ferne; auch ver&#x017F;perren &#x017F;ie, von dem Hau&#x017F;e<lb/>
aus betrachtet, zuweilen alle erfreuende Aus&#x017F;ichten in die Land&#x017F;chaft, und verbreiten<lb/>
u&#x0364;ber den Sitz des Vergnu&#x0364;gens ein dunkles An&#x017F;ehen.</p><lb/>
                  <p>Nach die&#x017F;er Wirkung, die &#x017F;o wenig heitern Landha&#x0364;u&#x017F;ern zu&#x017F;timmt, &#x017F;ehen wir<lb/>
doch hohe und weite Alleen noch jetzt nicht ungern als Zuga&#x0364;nge zu alten gothi&#x017F;chen<lb/>
Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern. Sie haben hier nicht blos das Schickliche, &#x017F;ondern auch das Ehrwu&#x0364;rdi-<lb/>
ge und Feyerliche, das wir unter den hohen Gewo&#x0364;lbern und in den langen dunklen Ga&#x0364;n-<lb/>
gen der Domkirchen und alter Klo&#x0364;&#x017F;ter zu empfinden pflegen. Die Ho&#x0364;he und die Dun-<lb/>
kelheit erheben die Seele. Sie glaubt in die Zeiten der ehrwu&#x0364;rdigen Vorwelt ver&#x017F;etzt<lb/>
zu &#x017F;eyn. Die Ba&#x0364;ume, die ihr Moos in den Wolken verhu&#x0364;llen und &#x017F;eit Jahrhunderten<lb/>
&#x017F;tehen, unterde&#x017F;&#x017F;en daß ganze Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechter untergiengen, die &#x017F;tarken und plumpen<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;en von Gema&#x0364;uer, die zer&#x017F;to&#x0364;rten Wohnungen alter Helden, die hin und wieder er&#x017F;chei-<lb/>
nenden Spuren von der Gewalt und von der Schwa&#x0364;che der Zeit, von Hinfa&#x0364;lligkeit und<lb/>
von Dauer, von Rohigkeit des Gefu&#x0364;hls und von ge&#x017F;under Kraft der Vernunft &#x2014; alles<lb/>
die&#x017F;es giebt ein Gemi&#x017F;ch &#x017F;ehr intere&#x017F;&#x017F;anter Bewegungen von Er&#x017F;taunen und von Furcht,<lb/>
von Bewunderung und von Bedauern, von Ehrfurcht und von Selb&#x017F;t&#x017F;cha&#x0364;tzung.</p><lb/>
                  <p>Niedrige und dunkle Alleen, die man oft mit dem Namen philo&#x017F;ophi&#x017F;cher Ga&#x0364;nge<lb/>
zu bezeichnen pflegt, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en mit Scenen von die&#x017F;em Charakter, z. B. mit Grotten, Ein-<lb/>
&#x017F;iedeleyen, eine Verbindung haben, zu ihnen fu&#x0364;hren, oder von ihnen ablaufen. Sie ma-<lb/>
chen ein Zubeho&#x0364;r einer einzelnen Parthie aus, und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en daher eine verha&#x0364;ltnißma&#x0364;ßige<lb/>
Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung haben. In einer gewi&#x017F;&#x017F;en Entfernung von dem Auftritte, dem &#x017F;ie an-<lb/>
geho&#x0364;ren, ko&#x0364;nnen &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t zu Mitteln der Ueberra&#x017F;chung dienen, indem &#x017F;ie plo&#x0364;tzlich auf<lb/>
heitre Aus&#x017F;ichten fallen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
                  <p>Man wird u&#x0364;brigens leicht zuge&#x017F;tehen, daß die natu&#x0364;rlichen Arten der Anordnung<lb/>
des Baumwerks, die wir bey den Gruppen, Hainen und Wa&#x0364;ldern bemerkt haben, dem<lb/>
reinen Ge&#x017F;chmack der Natur und der Be&#x017F;timmung der Ga&#x0364;rten mehr angeme&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind,<lb/>
und daher vor den Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzungen der Kun&#x017F;t ihre Vorrechte behaupten.</p><lb/>
                  <cit>
                    <quote>
                      <lg type="poem">
