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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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I.
Garten bey dem Posthofe vor Hannover.
*)

Dieser Garten ist gleich der Liebling von allen, die ihn nur sehen; er befriedigt
den Kenner und fesselt den bloßen Liebhaber; Reisende und Einheimische ver-
einigen sich in ihm zum Genuß der heitersten Augenblicke; denn er schmeichelt den
Sinnen und unterhält den Geist.

Der Begriff der Heiterkeit wird sogleich beym Eintritt durch eine Gruppe von
mancherley Blumen erregt, welche die Mitte eines Rasens ziert. Die Gänge fan-
gen zugleich an, das Auge zwischen den mannichfaltigen Baumgruppen hinzulocken,
und eine lebhafte Erwartung des Vergnügens zu erwecken, das der Freund der
schönen Natur und des reinen Gartengeschmacks hier genießen soll.

Das Auge irret zwischen den Klumps, den Gebüschen, den einzelnen Bäu-
men, den Rasen, den Blumengruppen fort, von Licht zu Schatten, von Schatten
zu Licht, vom Offenen zum Verschlossenen, vom Heitern zum Dunkeln, von jeder
Abwechselung in der Schattirung des Grüns. Die innern Prospecte sind bis zum
Erstaunen vervielfältigt und abwechselnd; jeder Schritt, jede Stellung, jede Wen-
dung auf dem Hingange und auf der Rückkehr stellt ein neues Gemälde dar. Die
Gruppen, von deren Anordnung diese glückliche Wirkung bestimmt wird, sind mit
einer Meisterhand gestellt und ausgebildet, immer abwechselnd an Form, an Größe,
an Zusammensetzung, an Abstand. Sie springen bald vor, ziehen sich bald zurück;
sie öffnen und verschließen; sie verlängern die Prospecte und verkürzen sie wieder; sie
scheinen alle in Bewegung, um die Gemälde hervorzustellen oder zurück zu nehmen,
sie zu erheitern oder zu verdunkeln. Daher die erstaunliche Mannichfaltigkeit von
Ansichten, und die beständige Abänderung der Scenen auf einem so wenig ausge-
breiteten Platze.

Eine
*) Dieser Garten, nebst dem folgenden
Garten zu Marienwerder, gehörte dem
Königl. Großbrit. und Churfürstl. Han-
növerschen Legationsrath Hrn. Jobst Anton
von Hinüber, und beyde sind von ihm an-
gelegt. Dieser vortreffliche Mann, einer
der größten Gartenkenner, ward am 15ten
Januar 1784 seiner schätzbaren Familie,
seinen Freunden und der Menschheit ent-
[Spaltenumbruch] rissen. Sanft ruhe die Afche des Edlen,
der seinen Mitbürgern so manche fanfte
Freude über die unter seiner Hand blühende
Natur darbot! Seine Anlagen sind
nicht verloren. Sie sind in den Besitz
seines ältesten Sohns, des Hrn. Hofraths
von Hinüber, eines durch Geist und
Herz verehrungswerthen Mannes, ge-
kommen.
B b 3


I.
Garten bey dem Poſthofe vor Hannover.
*)

Dieſer Garten iſt gleich der Liebling von allen, die ihn nur ſehen; er befriedigt
den Kenner und feſſelt den bloßen Liebhaber; Reiſende und Einheimiſche ver-
einigen ſich in ihm zum Genuß der heiterſten Augenblicke; denn er ſchmeichelt den
Sinnen und unterhaͤlt den Geiſt.

Der Begriff der Heiterkeit wird ſogleich beym Eintritt durch eine Gruppe von
mancherley Blumen erregt, welche die Mitte eines Raſens ziert. Die Gaͤnge fan-
gen zugleich an, das Auge zwiſchen den mannichfaltigen Baumgruppen hinzulocken,
und eine lebhafte Erwartung des Vergnuͤgens zu erwecken, das der Freund der
ſchoͤnen Natur und des reinen Gartengeſchmacks hier genießen ſoll.

Das Auge irret zwiſchen den Klumps, den Gebuͤſchen, den einzelnen Baͤu-
men, den Raſen, den Blumengruppen fort, von Licht zu Schatten, von Schatten
zu Licht, vom Offenen zum Verſchloſſenen, vom Heitern zum Dunkeln, von jeder
Abwechſelung in der Schattirung des Gruͤns. Die innern Proſpecte ſind bis zum
Erſtaunen vervielfaͤltigt und abwechſelnd; jeder Schritt, jede Stellung, jede Wen-
dung auf dem Hingange und auf der Ruͤckkehr ſtellt ein neues Gemaͤlde dar. Die
Gruppen, von deren Anordnung dieſe gluͤckliche Wirkung beſtimmt wird, ſind mit
einer Meiſterhand geſtellt und ausgebildet, immer abwechſelnd an Form, an Groͤße,
an Zuſammenſetzung, an Abſtand. Sie ſpringen bald vor, ziehen ſich bald zuruͤck;
ſie oͤffnen und verſchließen; ſie verlaͤngern die Proſpecte und verkuͤrzen ſie wieder; ſie
ſcheinen alle in Bewegung, um die Gemaͤlde hervorzuſtellen oder zuruͤck zu nehmen,
ſie zu erheitern oder zu verdunkeln. Daher die erſtaunliche Mannichfaltigkeit von
Anſichten, und die beſtaͤndige Abaͤnderung der Scenen auf einem ſo wenig ausge-
breiteten Platze.

Eine
*) Dieſer Garten, nebſt dem folgenden
Garten zu Marienwerder, gehoͤrte dem
Koͤnigl. Großbrit. und Churfuͤrſtl. Han-
noͤverſchen Legationsrath Hrn. Jobſt Anton
von Hinuͤber, und beyde ſind von ihm an-
gelegt. Dieſer vortreffliche Mann, einer
der groͤßten Gartenkenner, ward am 15ten
Januar 1784 ſeiner ſchaͤtzbaren Familie,
ſeinen Freunden und der Menſchheit ent-
[Spaltenumbruch] riſſen. Sanft ruhe die Afche des Edlen,
der ſeinen Mitbuͤrgern ſo manche fanfte
Freude uͤber die unter ſeiner Hand bluͤhende
Natur darbot! Seine Anlagen ſind
nicht verloren. Sie ſind in den Beſitz
ſeines aͤlteſten Sohns, des Hrn. Hofraths
von Hinuͤber, eines durch Geiſt und
Herz verehrungswerthen Mannes, ge-
kommen.
B b 3
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[197/0205] I. Garten bey dem Poſthofe vor Hannover. *) Dieſer Garten iſt gleich der Liebling von allen, die ihn nur ſehen; er befriedigt den Kenner und feſſelt den bloßen Liebhaber; Reiſende und Einheimiſche ver- einigen ſich in ihm zum Genuß der heiterſten Augenblicke; denn er ſchmeichelt den Sinnen und unterhaͤlt den Geiſt. Der Begriff der Heiterkeit wird ſogleich beym Eintritt durch eine Gruppe von mancherley Blumen erregt, welche die Mitte eines Raſens ziert. Die Gaͤnge fan- gen zugleich an, das Auge zwiſchen den mannichfaltigen Baumgruppen hinzulocken, und eine lebhafte Erwartung des Vergnuͤgens zu erwecken, das der Freund der ſchoͤnen Natur und des reinen Gartengeſchmacks hier genießen ſoll. Das Auge irret zwiſchen den Klumps, den Gebuͤſchen, den einzelnen Baͤu- men, den Raſen, den Blumengruppen fort, von Licht zu Schatten, von Schatten zu Licht, vom Offenen zum Verſchloſſenen, vom Heitern zum Dunkeln, von jeder Abwechſelung in der Schattirung des Gruͤns. Die innern Proſpecte ſind bis zum Erſtaunen vervielfaͤltigt und abwechſelnd; jeder Schritt, jede Stellung, jede Wen- dung auf dem Hingange und auf der Ruͤckkehr ſtellt ein neues Gemaͤlde dar. Die Gruppen, von deren Anordnung dieſe gluͤckliche Wirkung beſtimmt wird, ſind mit einer Meiſterhand geſtellt und ausgebildet, immer abwechſelnd an Form, an Groͤße, an Zuſammenſetzung, an Abſtand. Sie ſpringen bald vor, ziehen ſich bald zuruͤck; ſie oͤffnen und verſchließen; ſie verlaͤngern die Proſpecte und verkuͤrzen ſie wieder; ſie ſcheinen alle in Bewegung, um die Gemaͤlde hervorzuſtellen oder zuruͤck zu nehmen, ſie zu erheitern oder zu verdunkeln. Daher die erſtaunliche Mannichfaltigkeit von Anſichten, und die beſtaͤndige Abaͤnderung der Scenen auf einem ſo wenig ausge- breiteten Platze. Eine *) Dieſer Garten, nebſt dem folgenden Garten zu Marienwerder, gehoͤrte dem Koͤnigl. Großbrit. und Churfuͤrſtl. Han- noͤverſchen Legationsrath Hrn. Jobſt Anton von Hinuͤber, und beyde ſind von ihm an- gelegt. Dieſer vortreffliche Mann, einer der groͤßten Gartenkenner, ward am 15ten Januar 1784 ſeiner ſchaͤtzbaren Familie, ſeinen Freunden und der Menſchheit ent- riſſen. Sanft ruhe die Afche des Edlen, der ſeinen Mitbuͤrgern ſo manche fanfte Freude uͤber die unter ſeiner Hand bluͤhende Natur darbot! Seine Anlagen ſind nicht verloren. Sie ſind in den Beſitz ſeines aͤlteſten Sohns, des Hrn. Hofraths von Hinuͤber, eines durch Geiſt und Herz verehrungswerthen Mannes, ge- kommen. B b 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/205>, abgerufen am 29.03.2024.