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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Dritter Abschnitt. Von Tempeln, Grotten,
hen. Die Stämme der letztern, die in großer Menge aus einer Wurzel hervor-
schießen, drücken einander nieder, und schweben über dem Wasser. Ungestalte Ul-
men und höckerichte Tannen stehen häufig in der Waldung, welche die Tiefe umgiebt;
Stämme abgestorbener Bäume trauren darunter, der Sumach, der Taxbaum, nebst
Hollunder und Haselsträuchern machen den Unterwuchs aus; einige wenige Linden und
Kirschlorbeern sind mit untergemischt. Der Wald ist meistens vom dunkelsten Grün;
und das Laubwerk wird durch Epheu verdickt, der sich nicht nur an den Bäumen hin-
aufschlängelt, sondern auch über die Abfälle des Bodens hinüberläuft. Diese sind
abschüßig und steil. Der Kiesweg ist mit Moos bedeckt. Am Ende dieser Scene
erscheint die Grotte. Sie ist mit zerbrochenen Feuersteinen und Kieseln bekleidet, und
erhält, durch die Einfachheit ihrer Materialien und die Dunkelheit ihrer Farbe, den
ganzen Charakter ihrer Lage.

Popens Grotte zu Twickenham *) ist berühmt, weil sie der Dichter nicht
blos anlegte, sondern auch besang. Ueber dem Eingange an der Nordseite lieset man
diese in einen Stein gehauene Inschrift:

Secretum iter et fallentis semita vitae.

Um den abschüssigen Eingang stehen Rüstern und Linden, die ihn beschatten, und an
den Seiten sind Topfsteine und große Stücken Feuersteine in kleinen Hügeln aufgesetzt,
und überzogen mit Moos und Kräutern, die an schattigten Felsen wachsen. Die
Grotte ist gewölbt, läuft ohngefähr eilf Schritte vorwärts nach Süden, und theilt sich
alsdenn in Seitengänge und kleine Kammern. Die zur Rechten machen eine Art
von Irrgang, die zur Linken oder gegen Morgen aber endigen sich in ein paar geräu-
mige Zimmer. Die Wände der Grotten sind mit mancherley Arten von Steinen
überzogen. Die südliche Thüre führt auf einen grünen Rasen, der das Ufer der
Themse ist, etwa fünf und zwanzig Schritte bis ans Wasser abschüssig herunter läuft,
und von hohen babylonischen Weiden beschattet wird. -- Allein diese Grotte hat doch
Verzierungen, die nicht die Strenge der Kritik aushalten, als eine gemalte Decke,
allerhand mit Steinen ausgelegte Figuren an den Wänden, und in den Nischen an-
tike Bildsäulen. Es ist so schwer, selbst in den besten Gärten eine Grotte anzutreffen,
die nicht, durch irgend einen üppigen Zierrath oder einen unschicklichen Zusatz der
Kunst, gegen die wahre Einfalt fehlte; und doch ist in allen Grotten der Natur
nichts mehr hervorstechend, als ihre Einfalt.

6. Allein
*) Bemerkungen eines Reisenden durch Deutschland, Frankreich, England und Hol-
land. 8. 2ter Th. 1775. 53 Br.

Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten,
hen. Die Staͤmme der letztern, die in großer Menge aus einer Wurzel hervor-
ſchießen, druͤcken einander nieder, und ſchweben uͤber dem Waſſer. Ungeſtalte Ul-
men und hoͤckerichte Tannen ſtehen haͤufig in der Waldung, welche die Tiefe umgiebt;
Staͤmme abgeſtorbener Baͤume trauren darunter, der Sumach, der Taxbaum, nebſt
Hollunder und Haſelſtraͤuchern machen den Unterwuchs aus; einige wenige Linden und
Kirſchlorbeern ſind mit untergemiſcht. Der Wald iſt meiſtens vom dunkelſten Gruͤn;
und das Laubwerk wird durch Epheu verdickt, der ſich nicht nur an den Baͤumen hin-
aufſchlaͤngelt, ſondern auch uͤber die Abfaͤlle des Bodens hinuͤberlaͤuft. Dieſe ſind
abſchuͤßig und ſteil. Der Kiesweg iſt mit Moos bedeckt. Am Ende dieſer Scene
erſcheint die Grotte. Sie iſt mit zerbrochenen Feuerſteinen und Kieſeln bekleidet, und
erhaͤlt, durch die Einfachheit ihrer Materialien und die Dunkelheit ihrer Farbe, den
ganzen Charakter ihrer Lage.

Popens Grotte zu Twickenham *) iſt beruͤhmt, weil ſie der Dichter nicht
blos anlegte, ſondern auch beſang. Ueber dem Eingange an der Nordſeite lieſet man
dieſe in einen Stein gehauene Inſchrift:

Secretum iter et fallentis ſemita vitae.

