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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Siebenter Abschnitt. Gärten, deren Charakter
und schönen Orangerie. Die Anlage der Aue ist verschiedener Veränderungen
und Verschönerungen werth. *)

Der Charakter der Aussichten bey Volksgärten ist indessen nach der Verschie-
denheit der Lage sehr abwechselnd. Bey Landstädten sind es gewöhnlich Wiesen, Wäl-
der und Kornfluren, die das Auge unterhalten; bey Seestädten Prospecte auf die
Pracht des Meeres und auf das geschäftige Gewühl schiffreicher Häfen; bey Berg-
städten die Erhabenheit der Gebirge, das Getöse der Ströme und die Wildheit der
Wasserfälle. Manche befestigte Städte haben ihre Wälle mit Vortheil in bepflanzte
Spaziergänge verwandelt. In Hannover werden jetzt die Wälle mit vielen Kosten
abgetragen, und die geebneten Plätze mit vortrefflichen Platanen, zum öffentlichen
Spaziergang unter den schönen Aussichten in die umliegenden Landschaften, bepflanzt.
Dennoch hat die Stadt, außer den königlichen Gärten, vor dem neuen Thore eine
Allee von Birken und andern Waldbäumen mit untergemischten Maulbeerbäumen,
die in ein überaus anmuthiges schattenreiches Lustgebüsch mit schlängelnden Gän-
gen führt.

II.
Gärten bey Akademien.
1.

Die Musen lieben nicht finstre bestäubte Mauern, sondern heitere Höhen mit schat-
tenreichen Haynen, mit klaren Quellen und Blumen. Der Helikon, ihre
vormalige Wohnung, war einer der fruchtbarsten und waldigsten Berge in Grie-
chenland
. Ihn verschönerte die Frucht des Adrachnus, einer Art von Erdbeer-
baum (Arbutus), die außerordentlich süß und heilsam war, und selbst das Gist der
Schlangen weniger schädlich machen sollte. Der Berg näherte sich gegen Norden
dem Parnaß, wo er Phocis berührte, und kam seinem Nachbar an Höhe, Um-
fang und Größe gleich. Die Beherrscherinnen des Helikons waren die Musen.
Hier war ihr schattigter Hayn mit ihren Bildnissen und den Statuen des Apoll,
Bacchus, Linus
und Orpheus und der berühmten Dichter. Die Thäler des He-
likons
sind nach Whelers Beschreibung grün und beblümt, und werden von liebli-

chen
*) Man hat von dem Prater und Au-
garten, von dem berliner Thiergarten und
von der Aue verschiedene Grundrisse und
Prospecte, deren Anführung hier unnöthig
[Spaltenumbruch] scheint, da sie, wegen der gewöhnlichen
Veränderungen solcher Anlagen, bald un-
brauchbar oder durch neuere Vorstellungen
verdrängt werden.

Siebenter Abſchnitt. Gaͤrten, deren Charakter
und ſchoͤnen Orangerie. Die Anlage der Aue iſt verſchiedener Veraͤnderungen
und Verſchoͤnerungen werth. *)

Der Charakter der Ausſichten bey Volksgaͤrten iſt indeſſen nach der Verſchie-
denheit der Lage ſehr abwechſelnd. Bey Landſtaͤdten ſind es gewoͤhnlich Wieſen, Waͤl-
der und Kornfluren, die das Auge unterhalten; bey Seeſtaͤdten Proſpecte auf die
Pracht des Meeres und auf das geſchaͤftige Gewuͤhl ſchiffreicher Haͤfen; bey Berg-
ſtaͤdten die Erhabenheit der Gebirge, das Getoͤſe der Stroͤme und die Wildheit der
Waſſerfaͤlle. Manche befeſtigte Staͤdte haben ihre Waͤlle mit Vortheil in bepflanzte
Spaziergaͤnge verwandelt. In Hannover werden jetzt die Waͤlle mit vielen Koſten
abgetragen, und die geebneten Plaͤtze mit vortrefflichen Platanen, zum oͤffentlichen
Spaziergang unter den ſchoͤnen Ausſichten in die umliegenden Landſchaften, bepflanzt.
Dennoch hat die Stadt, außer den koͤniglichen Gaͤrten, vor dem neuen Thore eine
Allee von Birken und andern Waldbaͤumen mit untergemiſchten Maulbeerbaͤumen,
die in ein uͤberaus anmuthiges ſchattenreiches Luſtgebuͤſch mit ſchlaͤngelnden Gaͤn-
gen fuͤhrt.

