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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Vierter Abschnitt.

Bey Rasen ist das erste Gesetz der Natur, daß sie weder in Quadrate, noch
in eine andere künstliche Figur gebildet seyn sollen. Alles Regelmäßige ist hier so
anstößig, wie das Eckige, Scharfe, Spitzzulaufende. Die Gränzlinien müssen
sorgfältig bedeckt seyn, und nichts hervorscheinen, was eine künstliche Anlage von
der Hand des Menschen verrathen könnte. Denn ein angelegter Rasen wird erst in-
teressant durch den Anschein, von der Natur selbst gebildet zu seyn.

Ein vollkommen ebener Rasen, zumal wenn er ganz leer von andern Gegen-
ständen ist, ermüdet bald nach der ersten Erfrischung, die er gegeben. Augenschein-
lich künstliche Verunstaltungen, z. B. in Wälle, Festungen u. s. f. sind zu weit
von der Bestimmung des Gartens entfernt, als daß sie auch nur geduldet zu werden
hoffen könnten.

Kleine Ungleichheiten des Bodens vermehren die Schönheit der Rasen, in-
dem sie die Einförmigkeit der geraden Linie unterbrechen und angenehme Schattirun-
gen veranlassen. In einigen brittischen Parks laufen sie über kleine Hügel, die
auf der einen Seite mit Bäumen bepflanzt sind, breiten sich zwischen Grup-
pen und Hainen aus, verlieren sich hier in dem dunkeln Schatten einer Wal-
dung, und kommen dort an lichten Stellen wieder hervor; ein sehr malerischer
Anblick!

Je reiner, lebhafter und glänzender das Grün ist, desto anmuthiger sind
überhaupt betrachtet die Rasen. Auch hier lassen sich mannichfaltige Schatti-
rungen anbringen, wozu, außer der natürlichen Beschaffenheit des Grases, die Er-
höhungen und Vertiefungen des Bodens und ihre verschiedene Mischungen sehr viel
beytragen können. Wenn in einem sehr ausgedehnten Park sich mehrere Rasen be-
finden, so müssen sie sich eben sowohl durch die Abwechselung des Grüns, als
durch die Verschiedenheit ihrer Größe unterscheiden. Heiterkeit des Grüns ist über-
haupt das Eigenthum der Rasen. Nur zu einer melancholischen Scene, zu dem
Zugang zu einer Einsiedeley, mag man Grasarten von einem dunkeln Grün
wählen.

Die Anordnung ausgebreiteter Rasen muß überhaupt frey und ungekünstelt
seyn, und sich besonders nach der Lage des Platzes und der Auftritte richten, die
ihn umgeben. Sie müssen vornehmlich nach verschlossenen Scenen und dunkeln
Schattenwerken folgen, weil sie vermöge ihrer Natur den Begriff der Freyheit und

Heiter-
Vierter Abſchnitt.

Bey Raſen iſt das erſte Geſetz der Natur, daß ſie weder in Quadrate, noch
in eine andere kuͤnſtliche Figur gebildet ſeyn ſollen. Alles Regelmaͤßige iſt hier ſo
anſtoͤßig, wie das Eckige, Scharfe, Spitzzulaufende. Die Graͤnzlinien muͤſſen
ſorgfaͤltig bedeckt ſeyn, und nichts hervorſcheinen, was eine kuͤnſtliche Anlage von
der Hand des Menſchen verrathen koͤnnte. Denn ein angelegter Raſen wird erſt in-
tereſſant durch den Anſchein, von der Natur ſelbſt gebildet zu ſeyn.

Ein vollkommen ebener Raſen, zumal wenn er ganz leer von andern Gegen-
ſtaͤnden iſt, ermuͤdet bald nach der erſten Erfriſchung, die er gegeben. Augenſchein-
lich kuͤnſtliche Verunſtaltungen, z. B. in Waͤlle, Feſtungen u. ſ. f. ſind zu weit
von der Beſtimmung des Gartens entfernt, als daß ſie auch nur geduldet zu werden
hoffen koͤnnten.

Kleine Ungleichheiten des Bodens vermehren die Schoͤnheit der Raſen, in-
dem ſie die Einfoͤrmigkeit der geraden Linie unterbrechen und angenehme Schattirun-
gen veranlaſſen. In einigen brittiſchen Parks laufen ſie uͤber kleine Huͤgel, die
auf der einen Seite mit Baͤumen bepflanzt ſind, breiten ſich zwiſchen Grup-
pen und Hainen aus, verlieren ſich hier in dem dunkeln Schatten einer Wal-
dung, und kommen dort an lichten Stellen wieder hervor; ein ſehr maleriſcher
Anblick!

