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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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einzelner Theile eines Landsitzes.
ist kein Platz so öde, so unfruchtbar, der nicht irgend einer Cultur und Verbesserung
seines Ansehens fähig wäre.

Endlich kann ein ansehnlicher Park sich mit einer Meyerey verbinden, so wie
mit einem Thiergarten und mit einem Weinberg. Nur darf in den meisten Fällen
der Uebergang nicht plötzlich seyn, sondern nur durch allmälige Fortschreitung sich
vereinigen. Die Scenen, die jeder Gattung zugehören, ziehen durch den Reiz der
Neuheit oder doch der Abwechselung an; allein sie stechen durch den Unterschied des
Charakters zu merklich ab, und sind doch zugleich eines überraschenden Contrastes zu
wenig fähig, als daß sie, ohne alle Verbindung, auf einander folgen könnten.

5.

Die Weiden, die Heerden, die hirtenmäßigen Beschäftigungen, die sanfte
Einfalt, die ganze einnehmende Ländlichkeit einer Meyerey können einem dichterischen
Geiste Veranlassung geben, hier zuweilen Nachahmungen des arcadischen Hirtenle-
bens anzuordnen. Diese Nachahmungen scheinen der höchste Grad der Verschöne-
rung einer Meyerey zu seyn, oder vielmehr eine Anlage, die ihnen einen ganz neuen
Charakter giebt. Sie hört auf, die blos nützliche und die geschmückte Meyerey zu
seyn, sie wird die hirtenmäßige, die arcadische. Sie erneuert das Bild des theo-
critischen
Weltalters, erinnert wieder an die Zeit der ersten Einfalt der Sitten, der
harmlosen Unschuld des Schäferlebens und der ruhigen Genügsamkeit mit dem, was
die Natur anbot.

Wie glücklich war man in den goldnen Jahren,
Da Könige noch Hirten waren,
Und Hirten Könige, durch ihre Heerden reich,
An Unschuld Schaf und Schäfer gleich*)!

Ohne Zweifel war damals der Landbewohner glücklich, glücklicher als er es jetzt
seyn darf, oder auch seyn will. Die empfindungsvolle Zurückerinnerung an dieses
Glück ist eine Wirkung dieser Anlage. Sie fordert anmuthige, ruhige und gras-
reiche Thäler und Hügel zur Weide der Heerden. Sie bildet Schäferhütten in den
schönsten Lagen, Milchhäuser und reinliche Ställe. Sie gesellet den einsamen Hir-
ten zärtliche Hirtinnen zu, die mit ihnen die Hütten der Einfalt und Liebe bewohnen.
Sie giebt ihnen sanfte Sitten, reinliche und gefällige Kleidung, Spiele der Unschuld,
zuweilen ein frohes Fest, von Gesang und Tanz begleitet, und immer einen Mittel-
stand des Glücks, der von Dürftigkeit und von Ueberfluß gleich entfernt ist. Sie ord-
net die Feste nach dem Geschmack des ersten Weltalters an, Feste, wie sie Theocrit

und
*) Wernike.

einzelner Theile eines Landſitzes.
iſt kein Platz ſo oͤde, ſo unfruchtbar, der nicht irgend einer Cultur und Verbeſſerung
ſeines Anſehens faͤhig waͤre.

Endlich kann ein anſehnlicher Park ſich mit einer Meyerey verbinden, ſo wie
mit einem Thiergarten und mit einem Weinberg. Nur darf in den meiſten Faͤllen
der Uebergang nicht ploͤtzlich ſeyn, ſondern nur durch allmaͤlige Fortſchreitung ſich
vereinigen. Die Scenen, die jeder Gattung zugehoͤren, ziehen durch den Reiz der
Neuheit oder doch der Abwechſelung an; allein ſie ſtechen durch den Unterſchied des
Charakters zu merklich ab, und ſind doch zugleich eines uͤberraſchenden Contraſtes zu
wenig faͤhig, als daß ſie, ohne alle Verbindung, auf einander folgen koͤnnten.

5.

Die Weiden, die Heerden, die hirtenmaͤßigen Beſchaͤftigungen, die ſanfte
Einfalt, die ganze einnehmende Laͤndlichkeit einer Meyerey koͤnnen einem dichteriſchen
Geiſte Veranlaſſung geben, hier zuweilen Nachahmungen des arcadiſchen Hirtenle-
bens anzuordnen. Dieſe Nachahmungen ſcheinen der hoͤchſte Grad der Verſchoͤne-
rung einer Meyerey zu ſeyn, oder vielmehr eine Anlage, die ihnen einen ganz neuen
Charakter giebt. Sie hoͤrt auf, die blos nuͤtzliche und die geſchmuͤckte Meyerey zu
ſeyn, ſie wird die hirtenmaͤßige, die arcadiſche. Sie erneuert das Bild des theo-
critiſchen
Weltalters, erinnert wieder an die Zeit der erſten Einfalt der Sitten, der
harmloſen Unſchuld des Schaͤferlebens und der ruhigen Genuͤgſamkeit mit dem, was
die Natur anbot.