                        <l> <hi rendition="#aq">Les Arts, ces e&#x017F;claves &#x017F;erviles</hi> </l><lb/>
                        <l> <hi rendition="#aq">De nos De&#x017F;irs efféminés,</hi> </l><lb/>
                        <l> <hi rendition="#aq">Transportent le luxe de villes</hi> </l><lb/>
                        <l> <hi rendition="#aq">Au milieu des champs étounés.</hi> </l><lb/>
                        <fw place="bottom" type="sig">J 3.</fw>
                        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">No</hi> </fw><lb/>
                      </lg>
                    </quote>
                  </cit>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0073] Vom Baumwerk. 4. Inzwiſchen ſind Alleen, als beſondere Zugaͤnge zu den Landſitzen, ſehr entbehr- lich. Bey manchen Lagen, deren Eigenthuͤmliches in dem Freyen und Luftigen be- ſteht, wuͤrden ſie ſogar von einer nachtheiligen Wirkung ſeyn. Man hat ſie vornehm- lich bey Wohnhaͤuſern eingefuͤhrt, die in der Ebene liegen. Nicht ſelten verbergen ſie den Anblick eines ſchoͤnen Gebaͤudes aus der Ferne; auch verſperren ſie, von dem Hauſe aus betrachtet, zuweilen alle erfreuende Ausſichten in die Landſchaft, und verbreiten uͤber den Sitz des Vergnuͤgens ein dunkles Anſehen. Nach dieſer Wirkung, die ſo wenig heitern Landhaͤuſern zuſtimmt, ſehen wir doch hohe und weite Alleen noch jetzt nicht ungern als Zugaͤnge zu alten gothiſchen Schloͤſſern. Sie haben hier nicht blos das Schickliche, ſondern auch das Ehrwuͤrdi- ge und Feyerliche, das wir unter den hohen Gewoͤlbern und in den langen dunklen Gaͤn- gen der Domkirchen und alter Kloͤſter zu empfinden pflegen. Die Hoͤhe und die Dun- kelheit erheben die Seele. Sie glaubt in die Zeiten der ehrwuͤrdigen Vorwelt verſetzt zu ſeyn. Die Baͤume, die ihr Moos in den Wolken verhuͤllen und ſeit Jahrhunderten ſtehen, unterdeſſen daß ganze Menſchengeſchlechter untergiengen, die ſtarken und plumpen Maſſen von Gemaͤuer, die zerſtoͤrten Wohnungen alter Helden, die hin und wieder erſchei- nenden Spuren von der Gewalt und von der Schwaͤche der Zeit, von Hinfaͤlligkeit und von Dauer, von Rohigkeit des Gefuͤhls und von geſunder Kraft der Vernunft — alles dieſes giebt ein Gemiſch ſehr intereſſanter Bewegungen von Erſtaunen und von Furcht, von Bewunderung und von Bedauern, von Ehrfurcht und von Selbſtſchaͤtzung. Niedrige und dunkle Alleen, die man oft mit dem Namen philoſophiſcher Gaͤnge zu bezeichnen pflegt, muͤſſen mit Scenen von dieſem Charakter, z. B. mit Grotten, Ein- ſiedeleyen, eine Verbindung haben, zu ihnen fuͤhren, oder von ihnen ablaufen. Sie ma- chen ein Zubehoͤr einer einzelnen Parthie aus, und muͤſſen daher eine verhaͤltnißmaͤßige Einſchraͤnkung haben. In einer gewiſſen Entfernung von dem Auftritte, dem ſie an- gehoͤren, koͤnnen ſie ſelbſt zu Mitteln der Ueberraſchung dienen, indem ſie ploͤtzlich auf heitre Ausſichten fallen laſſen. Man wird uͤbrigens leicht zugeſtehen, daß die natuͤrlichen Arten der Anordnung des Baumwerks, die wir bey den Gruppen, Hainen und Waͤldern bemerkt haben, dem reinen Geſchmack der Natur und der Beſtimmung der Gaͤrten mehr angemeſſen ſind, und daher vor den Zuſammenſetzungen der Kunſt ihre Vorrechte behaupten. Les Arts, ces eſclaves ſerviles De nos Deſirs efféminés, Transportent le luxe de villes Au milieu des champs étounés. No J 3.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/73
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/73>, abgerufen am 29.03.2024.