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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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nach dem Charakter der Gegenden.
gegenwärtigen Auftritt fesseln, daß man ihn für den schönsten hält, bis ein neuer
hervorbricht, dessen unerwartete höhere Schönheit den Eindruck der ersten wieder
schwächt; durch Abwechselungen und Contraste die Empfindung erfrischen; sie durch
erregte Aufwallung andrer zustimmender Gefühle fortschreitend verstärken; und die
ganze Folge der Bewegungen zuletzt zu der Stufe erheben, wohin Natur und Genie
sie mit vereinter Kraft nur emporbringen können. Man kann daher sagen, daß ein
großer Park, worinn alle Gemälde der Landschaft wie in einer Gallerie ihren Platz
fordern, wohl angelegt ist, wenn alle Gegenden, alle Scenen glücklich gebildet, und
geschickt verbunden sind.

2.

Als ein treffliches Muster von der Zusammensetzung mehrerer Charaktere un-
terhalte uns die hier folgende Beschreibung von den zum Theil durch Kunst verschöner-
ten Gegenden um den See Killarney in Irland, worinn eine Verbindung des An-
muthigen, Melancholischen, Romantischen und Erhabenen erscheint.

Von Orochshill an dem See Killarney *) fängt Young die Beschreibung
dieser Gegenden und Aussichten an. Der Weg führt durch schöne angelegte Grund-
stücke. Die Aussicht, die man von hier hat, ist entzückend. Das Haus des Be-
sitzers liegt am Rande der Ebene, neben einem Walde, der die ganze Halbinsel be-
deckt, den sich tief senkenden Abhang beschattet, und ein schönes Ufer des Sees bildet.
Tomis und Glena sind große gebirgigte Massen von unglaublicher Pracht; der
Umriß ist sanft und leicht in seinen Erhöhungen; da hingegen die über dem Adlernest
einen so abgebrochenen Umriß bilden, daß nichts wilder seyn kann: ein so schrecklicher
und erhabner Anblick, dessen Eindrücke mehr Erstaunen verursachen, als das Gemüth
ergötzen. Der Turk hat eine erhabene Gestalt, und Mangertons großer Körper
steigt über alle empor. Die bebaueten Striche Landes nach Killarney hin sind ein
Contrast der fürchterlichen eben erwähnten Scenen; eine große Reihe ferner blauer
Berge nach Dingle hin machen die entfernte Gränze des Sees. In dem Garten
findet man die Ueberbleibsel der ansehnlichen Mucruß-Abtey, die unter Heinrich
dem
VI gebauet ist, und noch so vollständig sich zeiget, daß, wenn sie es mehr wäre,
zwar das Gebäude vollkommener seyn, die Trümmer aber weniger gefallen würden.
Sie ist in dem Schatten einiger ehrwürdigen Espenbäume versteckt. Epheu hat ihr

das
*) Youngs Reisen durch Irland, 1ster Th. S. 455 u. f.
IV Band. R

nach dem Charakter der Gegenden.
gegenwaͤrtigen Auftritt feſſeln, daß man ihn fuͤr den ſchoͤnſten haͤlt, bis ein neuer
hervorbricht, deſſen unerwartete hoͤhere Schoͤnheit den Eindruck der erſten wieder
ſchwaͤcht; durch Abwechſelungen und Contraſte die Empfindung erfriſchen; ſie durch
erregte Aufwallung andrer zuſtimmender Gefuͤhle fortſchreitend verſtaͤrken; und die
ganze Folge der Bewegungen zuletzt zu der Stufe erheben, wohin Natur und Genie
ſie mit vereinter Kraft nur emporbringen koͤnnen. Man kann daher ſagen, daß ein
großer Park, worinn alle Gemaͤlde der Landſchaft wie in einer Gallerie ihren Platz
fordern, wohl angelegt iſt, wenn alle Gegenden, alle Scenen gluͤcklich gebildet, und
geſchickt verbunden ſind.

2.

Als ein treffliches Muſter von der Zuſammenſetzung mehrerer Charaktere un-
terhalte uns die hier folgende Beſchreibung von den zum Theil durch Kunſt verſchoͤner-
ten Gegenden um den See Killarney in Irland, worinn eine Verbindung des An-
muthigen, Melancholiſchen, Romantiſchen und Erhabenen erſcheint.

Von Orochshill an dem See Killarney *) faͤngt Young die Beſchreibung
dieſer Gegenden und Ausſichten an. Der Weg fuͤhrt durch ſchoͤne angelegte Grund-
ſtuͤcke. Die Ausſicht, die man von hier hat, iſt entzuͤckend. Das Haus des Be-
ſitzers liegt am Rande der Ebene, neben einem Walde, der die ganze Halbinſel be-
deckt, den ſich tief ſenkenden Abhang beſchattet, und ein ſchoͤnes Ufer des Sees bildet.
Tomis und Glena ſind große gebirgigte Maſſen von unglaublicher Pracht; der
Umriß iſt ſanft und leicht in ſeinen Erhoͤhungen; da hingegen die uͤber dem Adlerneſt
einen ſo abgebrochenen Umriß bilden, daß nichts wilder ſeyn kann: ein ſo ſchrecklicher
und erhabner Anblick, deſſen Eindruͤcke mehr Erſtaunen verurſachen, als das Gemuͤth
ergoͤtzen. Der Turk hat eine erhabene Geſtalt, und Mangertons großer Koͤrper
ſteigt uͤber alle empor. Die bebaueten Striche Landes nach Killarney hin ſind ein
Contraſt der fuͤrchterlichen eben erwaͤhnten Scenen; eine große Reihe ferner blauer
Berge nach Dingle hin machen die entfernte Graͤnze des Sees. In dem Garten
findet man die Ueberbleibſel der anſehnlichen Mucruß-Abtey, die unter Heinrich
dem
VI gebauet iſt, und noch ſo vollſtaͤndig ſich zeiget, daß, wenn ſie es mehr waͤre,
zwar das Gebaͤude vollkommener ſeyn, die Truͤmmer aber weniger gefallen wuͤrden.
Sie iſt in dem Schatten einiger ehrwuͤrdigen Eſpenbaͤume verſteckt. Epheu hat ihr

das
*) Youngs Reiſen durch Irland, 1ſter Th. S. 455 u. f.
IV Band. R
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[129/0133] nach dem Charakter der Gegenden. gegenwaͤrtigen Auftritt feſſeln, daß man ihn fuͤr den ſchoͤnſten haͤlt, bis ein neuer hervorbricht, deſſen unerwartete hoͤhere Schoͤnheit den Eindruck der erſten wieder ſchwaͤcht; durch Abwechſelungen und Contraſte die Empfindung erfriſchen; ſie durch erregte Aufwallung andrer zuſtimmender Gefuͤhle fortſchreitend verſtaͤrken; und die ganze Folge der Bewegungen zuletzt zu der Stufe erheben, wohin Natur und Genie ſie mit vereinter Kraft nur emporbringen koͤnnen. Man kann daher ſagen, daß ein großer Park, worinn alle Gemaͤlde der Landſchaft wie in einer Gallerie ihren Platz fordern, wohl angelegt iſt, wenn alle Gegenden, alle Scenen gluͤcklich gebildet, und geſchickt verbunden ſind. 2. Als ein treffliches Muſter von der Zuſammenſetzung mehrerer Charaktere un- terhalte uns die hier folgende Beſchreibung von den zum Theil durch Kunſt verſchoͤner- ten Gegenden um den See Killarney in Irland, worinn eine Verbindung des An- muthigen, Melancholiſchen, Romantiſchen und Erhabenen erſcheint. Von Orochshill an dem See Killarney *) faͤngt Young die Beſchreibung dieſer Gegenden und Ausſichten an. Der Weg fuͤhrt durch ſchoͤne angelegte Grund- ſtuͤcke. Die Ausſicht, die man von hier hat, iſt entzuͤckend. Das Haus des Be- ſitzers liegt am Rande der Ebene, neben einem Walde, der die ganze Halbinſel be- deckt, den ſich tief ſenkenden Abhang beſchattet, und ein ſchoͤnes Ufer des Sees bildet. Tomis und Glena ſind große gebirgigte Maſſen von unglaublicher Pracht; der Umriß iſt ſanft und leicht in ſeinen Erhoͤhungen; da hingegen die uͤber dem Adlerneſt einen ſo abgebrochenen Umriß bilden, daß nichts wilder ſeyn kann: ein ſo ſchrecklicher und erhabner Anblick, deſſen Eindruͤcke mehr Erſtaunen verurſachen, als das Gemuͤth ergoͤtzen. Der Turk hat eine erhabene Geſtalt, und Mangertons großer Koͤrper ſteigt uͤber alle empor. Die bebaueten Striche Landes nach Killarney hin ſind ein Contraſt der fuͤrchterlichen eben erwaͤhnten Scenen; eine große Reihe ferner blauer Berge nach Dingle hin machen die entfernte Graͤnze des Sees. In dem Garten findet man die Ueberbleibſel der anſehnlichen Mucruß-Abtey, die unter Heinrich dem VI gebauet iſt, und noch ſo vollſtaͤndig ſich zeiget, daß, wenn ſie es mehr waͤre, zwar das Gebaͤude vollkommener ſeyn, die Truͤmmer aber weniger gefallen wuͤrden. Sie iſt in dem Schatten einiger ehrwuͤrdigen Eſpenbaͤume verſteckt. Epheu hat ihr das *) Youngs Reiſen durch Irland, 1ſter Th. S. 455 u. f. IV Band. R

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/133>, abgerufen am 28.03.2024.