II.
Gaͤrten bey Akademien.
1.

Die Muſen lieben nicht finſtre beſtaͤubte Mauern, ſondern heitere Hoͤhen mit ſchat-
tenreichen Haynen, mit klaren Quellen und Blumen. Der Helikon, ihre
vormalige Wohnung, war einer der fruchtbarſten und waldigſten Berge in Grie-
chenland
. Ihn verſchoͤnerte die Frucht des Adrachnus, einer Art von Erdbeer-
baum (Arbutus), die außerordentlich ſuͤß und heilſam war, und ſelbſt das Giſt der
Schlangen weniger ſchaͤdlich machen ſollte. Der Berg naͤherte ſich gegen Norden
dem Parnaß, wo er Phocis beruͤhrte, und kam ſeinem Nachbar an Hoͤhe, Um-
fang und Groͤße gleich. Die Beherrſcherinnen des Helikons waren die Muſen.
Hier war ihr ſchattigter Hayn mit ihren Bildniſſen und den Statuen des Apoll,
Bacchus, Linus
und Orpheus und der beruͤhmten Dichter. Die Thaͤler des He-
likons
ſind nach Whelers Beſchreibung gruͤn und bebluͤmt, und werden von liebli-

chen
*) Man hat von dem Prater und Au-
garten, von dem berliner Thiergarten und
von der Aue verſchiedene Grundriſſe und
Proſpecte, deren Anfuͤhrung hier unnoͤthig
[Spaltenumbruch] ſcheint, da ſie, wegen der gewoͤhnlichen
Veraͤnderungen ſolcher Anlagen, bald un-
brauchbar oder durch neuere Vorſtellungen
verdraͤngt werden.
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[74/0082] Siebenter Abſchnitt. Gaͤrten, deren Charakter und ſchoͤnen Orangerie. Die Anlage der Aue iſt verſchiedener Veraͤnderungen und Verſchoͤnerungen werth. *) Der Charakter der Ausſichten bey Volksgaͤrten iſt indeſſen nach der Verſchie- denheit der Lage ſehr abwechſelnd. Bey Landſtaͤdten ſind es gewoͤhnlich Wieſen, Waͤl- der und Kornfluren, die das Auge unterhalten; bey Seeſtaͤdten Proſpecte auf die Pracht des Meeres und auf das geſchaͤftige Gewuͤhl ſchiffreicher Haͤfen; bey Berg- ſtaͤdten die Erhabenheit der Gebirge, das Getoͤſe der Stroͤme und die Wildheit der Waſſerfaͤlle. Manche befeſtigte Staͤdte haben ihre Waͤlle mit Vortheil in bepflanzte Spaziergaͤnge verwandelt. In Hannover werden jetzt die Waͤlle mit vielen Koſten abgetragen, und die geebneten Plaͤtze mit vortrefflichen Platanen, zum oͤffentlichen Spaziergang unter den ſchoͤnen Ausſichten in die umliegenden Landſchaften, bepflanzt. Dennoch hat die Stadt, außer den koͤniglichen Gaͤrten, vor dem neuen Thore eine Allee von Birken und andern Waldbaͤumen mit untergemiſchten Maulbeerbaͤumen, die in ein uͤberaus anmuthiges ſchattenreiches Luſtgebuͤſch mit ſchlaͤngelnden Gaͤn- gen fuͤhrt. II. Gaͤrten bey Akademien. 1. Die Muſen lieben nicht finſtre beſtaͤubte Mauern, ſondern heitere Hoͤhen mit ſchat- tenreichen Haynen, mit klaren Quellen und Blumen. Der Helikon, ihre vormalige Wohnung, war einer der fruchtbarſten und waldigſten Berge in Grie- chenland. Ihn verſchoͤnerte die Frucht des Adrachnus, einer Art von Erdbeer- baum (Arbutus), die außerordentlich ſuͤß und heilſam war, und ſelbſt das Giſt der Schlangen weniger ſchaͤdlich machen ſollte. Der Berg naͤherte ſich gegen Norden dem Parnaß, wo er Phocis beruͤhrte, und kam ſeinem Nachbar an Hoͤhe, Um- fang und Groͤße gleich. Die Beherrſcherinnen des Helikons waren die Muſen. Hier war ihr ſchattigter Hayn mit ihren Bildniſſen und den Statuen des Apoll, Bacchus, Linus und Orpheus und der beruͤhmten Dichter. Die Thaