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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gärten,
3.

Wenn irgend eine Gegend um Warschau zu einem englischen Park umge-
schaffen werden sollte, so schickt sich meines Erachtens keine besser dazu, als die der
Stadt gegen Mitternacht liegt. Der schöne drey Viertelstunden von ihr gelegene
Bielaner Wald, die ohnweit davon liegende Chur-Sächs. Besitzung von Ma-
riemont
, das eine halbe Stunde davon entfernte Mlodzin mit seinem Thiergarten,
die Gegend von Wawriszew, und das von solchem gegen die Stadt zu liegende
Powonsk, würde gewiß alles gewähren, was man sich von einem solchen Park
denken kann; und um diese Gegenden genauer bekannt zu machen, werde ich von
jedem Theile derselben sagen, was hieher gehört.

Der Bielaner Wald liegt dicht an der Weichsel, und erhebt sich von ihren
Ufern bis auf eine ansehnliche Höhe, von welcher er auch einen ziemlichen Strich
einnimmt. Sein niederer Theil bestehet aus viele Menschenalter übersteigenden
Eichen und Rüstern, der obere Theil aber ist mit Nadelholz vermischt. Durchhin
schlängelt sich ein Bach, der darinn etliche Mühlen treibt. Mitten innen steht ein
massives Kamedullenkloster, wo alle Jahre am zweyten Pfingstfeyertage Ablaß gegeben
wird. Dieser und die schöne Jahreszeit ziehen den größten Theil der Warschauer
Einwohner und schönen Welt hierher, und machen für solche eines der herrlichsten
Feste. An diesem einzigen Tage im Jahre stehet dem schönen Geschlechte das Klo-
ster offen, dessen geheiligte Schwellen sie sonst nie betreten dürfen. Der vor dem
Kloster liegende große Platz und ein Theil des Waldes wimmelt an diesem Tage von
Zelten und Geschöpfen, die jedes nach seiner Art Vergnügen suchen und finden; man
bemerkt hier einen wunderlichen Contrast von Frömmigkeit und Ausschweifung, von
Sünden vergeben und Sünden begehen. Der König und die vornehmsten Herr-
schaften finden sich auch daselbst ein, und fahren wenigstens durch diese bunten Rei-
hen. Zu Anfang der jetzigen Regierung wurde hier an diesem Tage ein glänzendes
Fest für das Volk und den Adel vom König veranstaltet, das in seiner Art vortreff-
lich war, und wegen der dabey angebrachten Cocagna und Volksspiele einem wahren
Bachanal, bis auf den Ablaß, glich. *) Dieser Tag macht auch für die von
der Welt getrennten frommen Mönche ein artiges Einkommen, da sie sich alle
Plätze, wo etwas verkauft wird, theuer bezahlen lassen, und einen Gastwirth halten,

der
*) Die genaue Beschreibung von diesem
großen und herrlichen damaligen Feste lie-
set man in den bis Ende 1772 von dem
Hrn. Senator zu Thorn, D. von Geret,
[Spaltenumbruch] von 1760 an herausgegebenen Thornischen
Anzeigen, welche immer ein classisches Werk
für die Geschichte von Pohlen von jener
Zeit bleiben werden.
Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten,
3.

Wenn irgend eine Gegend um Warſchau zu einem engliſchen Park umge-
ſchaffen werden ſollte, ſo ſchickt ſich meines Erachtens keine beſſer dazu, als die der
Stadt gegen Mitternacht liegt. Der ſchoͤne drey Viertelſtunden von ihr gelegene
Bielaner Wald, die ohnweit davon liegende Chur-Saͤchſ. Beſitzung von Ma-
riemont
, das eine halbe Stunde davon entfernte Mlodzin mit ſeinem Thiergarten,
die Gegend von Wawriszew, und das von ſolchem gegen die Stadt zu liegende
Powonsk, wuͤrde gewiß alles gewaͤhren, was man ſich von einem ſolchen Park
denken kann; und um dieſe Gegenden genauer bekannt zu machen, werde ich von
jedem Theile derſelben ſagen, was hieher gehoͤrt.

Der Bielaner Wald liegt dicht an der Weichſel, und erhebt ſich von ihren
Ufern bis auf eine anſehnliche Hoͤhe, von welcher er auch einen ziemlichen Strich
einnimmt. Sein niederer Theil beſtehet aus viele Menſchenalter uͤberſteigenden
Eichen und Ruͤſtern, der obere Theil aber iſt mit Nadelholz vermiſcht. Durchhin
ſchlaͤngelt ſich ein Bach, der darinn etliche Muͤhlen treibt. Mitten innen ſteht ein
maſſives Kamedullenkloſter, wo alle Jahre am zweyten Pfingſtfeyertage Ablaß gegeben
wird. Dieſer und die ſchoͤne Jahreszeit ziehen den groͤßten Theil der Warſchauer
Einwohner und ſchoͤnen Welt hierher, und machen fuͤr ſolche eines der herrlichſten
Feſte. An dieſem einzigen Tage im Jahre ſtehet dem ſchoͤnen Geſchlechte das Klo-
ſter offen, deſſen geheiligte Schwellen ſie ſonſt nie betreten duͤrfen. Der vor dem
Kloſter liegende große Platz und ein Theil des Waldes wimmelt an dieſem Tage von
Zelten und Geſchoͤpfen, die jedes nach ſeiner Art Vergnuͤgen ſuchen und finden; man
bemerkt hier einen wunderlichen Contraſt von Froͤmmigkeit und Ausſchweifung, von
Suͤnden vergeben und Suͤnden begehen. Der Koͤnig und die vornehmſten Herr-
ſchaften finden ſich auch daſelbſt ein, und fahren wenigſtens durch dieſe bunten Rei-
hen. Zu Anfang der jetzigen Regierung wurde hier an dieſem Tage ein glaͤnzendes
Feſt fuͤr das Volk und den Adel vom Koͤnig veranſtaltet, das in ſeiner Art vortreff-
lich war, und wegen der dabey angebrachten Cocagna und Volksſpiele einem wahren
Bachanal, bis auf den Ablaß, glich. *) Dieſer Tag macht auch fuͤr die von
der Welt getrennten frommen Moͤnche ein artiges Einkommen, da ſie ſich alle
Plaͤtze, wo etwas verkauft wird, theuer bezahlen laſſen, und einen Gaſtwirth halten,

der
*) Die genaue Beſchreibung von dieſem
großen und herrlichen damaligen Feſte lie-
ſet man in den bis Ende 1772 von dem
Hrn. Senator zu Thorn, D. von Geret,
[Spaltenumbruch] von 1760 an herausgegebenen Thorniſchen
Anzeigen, welche immer ein claſſiſches Werk
fuͤr die Geſchichte von Pohlen von jener
Zeit bleiben werden.
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[306/0314] Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten, 3. Wenn irgend eine Gegend um Warſchau zu einem engliſchen Park umge- ſchaffen werden ſollte, ſo ſchickt ſich meines Erachtens keine beſſer dazu, als die der Stadt gegen Mitternacht liegt. Der ſchoͤne drey Viertelſtunden von ihr gelegene Bielaner Wald, die ohnweit davon liegende Chur-Saͤchſ. Beſitzung von Ma- riemont, das eine halbe Stunde davon entfernte Mlodzin mit ſeinem Thiergarten, die Gegend von Wawriszew, und das von ſolchem gegen die Stadt zu liegende Powonsk, wuͤrde gewiß alles gewaͤhren, was man ſich von einem ſolchen Park denken kann; und um dieſe Gegenden genauer bekannt zu machen, werde ich von jedem Theile derſelben ſagen, was hieher gehoͤrt. Der Bielaner Wald liegt dicht an der Weichſel, und erhebt ſich von ihren Ufern bis auf eine anſehnliche Hoͤhe, von welcher er auch einen ziemlichen Strich einnimmt. Sein niederer Theil beſtehet aus viele Menſchenalter uͤberſteigenden Eichen und Ruͤſtern, der obere Theil aber iſt mit Nadelholz vermiſcht. Durchhin ſchlaͤngelt ſich ein Bach, der darinn etliche Muͤhlen treibt. Mitten innen ſteht ein maſſives Kamedullenkloſter, wo alle Jahre am zweyten Pfingſtfeyertage Ablaß gegeben wird. Dieſer und die ſchoͤne Jahreszeit ziehen den groͤßten Theil der Warſchauer Einwohner und ſchoͤnen Welt hierher, und machen fuͤr ſolche eines der herrlichſten Feſte. An dieſem einzigen Tage im Jahre ſtehet dem ſchoͤnen Geſchlechte das Klo- ſter offen, deſſen geheiligte Schwellen ſie ſonſt nie betreten duͤrfen. Der vor dem Kloſter liegende große Platz und ein Theil des Waldes wimmelt an dieſem Tage von Zelten und Geſchoͤpfen, die jedes nach ſeiner Art Vergnuͤgen ſuchen und finden; man bemerkt hier einen wunderlichen Contraſt von Froͤmmigkeit und Ausſchweifung, von Suͤnden vergeben und Suͤnden begehen. Der Koͤnig und die vornehmſten Herr- ſchaften finden ſich auch daſelbſt ein, und fahren wenigſtens durch dieſe bunten Rei- hen. Zu Anfang der jetzigen Regierung wurde hier an dieſem Tage ein glaͤnzendes Feſt fuͤr das Volk und den Adel vom Koͤnig veranſtaltet, das in ſeiner Art vortreff- lich war, und wegen der dabey angebrachten Cocagna und Volksſpiele einem wahren Bachanal, bis auf den Ablaß, glich. *) Dieſer Tag macht auch fuͤr die von der Welt getrennten frommen Moͤnche ein artiges Einkommen, da ſie ſich alle Plaͤtze, wo etwas verkauft wird, theuer bezahlen laſſen, und einen Gaſtwirth halten, der *) Die genaue Beſchreibung von dieſem großen und herrlichen damaligen Feſte lie- ſet man in den bis Ende 1772 von dem Hrn. Senator zu Thorn, D. von Geret, von 1760 an herausgegebenen Thorniſchen Anzeigen, welche immer ein claſſiſches Werk fuͤr die Geſchichte von Pohlen von jener Zeit bleiben werden.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/314>, abgerufen am 29.03.2024.