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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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einzelner Theile eines Landsitzes.
mit einer gewissen Ehrerbietung als unverletzbar betrachten, ist eine eben so vortheil-
hafte als weise Denkungsart. Der Türke hält jeden Brunnen für heilig, der am
Wege den durstigen Wanderer erquicken kann. Und selbst wilden Völkern ist jeder
Platz, wo sie sich zu irgend einer wichtigen Handlung versammeln, und jede Art
seiner Auszierung ehrwürdig und unverletzlich.

4.

Man wird hier noch die Beschreibung einiger der anmuthigsten bepflanzten
Landstraßen in Deutschland, so wie ich sie bey meiner letzten Reise *) angetroffen
habe, nicht ungern sehen. Sie zeigen, daß wir schon von dieser Seite viel ge-
wonnen, und können als Beyspiele zur Nachahmung in den Provinzen dienen, wo
es noch ganz an Anstalten dieser Art fehlt.

Im Hannöverschen fangen die am besten angelegten Landstraßen an hinter
der Hauptstadt nach der hessischen Gränze zu. Eine der schönsten, in Ansehung der
Bepflanzung und der Aussicht, ist die, welche von der sogenannten Hufe nach
Einbek heruntergeht. So reizend auch die Prospecte von dieser Seite sind, indem
man im Hinauffahren zurücksieht, so kommen sie doch nicht mit denen in Verglei-
chung, die man auf der Höhe gewinnt, und die im Hinunterfahren beständig das
Auge entzücken. Der Contrast ist ungemein auffallend. Nach einer Strecke eines
schlechten noch nicht verbesserten Weges, der zum braunschweigischen Gebiete ge-
hört, gelangt man auf der Spitze des Berges wieder auf die hannöversche Land-
straße. Ein trefflicher Weg, eine der anmuthigsten Alleen, eine über alle Erwar-
tung entzückende Aussicht empfängt auf einmal den Reisenden. Eine große, weit
ausgebreitete, fruchtbare und mannichfaltig angebauete Landschaft, mit Wäldern
und Bergen eingefaßt, füllet das Auge. Die Landstraße läuft mit verschiedenen
Wendungen die Abhänge des Berges bequem hinunter, und mit jeder Umbiegung,
mit jeder Vertiefung erscheint die Landschaft in veränderten Gemälden. Die schönen
Bäume, die von keinem Misbrauch der Gärtnerscheere gelitten, besonders die er-
wachsenen Quitschern ergötzten mit ihren geraden Stämmen und ihrem vom Gelb-
lichen ins Rothe sich färbenden Beeren nicht wenig das Auge; im Frühling begleiten
sie den Reisenden mit den süßen Düften ihrer Blüthen. -- Auf einigen Stellen der
hannöverschen Landstraßen hat man kleine mit Bäumen etwas besetzte Rasenbänke
angelegt, die dem müden Wanderer eine wohlthätige Ruhe anbieten. Allein die
Maulbeerbäume, die man hin und wieder an den öffentlichen Wegen dieses Landes
erblickt, schicken sich nicht wohl zu diesem Gebrauch; denn wegen des beständigen

Abneh-
*) Im Sommer 1783.
A a 2

einzelner Theile eines Landſitzes.
mit einer gewiſſen Ehrerbietung als unverletzbar betrachten, iſt eine eben ſo vortheil-
hafte als weiſe Denkungsart. Der Tuͤrke haͤlt jeden Brunnen fuͤr heilig, der am
Wege den durſtigen Wanderer erquicken kann. Und ſelbſt wilden Voͤlkern iſt jeder
Platz, wo ſie ſich zu irgend einer wichtigen Handlung verſammeln, und jede Art
ſeiner Auszierung ehrwuͤrdig und unverletzlich.

4.

Man wird hier noch die Beſchreibung einiger der anmuthigſten bepflanzten
Landſtraßen in Deutſchland, ſo wie ich ſie bey meiner letzten Reiſe *) angetroffen
habe, nicht ungern ſehen. Sie zeigen, daß wir ſchon von dieſer Seite viel ge-
wonnen, und koͤnnen als Beyſpiele zur Nachahmung in den Provinzen dienen, wo
es noch ganz an Anſtalten dieſer Art fehlt.

Im Hannoͤverſchen fangen die am beſten angelegten Landſtraßen an hinter
der Hauptſtadt nach der heſſiſchen Graͤnze zu. Eine der ſchoͤnſten, in Anſehung der
Bepflanzung und der Ausſicht, iſt die, welche von der ſogenannten Hufe nach
Einbek heruntergeht. So reizend auch die Proſpecte von dieſer Seite ſind, indem
man im Hinauffahren zuruͤckſieht, ſo kommen ſie doch nicht mit denen in Verglei-
chung, die man auf der Hoͤhe gewinnt, und die im Hinunterfahren beſtaͤndig das
Auge entzuͤcken. Der Contraſt iſt ungemein auffallend. Nach einer Strecke eines
ſchlechten noch nicht verbeſſerten Weges, der zum braunſchweigiſchen Gebiete ge-
hoͤrt, gelangt man auf der Spitze des Berges wieder auf die hannoͤverſche Land-
ſtraße. Ein trefflicher Weg, eine der anmuthigſten Alleen, eine uͤber alle Erwar-
tung entzuͤckende Ausſicht empfaͤngt auf einmal den Reiſenden. Eine große, weit
ausgebreitete, fruchtbare und mannichfaltig angebauete Landſchaft, mit Waͤldern
und Bergen eingefaßt, fuͤllet das Auge. Die Landſtraße laͤuft mit verſchiedenen
Wendungen die Abhaͤnge des Berges bequem hinunter, und mit jeder Umbiegung,
mit jeder Vertiefung erſcheint die Landſchaft in veraͤnderten Gemaͤlden. Die ſchoͤnen
Baͤume, die von keinem Misbrauch der Gaͤrtnerſcheere gelitten, beſonders die er-
wachſenen Quitſchern ergoͤtzten mit ihren geraden Staͤmmen und ihrem vom Gelb-
lichen ins Rothe ſich faͤrbenden Beeren nicht wenig das Auge; im Fruͤhling begleiten
ſie den Reiſenden mit den ſuͤßen Duͤften ihrer Bluͤthen. — Auf einigen Stellen der
hannoͤverſchen Landſtraßen hat man kleine mit Baͤumen etwas beſetzte Raſenbaͤnke
angelegt, die dem muͤden Wanderer eine wohlthaͤtige Ruhe anbieten. Allein die
Maulbeerbaͤume, die man hin und wieder an den oͤffentlichen Wegen dieſes Landes
erblickt, ſchicken ſich nicht wohl zu dieſem Gebrauch; denn wegen des beſtaͤndigen

Abneh-
*) Im Sommer 1783.
A a 2
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[187/0195] einzelner Theile eines Landſitzes. mit einer gewiſſen Ehrerbietung als unverletzbar betrachten, iſt eine eben ſo vortheil- hafte als weiſe Denkungsart. Der Tuͤrke haͤlt jeden Brunnen fuͤr heilig, der am Wege den durſtigen Wanderer erquicken kann. Und ſelbſt wilden Voͤlkern iſt jeder Platz, wo ſie ſich zu irgend einer wichtigen Handlung verſammeln, und jede Art ſeiner Auszierung ehrwuͤrdig und unverletzlich. 4. Man wird hier noch die Beſchreibung einiger der anmuthigſten bepflanzten Landſtraßen in Deutſchland, ſo wie ich ſie bey meiner letzten Reiſe *) angetroffen habe, nicht ungern ſehen. Sie zeigen, daß wir ſchon von dieſer Seite viel ge- wonnen, und koͤnnen als Beyſpiele zur Nachahmung in den Provinzen dienen, wo es noch ganz an Anſtalten dieſer Art fehlt. Im Hannoͤverſchen fangen die am beſten angelegten Landſtraßen an hinter der Hauptſtadt nach der heſſiſchen Graͤnze zu. Eine der ſchoͤnſten, in Anſehung der Bepflanzung und der Ausſicht, iſt die, welche von der ſogenannten Hufe nach Einbek heruntergeht. So reizend auch die Proſpecte von dieſer Seite ſind, indem man im Hinauffahren zuruͤckſieht, ſo kommen ſie doch nicht mit denen in Verglei- chung, die man auf der Hoͤhe gewinnt, und die im Hinunterfahren beſtaͤndig das Auge entzuͤcken. Der Contraſt iſt ungemein auffallend. Nach einer Strecke eines ſchlechten noch nicht verbeſſerten Weges, der zum braunſchweigiſchen Gebiete ge- hoͤrt, gelangt man auf der Spitze des Berges wieder auf die hannoͤverſche Land- ſtraße. Ein trefflicher Weg, eine der anmuthigſten Alleen, eine uͤber alle Erwar- tung entzuͤckende Ausſicht empfaͤngt auf einmal den Reiſenden. Eine große, weit ausgebreitete, fruchtbare und mannichfaltig angebauete Landſchaft, mit Waͤldern und Bergen eingefaßt, fuͤllet das Auge. Die Landſtraße laͤuft mit verſchiedenen Wendungen die Abhaͤnge des Berges bequem hinunter, und mit jeder Umbiegung, mit jeder Vertiefung erſcheint die Landſchaft in veraͤnderten Gemaͤlden. Die ſchoͤnen Baͤume, die von keinem Misbrauch der Gaͤrtnerſcheere gelitten, beſonders die er- wachſenen Quitſchern ergoͤtzten mit ihren geraden Staͤmmen und ihrem vom Gelb- lichen ins Rothe ſich faͤrbenden Beeren nicht wenig das Auge; im Fruͤhling begleiten ſie den Reiſenden mit den ſuͤßen Duͤften ihrer Bluͤthen. — Auf einigen Stellen der hannoͤverſchen Landſtraßen hat man kleine mit Baͤumen etwas beſetzte Raſenbaͤnke angelegt, die dem muͤden Wanderer eine wohlthaͤtige Ruhe anbieten. Allein die Maulbeerbaͤume, die man hin und wieder an den oͤffentlichen Wegen dieſes Landes erblickt, ſchicken ſich nicht wohl zu dieſem Gebrauch; denn wegen des beſtaͤndigen Abneh- *) Im Sommer 1783. A a 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/195>, abgerufen am 29.03.2024.