Um den abſchuͤſſigen Eingang ſtehen Ruͤſtern und Linden, die ihn beſchatten, und an
den Seiten ſind Topfſteine und große Stuͤcken Feuerſteine in kleinen Huͤgeln aufgeſetzt,
und uͤberzogen mit Moos und Kraͤutern, die an ſchattigten Felſen wachſen. Die
Grotte iſt gewoͤlbt, laͤuft ohngefaͤhr eilf Schritte vorwaͤrts nach Suͤden, und theilt ſich
alsdenn in Seitengaͤnge und kleine Kammern. Die zur Rechten machen eine Art
von Irrgang, die zur Linken oder gegen Morgen aber endigen ſich in ein paar geraͤu-
mige Zimmer. Die Waͤnde der Grotten ſind mit mancherley Arten von Steinen
uͤberzogen. Die ſuͤdliche Thuͤre fuͤhrt auf einen gruͤnen Raſen, der das Ufer der
Themſe iſt, etwa fuͤnf und zwanzig Schritte bis ans Waſſer abſchuͤſſig herunter laͤuft,
und von hohen babyloniſchen Weiden beſchattet wird. — Allein dieſe Grotte hat doch
Verzierungen, die nicht die Strenge der Kritik aushalten, als eine gemalte Decke,
allerhand mit Steinen ausgelegte Figuren an den Waͤnden, und in den Niſchen an-
tike Bildſaͤulen. Es iſt ſo ſchwer, ſelbſt in den beſten Gaͤrten eine Grotte anzutreffen,
die nicht, durch irgend einen uͤppigen Zierrath oder einen unſchicklichen Zuſatz der
Kunſt, gegen die wahre Einfalt fehlte; und doch iſt in allen Grotten der Natur
nichts mehr hervorſtechend, als ihre Einfalt.

6. Allein
*) Bemerkungen eines Reiſenden durch Deutſchland, Frankreich, England und Hol-
land. 8. 2ter Th. 1775. 53 Br.
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[94/0098] Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten, hen. Die Staͤmme der letztern, die in großer Menge aus einer Wurzel hervor- ſchießen, druͤcken einander nieder, und ſchweben uͤber dem Waſſer. Ungeſtalte Ul- men und hoͤckerichte Tannen ſtehen haͤufig in der Waldung, welche die Tiefe umgiebt; Staͤmme abgeſtorbener Baͤume trauren darunter, der Sumach, der Taxbaum, nebſt Hollunder und Haſelſtraͤuchern machen den Unterwuchs aus; einige wenige Linden und Kirſchlorbeern ſind mit untergemiſcht. Der Wald iſt meiſtens vom dunkelſten Gruͤn; und das Laubwerk wird durch Epheu verdickt, der ſich nicht nur an den Baͤumen hin- aufſchlaͤngelt, ſondern auch uͤber die Abfaͤlle des Bodens hinuͤberlaͤuft. Dieſe ſind abſchuͤßig und ſteil. Der Kiesweg iſt mit Moos bedeckt. Am Ende dieſer Scene erſcheint die Grotte. Sie iſt mit zerbrochenen Feuerſteinen und Kieſeln bekleidet, und erhaͤlt, durch die Einfachheit ihrer Materialien und die Dunkelheit ihrer Farbe, den ganzen Charakter ihrer Lage. Popens Grotte zu Twickenham *) iſt beruͤhmt, weil ſie der Dichter nicht blos anlegte, ſondern auch beſang. Ueber dem Eingange an der Nordſeite lieſet man dieſe in einen Stein gehauene Inſchrift: Secretum iter et fallentis ſemita vitae. Um den abſchuͤſſigen Eingang ſtehen Ruͤſtern und Linden, die ihn beſchatten, und an den Seiten ſind Topfſteine und große Stuͤcken Feuerſteine in kleinen Huͤgeln aufgeſetzt, und uͤberzogen mit Moos und Kraͤutern, die an ſchattigten Felſen wachſen. Die Grotte iſt gewoͤlbt, laͤuft ohngefaͤhr eilf Schritte vorwaͤrts nach Suͤden, und theilt ſich alsdenn in Seitengaͤnge und kleine Kammern. Die zur Rechten machen eine Art von Irrgang, die zur Linken oder gegen Morgen aber endigen ſich in ein paar geraͤu- mige Zimmer. Die Waͤnde der Grotten ſind mit mancherley Arten von Steinen uͤberzogen. Die ſuͤdliche Thuͤre fuͤhrt auf einen gruͤnen Raſen, der das Ufer der Themſe iſt, etwa fuͤnf und zwanzig Schritte bis ans Waſſer abſchuͤſſig herunter laͤuft, und von hohen babyloniſchen Weiden beſchattet wird. — Allein dieſe Grotte hat doch Verzierungen, die nicht die Strenge der Kritik aushalten, als eine gemalte Decke, allerhand mit Steinen ausgelegte Figuren an den Waͤnden, und in den Niſchen an- tike Bildſaͤulen. Es iſt ſo ſchwer, ſelbſt in den beſten Gaͤrten eine Grotte anzutreffen, die nicht, durch irgend einen uͤppigen Zierrath oder einen unſchicklichen Zuſatz der Kunſt, gegen die wahre Einfalt fehlte; und doch iſt in allen Grotten der Natur nichts mehr hervorſtechend, als ihre Einfalt. 6. Allein *) Bemerkungen eines Reiſenden durch Deutſchland, Frankreich, England und Hol- land. 8. 2ter Th. 1775. 53 Br.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/98>, abgerufen am 19.04.2024.