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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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nach den Tageszeiten.

Die Helligkeit eines nahen Sees ist ein wichtiger Umstand für diesen Charak-
ter, und die mannichfaltigen verschönernden Schauspiele des frühen Lichts, die sich
auf seiner Fläche und an seinem Ufer umher malen, geben dem Auge eine Unter-
haltung, wobey es gerne verweilt. Ein beträchtlicher Strom, der sich vor dem
Morgengarten vorüber wälzt, gewährt eine noch größere Lebhaftigkeit. Allein auch
kleine Bäche, die unter dem Spiel des Lichts, zwischen Gras und Blumen hü-
pfen, oder mit einem hellen Geräusch dahin sprudeln, tragen nicht wenig zur Be-
lebung der Scene bey, und sind zugleich mehr in der Macht des Garten-
künstlers.

Die Gipfel der Hayne und Wälder, die Höhen der Berge und die Spi-
tzen der Felsen stellen in den Morgenstunden zauberische Spiele des Lichts dar, das
zuerst an ihnen sanft aufglimmt, sie gelb und röthlich färbt, und endlich mit einem
strahlenden Glanze überströmt, der sie in der ganzen Landschaft stark heraushebt,
indessen sich an ihren Seiten lange Schatten hinstrecken, und angenehme Ruhestel-
len für das Auge bilden. Selbst ein Kirchthurm oder die Spitze eines andern an-
sehnlichen Gebäudes in der Nähe kann in dieser Absicht wichtig werden. Diese
Gemälde des Morgenlichts sind so reizend, daß der Anleger sie nicht übersehen darf,
wo er Gelegenheit hat, sie zu gewinnen.

Der Morgengarten liebt viel freye Plätze, Rasen und Blumen, diese lieb-
lichen Bilder der Jugend, die sich im Glanz des Thaues schöner heben. Die
Freyheit ist dem Auge, das von so vielen heitern Gegenständen gerufen wird, hier
doppelt angenehm. Sie ist zugleich ein besonderes Eigenthum dieser Scene.
Manche Gegenstände gewinnen eine größere und schönere Wirkung, wenn sie nicht
gedrängt sind, sondern von einander mehr abgesondert erscheinen, sich ganz überse-
hen und an verschiedenen Stellen einzeln betrachten lassen. Wir athmen in diesen
Stunden so gern die Frischheit der hereinstreichenden Luft und die neuen Wohlge-
rüche der Kräuter, wir lieben so sehr die Milde des Lichts und die Freyheit der Aus-
sicht umher, daß wir jede Verschließung, die uns einen dieser Vortheile raubt,
mit Recht anklagen.

Die Bepflanzung des Morgengartens folge dieser Bemerkung. Sie wähle
Bäume von zarten, dünnen, gefiederten und leichten Blättern, die einen gemilder-
ten Schatten verstreuen, wie

der Quitschernbaum (Sorbus aucuparia, L.)
die Zitterpappel (Populus tremula, L.)
die
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nach den Tageszeiten.

Die Helligkeit eines nahen Sees iſt ein wichtiger Umſtand fuͤr dieſen Charak-
ter, und die mannichfaltigen verſchoͤnernden Schauſpiele des fruͤhen Lichts, die ſich
auf ſeiner Flaͤche und an ſeinem Ufer umher malen, geben dem Auge eine Unter-
haltung, wobey es gerne verweilt. Ein betraͤchtlicher Strom, der ſich vor dem
Morgengarten voruͤber waͤlzt, gewaͤhrt eine noch groͤßere Lebhaftigkeit. Allein auch
kleine Baͤche, die unter dem Spiel des Lichts, zwiſchen Gras und Blumen huͤ-
pfen, oder mit einem hellen Geraͤuſch dahin ſprudeln, tragen nicht wenig zur Be-
lebung der Scene bey, und ſind zugleich mehr in der Macht des Garten-
kuͤnſtlers.

Die Gipfel der Hayne und Waͤlder, die Hoͤhen der Berge und die Spi-
tzen der Felſen ſtellen in den Morgenſtunden zauberiſche Spiele des Lichts dar, das
zuerſt an ihnen ſanft aufglimmt, ſie gelb und roͤthlich faͤrbt, und endlich mit einem
ſtrahlenden Glanze uͤberſtroͤmt, der ſie in der ganzen Landſchaft ſtark heraushebt,
indeſſen ſich an ihren Seiten lange Schatten hinſtrecken, und angenehme Ruheſtel-
len fuͤr das Auge bilden. Selbſt ein Kirchthurm oder die Spitze eines andern an-
ſehnlichen Gebaͤudes in der Naͤhe kann in dieſer Abſicht wichtig werden. Dieſe
Gemaͤlde des Morgenlichts ſind ſo reizend, daß der Anleger ſie nicht uͤberſehen darf,
wo er Gelegenheit hat, ſie zu gewinnen.

Der Morgengarten liebt viel freye Plaͤtze, Raſen und Blumen, dieſe lieb-
lichen Bilder der Jugend, die ſich im Glanz des Thaues ſchoͤner heben. Die
Freyheit iſt dem Auge, das von ſo vielen heitern Gegenſtaͤnden gerufen wird, hier
doppelt angenehm. Sie iſt zugleich ein beſonderes Eigenthum dieſer Scene.
Manche Gegenſtaͤnde gewinnen eine groͤßere und ſchoͤnere Wirkung, wenn ſie nicht
gedraͤngt ſind, ſondern von einander mehr abgeſondert erſcheinen, ſich ganz uͤberſe-
hen und an verſchiedenen Stellen einzeln betrachten laſſen. Wir athmen in dieſen
Stunden ſo gern die Friſchheit der hereinſtreichenden Luft und die neuen Wohlge-
ruͤche der Kraͤuter, wir lieben ſo ſehr die Milde des Lichts und die Freyheit der Aus-
ſicht umher, daß wir jede Verſchließung, die uns einen dieſer Vortheile raubt,
mit Recht anklagen.

Die Bepflanzung des Morgengartens folge dieſer Bemerkung. Sie waͤhle
Baͤume von zarten, duͤnnen, gefiederten und leichten Blaͤttern, die einen gemilder-
ten Schatten verſtreuen, wie

der Quitſchernbaum (Sorbus aucuparia, L.)
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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/13>, abgerufen am 25.04.2024.