Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt. Von Tempeln, Grotten,
genheit, und ihr ganzes Ansehen kündigt eine fromme Armuth an. Nur Schade,
daß die Inschriften in das Unanständige ausarten, und allen Eindruck des Ehrwür-
digen zerstören.

Die Einsiedeley in dem berühmten Park zu Hagley [Spaltenumbruch] *) besteht aus alten Stur-
zen und zusammengefügten Wurzeln, deren Zwischenräume mit Moos ausgefüllt sind.
Der Fußboden des Vorhauses ist mit kleinen Kieseln artig gepflastert, und rings um-
her geht ein Sitz von Stroh. Die Thüre führt in ein Zimmer, das ungefähr in eben
dem Geschmack angelegt ist. Alles hat ein armseliges Ansehen, und verräth eine
Verachtung des Ueberflusses in der Welt, wie es sich für den Bewohner einer solchen
Einsiedeley schickt. Man findet hier eine sehr passende Inschrift, die aus dem Mil-
ton
genommen ist:

"Möchte ich doch in meinem entkräfteten Alter eine ruhige Einsiedeley, ein
schlechtes Kleid und eine bemooste Zelle finden, wo ich sitzen, und über je-
den Stern des Firmaments, über jedes vom Thau befeuchtetes Gras nach-
denken kann, bis ich eine vieljährige Erfahrung und dadurch gleichsam einen
prophetischen Geist erreiche. Dieß Vergnügen gewähre mir, Melancholie,
so will ich gerne mit dir meine Tage beschließen." [Spaltenumbruch] **)

Aus der Thür dieser moosichten Zelle hat man zwey perspectivische Durchsichten über
das entfernte Land, wovon eine über die gegenüberstehenden Bäume wegsteigt, die an-
dere unter ihnen durchschleicht. Alles übrige ist eingeschlossen. Vor sich hat man
einen Theil von einem tiefen waldigten Thal, worinn ein Wasserstück liegt, das von
dicken Bäumen umschattet wird.

6.

Um eine Abwechselung zu erhalten, können die gewöhnlichen Einsiedeleyen auch
mit andern Arten von Wohnsitzen der Melancholie oder einsamen Betrachtung ver-
tauscht werden. Man darf sie nicht blos einem merkwürdigen Eremiten der katholi-
schen Kirche widmen, sondern auch dem Andenken irgend eines alten Philosophen,
der die Einsamkeit liebte. So kann man dem Pythagoras eine Hütte weihen.
Unter allen Weltweisen des Alterthums scheint keiner sich besser, als er, auf die Vor-
züge des Landlebens verstanden zu haben; ehrwürdig und einnehmend war die Lebens-
art, die er seine Schüler beobachten ließ. Mit dem Aufgang der Sonne standen sie
auf; sie erheiterten sich durch eine angenehme Musik, giengen in Wäldern und einsa-
men Gegenden spazieren, wo die Stille und die Gegenstände der Natur die Seele

rührten,
*) S. Heely Briefe u. s. f. 9ter Br.
**) Il Penseroso.

Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten,
genheit, und ihr ganzes Anſehen kuͤndigt eine fromme Armuth an. Nur Schade,
daß die Inſchriften in das Unanſtaͤndige ausarten, und allen Eindruck des Ehrwuͤr-
digen zerſtoͤren.

Die Einſiedeley in dem beruͤhmten Park zu Hagley [Spaltenumbruch] *) beſteht aus alten Stur-
zen und zuſammengefuͤgten Wurzeln, deren Zwiſchenraͤume mit Moos ausgefuͤllt ſind.
Der Fußboden des Vorhauſes iſt mit kleinen Kieſeln artig gepflaſtert, und rings um-
her geht ein Sitz von Stroh. Die Thuͤre fuͤhrt in ein Zimmer, das ungefaͤhr in eben
dem Geſchmack angelegt iſt. Alles hat ein armſeliges Anſehen, und verraͤth eine
Verachtung des Ueberfluſſes in der Welt, wie es ſich fuͤr den Bewohner einer ſolchen
Einſiedeley ſchickt. Man findet hier eine ſehr paſſende Inſchrift, die aus dem Mil-
ton
genommen iſt:

„Moͤchte ich doch in meinem entkraͤfteten Alter eine ruhige Einſiedeley, ein
ſchlechtes Kleid und eine bemooſte Zelle finden, wo ich ſitzen, und uͤber je-
den Stern des Firmaments, uͤber jedes vom Thau befeuchtetes Gras nach-
denken kann, bis ich eine vieljaͤhrige Erfahrung und dadurch gleichſam einen
prophetiſchen Geiſt erreiche. Dieß Vergnuͤgen gewaͤhre mir, Melancholie,
ſo will ich gerne mit dir meine Tage beſchließen.“ [Spaltenumbruch] **)

Aus der Thuͤr dieſer mooſichten Zelle hat man zwey perſpectiviſche Durchſichten uͤber
das entfernte Land, wovon eine uͤber die gegenuͤberſtehenden Baͤume wegſteigt, die an-
dere unter ihnen durchſchleicht. Alles uͤbrige iſt eingeſchloſſen. Vor ſich hat man
einen Theil von einem tiefen waldigten Thal, worinn ein Waſſerſtuͤck liegt, das von
dicken Baͤumen umſchattet wird.

6.

Um eine Abwechſelung zu erhalten, koͤnnen die gewoͤhnlichen Einſiedeleyen auch
mit andern Arten von Wohnſitzen der Melancholie oder einſamen Betrachtung ver-
tauſcht werden. Man darf ſie nicht blos einem merkwuͤrdigen Eremiten der katholi-
ſchen Kirche widmen, ſondern auch dem Andenken irgend eines alten Philoſophen,
der die Einſamkeit liebte. So kann man dem Pythagoras eine Huͤtte weihen.
Unter allen Weltweiſen des Alterthums ſcheint keiner ſich beſſer, als er, auf die Vor-
zuͤge des Landlebens verſtanden zu haben; ehrwuͤrdig und einnehmend war die Lebens-
art, die er ſeine Schuͤler beobachten ließ. Mit dem Aufgang der Sonne ſtanden ſie
auf; ſie erheiterten ſich durch eine angenehme Muſik, giengen in Waͤldern und einſa-
men Gegenden ſpazieren, wo die Stille und die Gegenſtaͤnde der Natur die Seele

ruͤhrten,
*) S. Heely Briefe u. ſ. f. 9ter Br.
**) Il Penſeroſo.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <p><pb facs="#f0110" n="106"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Dritter Ab&#x017F;chnitt. Von Tempeln, Grotten,</hi></fw><lb/>
genheit, und ihr ganzes An&#x017F;ehen ku&#x0364;ndigt eine fromme Armuth an. Nur Schade,<lb/>
daß die In&#x017F;chriften in das Unan&#x017F;ta&#x0364;ndige ausarten, und allen Eindruck des Ehrwu&#x0364;r-<lb/>
digen zer&#x017F;to&#x0364;ren.</p><lb/>
            <p>Die Ein&#x017F;iedeley in dem beru&#x0364;hmten Park zu <hi rendition="#fr">Hagley</hi> <cb/>
<note place="foot" n="*)">S. Heely Briefe u. &#x017F;. f. 9ter Br.</note> be&#x017F;teht aus alten Stur-<lb/>
zen und zu&#x017F;ammengefu&#x0364;gten Wurzeln, deren Zwi&#x017F;chenra&#x0364;ume mit Moos ausgefu&#x0364;llt &#x017F;ind.<lb/>
Der Fußboden des Vorhau&#x017F;es i&#x017F;t mit kleinen Kie&#x017F;eln artig gepfla&#x017F;tert, und rings um-<lb/>
her geht ein Sitz von Stroh. Die Thu&#x0364;re fu&#x0364;hrt in ein Zimmer, das ungefa&#x0364;hr in eben<lb/>
dem Ge&#x017F;chmack angelegt i&#x017F;t. Alles hat ein arm&#x017F;eliges An&#x017F;ehen, und verra&#x0364;th eine<lb/>
Verachtung des Ueberflu&#x017F;&#x017F;es in der Welt, wie es &#x017F;ich fu&#x0364;r den Bewohner einer &#x017F;olchen<lb/>
Ein&#x017F;iedeley &#x017F;chickt. Man findet hier eine &#x017F;ehr pa&#x017F;&#x017F;ende In&#x017F;chrift, die aus dem <hi rendition="#fr">Mil-<lb/>
ton</hi> genommen i&#x017F;t:</p><lb/>
            <cit>
              <quote> <hi rendition="#et">&#x201E;Mo&#x0364;chte ich doch in meinem entkra&#x0364;fteten Alter eine ruhige Ein&#x017F;iedeley, ein<lb/>
&#x017F;chlechtes Kleid und eine bemoo&#x017F;te Zelle finden, wo ich &#x017F;itzen, und u&#x0364;ber je-<lb/>
den Stern des Firmaments, u&#x0364;ber jedes vom Thau befeuchtetes Gras nach-<lb/>
denken kann, bis ich eine vielja&#x0364;hrige Erfahrung und dadurch gleich&#x017F;am einen<lb/>
propheti&#x017F;chen Gei&#x017F;t erreiche. Dieß Vergnu&#x0364;gen gewa&#x0364;hre mir, Melancholie,<lb/>
&#x017F;o will ich gerne mit dir meine Tage be&#x017F;chließen.&#x201C; <cb/>
<note place="foot" n="**)"><hi rendition="#aq">Il Pen&#x017F;ero&#x017F;o.</hi></note></hi> </quote>
              <bibl/>
            </cit><lb/>
            <p>Aus der Thu&#x0364;r die&#x017F;er moo&#x017F;ichten Zelle hat man zwey per&#x017F;pectivi&#x017F;che Durch&#x017F;ichten u&#x0364;ber<lb/>
das entfernte Land, wovon eine u&#x0364;ber die gegenu&#x0364;ber&#x017F;tehenden Ba&#x0364;ume weg&#x017F;teigt, die an-<lb/>
dere unter ihnen durch&#x017F;chleicht. Alles u&#x0364;brige i&#x017F;t einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Vor &#x017F;ich hat man<lb/>
einen Theil von einem tiefen waldigten Thal, worinn ein Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;tu&#x0364;ck liegt, das von<lb/>
dicken Ba&#x0364;umen um&#x017F;chattet wird.</p>
          </div><lb/>
          <div n="4">
            <head>6.</head><lb/>
            <p>Um eine Abwech&#x017F;elung zu erhalten, ko&#x0364;nnen die gewo&#x0364;hnlichen Ein&#x017F;iedeleyen auch<lb/>
mit andern Arten von Wohn&#x017F;itzen der Melancholie oder ein&#x017F;amen Betrachtung ver-<lb/>
tau&#x017F;cht werden. Man darf &#x017F;ie nicht blos einem merkwu&#x0364;rdigen Eremiten der katholi-<lb/>
&#x017F;chen Kirche widmen, &#x017F;ondern auch dem Andenken irgend eines alten Philo&#x017F;ophen,<lb/>
der die Ein&#x017F;amkeit liebte. So kann man dem <hi rendition="#fr">Pythagoras</hi> eine Hu&#x0364;tte weihen.<lb/>
Unter allen Weltwei&#x017F;en des Alterthums &#x017F;cheint keiner &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er, als er, auf die Vor-<lb/>
zu&#x0364;ge des Landlebens ver&#x017F;tanden zu haben; ehrwu&#x0364;rdig und einnehmend war die Lebens-<lb/>
art, die er &#x017F;eine Schu&#x0364;ler beobachten ließ. Mit dem Aufgang der Sonne &#x017F;tanden &#x017F;ie<lb/>
auf; &#x017F;ie erheiterten &#x017F;ich durch eine angenehme Mu&#x017F;ik, giengen in Wa&#x0364;ldern und ein&#x017F;a-<lb/>
men Gegenden &#x017F;pazieren, wo die Stille und die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der Natur die Seele<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ru&#x0364;hrten,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0110] Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten, genheit, und ihr ganzes Anſehen kuͤndigt eine fromme Armuth an. Nur Schade, daß die Inſchriften in das Unanſtaͤndige ausarten, und allen Eindruck des Ehrwuͤr- digen zerſtoͤren. Die Einſiedeley in dem beruͤhmten Park zu Hagley *) beſteht aus alten Stur- zen und zuſammengefuͤgten Wurzeln, deren Zwiſchenraͤume mit Moos ausgefuͤllt ſind. Der Fußboden des Vorhauſes iſt mit kleinen Kieſeln artig gepflaſtert, und rings um- her geht ein Sitz von Stroh. Die Thuͤre fuͤhrt in ein Zimmer, das ungefaͤhr in eben dem Geſchmack angelegt iſt. Alles hat ein armſeliges Anſehen, und verraͤth eine Verachtung des Ueberfluſſes in der Welt, wie es ſich fuͤr den Bewohner einer ſolchen Einſiedeley ſchickt. Man findet hier eine ſehr paſſende Inſchrift, die aus dem Mil- ton genommen iſt: „Moͤchte ich doch in meinem entkraͤfteten Alter eine ruhige Einſiedeley, ein ſchlechtes Kleid und eine bemooſte Zelle finden, wo ich ſitzen, und uͤber je- den Stern des Firmaments, uͤber jedes vom Thau befeuchtetes Gras nach- denken kann, bis ich eine vieljaͤhrige Erfahrung und dadurch gleichſam einen prophetiſchen Geiſt erreiche. Dieß Vergnuͤgen gewaͤhre mir, Melancholie, ſo will ich gerne mit dir meine Tage beſchließen.“ **) Aus der Thuͤr dieſer mooſichten Zelle hat man zwey perſpectiviſche Durchſichten uͤber das entfernte Land, wovon eine uͤber die gegenuͤberſtehenden Baͤume wegſteigt, die an- dere unter ihnen durchſchleicht. Alles uͤbrige iſt eingeſchloſſen. Vor ſich hat man einen Theil von einem tiefen waldigten Thal, worinn ein Waſſerſtuͤck liegt, das von dicken Baͤumen umſchattet wird. 6. Um eine Abwechſelung zu erhalten, koͤnnen die gewoͤhnlichen Einſiedeleyen auch mit andern Arten von Wohnſitzen der Melancholie oder einſamen Betrachtung ver- tauſcht werden. Man darf ſie nicht blos einem merkwuͤrdigen Eremiten der katholi- ſchen Kirche widmen, ſondern auch dem Andenken irgend eines alten Philoſophen, der die Einſamkeit liebte. So kann man dem Pythagoras eine Huͤtte weihen. Unter allen Weltweiſen des Alterthums ſcheint keiner ſich beſſer, als er, auf die Vor- zuͤge des Landlebens verſtanden zu haben; ehrwuͤrdig und einnehmend war die Lebens- art, die er ſeine Schuͤler beobachten ließ. Mit dem Aufgang der Sonne ſtanden ſie auf; ſie erheiterten ſich durch eine angenehme Muſik, giengen in Waͤldern und einſa- men Gegenden ſpazieren, wo die Stille und die Gegenſtaͤnde der Natur die Seele ruͤhrten, *) S. Heely Briefe u. ſ. f. 9ter Br. **) Il Penſeroſo.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/110
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/110>, abgerufen am 29.03.2024.