Je reiner, lebhafter und glaͤnzender das Gruͤn iſt, deſto anmuthiger ſind
uͤberhaupt betrachtet die Raſen. Auch hier laſſen ſich mannichfaltige Schatti-
rungen anbringen, wozu, außer der natuͤrlichen Beſchaffenheit des Graſes, die Er-
hoͤhungen und Vertiefungen des Bodens und ihre verſchiedene Miſchungen ſehr viel
beytragen koͤnnen. Wenn in einem ſehr ausgedehnten Park ſich mehrere Raſen be-
finden, ſo muͤſſen ſie ſich eben ſowohl durch die Abwechſelung des Gruͤns, als
durch die Verſchiedenheit ihrer Groͤße unterſcheiden. Heiterkeit des Gruͤns iſt uͤber-
haupt das Eigenthum der Raſen. Nur zu einer melancholiſchen Scene, zu dem
Zugang zu einer Einſiedeley, mag man Grasarten von einem dunkeln Gruͤn
waͤhlen.

Die Anordnung ausgebreiteter Raſen muß uͤberhaupt frey und ungekuͤnſtelt
ſeyn, und ſich beſonders nach der Lage des Platzes und der Auftritte richten, die
ihn umgeben. Sie muͤſſen vornehmlich nach verſchloſſenen Scenen und dunkeln
Schattenwerken folgen, weil ſie vermoͤge ihrer Natur den Begriff der Freyheit und

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[82/0086] Vierter Abſchnitt. Bey Raſen iſt das erſte Geſetz der Natur, daß ſie weder in Quadrate, noch in eine andere kuͤnſtliche Figur gebildet ſeyn ſollen. Alles Regelmaͤßige iſt hier ſo anſtoͤßig, wie das Eckige, Scharfe, Spitzzulaufende. Die Graͤnzlinien muͤſſen ſorgfaͤltig bedeckt ſeyn, und nichts hervorſcheinen, was eine kuͤnſtliche Anlage von der Hand des Menſchen verrathen koͤnnte. Denn ein angelegter Raſen wird erſt in- tereſſant durch den Anſchein, von der Natur ſelbſt gebildet zu ſeyn. Ein vollkommen ebener Raſen, zumal wenn er ganz leer von andern Gegen- ſtaͤnden iſt, ermuͤdet bald nach der erſten Erfriſchung, die er gegeben. Augenſchein- lich kuͤnſtliche Verunſtaltungen, z. B. in Waͤlle, Feſtungen u. ſ. f. ſind zu weit von der Beſtimmung des Gartens entfernt, als daß ſie auch nur geduldet zu werden hoffen koͤnnten. Kleine Ungleichheiten des Bodens vermehren die Schoͤnheit der Raſen, in- dem ſie die Einfoͤrmigkeit der geraden Linie unterbrechen und angenehme Schattirun- gen veranlaſſen. In einigen brittiſchen Parks laufen ſie uͤber kleine Huͤgel, die auf der einen Seite mit Baͤumen bepflanzt ſind, breiten ſich zwiſchen Grup- pen und Hainen aus, verlieren ſich hier in dem dunkeln Schatten einer Wal- dung, und kommen dort an lichten Stellen wieder hervor; ein ſehr maleriſcher Anblick! Je reiner, lebhafter und glaͤnzender das Gruͤn iſt, deſto anmuthiger ſind uͤberhaupt betrachtet die Raſen. Auch hier laſſen ſich mannichfaltige Schatti- rungen anbringen, wozu, außer der natuͤrlichen Beſchaffenheit des Graſes, die Er- hoͤhungen und Vertiefungen des Bodens und ihre verſchiedene Miſchungen ſehr viel beytragen koͤnnen. Wenn in einem ſehr ausgedehnten Park ſich mehrere Raſen be- finden, ſo muͤſſen ſie ſich eben ſowohl durch die Abwechſelung des Gruͤns, als durch die Verſchiedenheit ihrer Groͤße unterſcheiden. Heiterkeit des Gruͤns iſt uͤber- haupt das Eigenthum der Raſen. Nur zu einer melancholiſchen Scene, zu dem Zugang zu einer Einſiedeley, mag man Grasarten von einem dunkeln Gruͤn waͤhlen. Die Anordnung ausgebreiteter Raſen muß uͤberhaupt frey und ungekuͤnſtelt ſeyn, und ſich beſonders nach der Lage des Platzes und der Auftritte richten, die ihn umgeben. Sie muͤſſen vornehmlich nach verſchloſſenen Scenen und dunkeln Schattenwerken folgen, weil ſie vermoͤge ihrer Natur den Begriff der Freyheit und Heiter-

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/86>, abgerufen am 19.04.2024.