Wie gluͤcklich war man in den goldnen Jahren,
Da Koͤnige noch Hirten waren,
Und Hirten Koͤnige, durch ihre Heerden reich,
An Unſchuld Schaf und Schaͤfer gleich*)!

Ohne Zweifel war damals der Landbewohner gluͤcklich, gluͤcklicher als er es jetzt
ſeyn darf, oder auch ſeyn will. Die empfindungsvolle Zuruͤckerinnerung an dieſes
Gluͤck iſt eine Wirkung dieſer Anlage. Sie fordert anmuthige, ruhige und gras-
reiche Thaͤler und Huͤgel zur Weide der Heerden. Sie bildet Schaͤferhuͤtten in den
ſchoͤnſten Lagen, Milchhaͤuſer und reinliche Staͤlle. Sie geſellet den einſamen Hir-
ten zaͤrtliche Hirtinnen zu, die mit ihnen die Huͤtten der Einfalt und Liebe bewohnen.
Sie giebt ihnen ſanfte Sitten, reinliche und gefaͤllige Kleidung, Spiele der Unſchuld,
zuweilen ein frohes Feſt, von Geſang und Tanz begleitet, und immer einen Mittel-
ſtand des Gluͤcks, der von Duͤrftigkeit und von Ueberfluß gleich entfernt iſt. Sie ord-
net die Feſte nach dem Geſchmack des erſten Weltalters an, Feſte, wie ſie Theocrit

und
*) Wernike.
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[151/0159] einzelner Theile eines Landſitzes. iſt kein Platz ſo oͤde, ſo unfruchtbar, der nicht irgend einer Cultur und Verbeſſerung ſeines Anſehens faͤhig waͤre. Endlich kann ein anſehnlicher Park ſich mit einer Meyerey verbinden, ſo wie mit einem Thiergarten und mit einem Weinberg. Nur darf in den meiſten Faͤllen der Uebergang nicht ploͤtzlich ſeyn, ſondern nur durch allmaͤlige Fortſchreitung ſich vereinigen. Die Scenen, die jeder Gattung zugehoͤren, ziehen durch den Reiz der Neuheit oder doch der Abwechſelung an; allein ſie ſtechen durch den Unterſchied des Charakters zu merklich ab, und ſind doch zugleich eines uͤberraſchenden Contraſtes zu wenig faͤhig, als daß ſie, ohne alle Verbindung, auf einander folgen koͤnnten. 5. Die Weiden, die Heerden, die hirtenmaͤßigen Beſchaͤftigungen, die ſanfte Einfalt, die ganze einnehmende Laͤndlichkeit einer Meyerey koͤnnen einem dichteriſchen Geiſte Veranlaſſung geben, hier zuweilen Nachahmungen des arcadiſchen Hirtenle- bens anzuordnen. Dieſe Nachahmungen ſcheinen der hoͤchſte Grad der Verſchoͤne- rung einer Meyerey zu ſeyn, oder vielmehr eine Anlage, die ihnen einen ganz neuen Charakter giebt. Sie hoͤrt auf, die blos nuͤtzliche und die geſchmuͤckte Meyerey zu ſeyn, ſie wird die hirtenmaͤßige, die arcadiſche. Sie erneuert das Bild des theo- critiſchen Weltalters, erinnert wieder an die Zeit der erſten Einfalt der Sitten, der harmloſen Unſchuld des Schaͤferlebens und der ruhigen Genuͤgſamkeit mit dem, was die Natur anbot. Wie gluͤcklich war man in den goldnen Jahren, Da Koͤnige noch Hirten waren, Und Hirten Koͤnige, durch ihre Heerden reich, An Unſchuld Schaf und Schaͤfer gleich *)! Ohne Zweifel war damals der Landbewohner gluͤcklich, gluͤcklicher als er es jetzt ſeyn darf, oder auch ſeyn will. Die empfindungsvolle Zuruͤckerinnerung an dieſes Gluͤck iſt eine Wirkung dieſer Anlage. Sie fordert anmuthige, ruhige und gras- reiche Thaͤler und Huͤgel zur Weide der Heerden. Sie bildet Schaͤferhuͤtten in den ſchoͤnſten Lagen, Milchhaͤuſer und reinliche Staͤlle. Sie geſellet den einſamen Hir- ten zaͤrtliche Hirtinnen zu, die mit ihnen die Huͤtten der Einfalt und Liebe bewohnen. Sie giebt ihnen ſanfte Sitten, reinliche und gefaͤllige Kleidung, Spiele der Unſchuld, zuweilen ein frohes Feſt, von Geſang und Tanz begleitet, und immer einen Mittel- ſtand des Gluͤcks, der von Duͤrftigkeit und von Ueberfluß gleich entfernt iſt. Sie ord- net die Feſte nach dem Geſchmack des erſten Weltalters an, Feſte, wie ſie Theocrit und *) Wernike.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/159>, abgerufen am 19.04.2024.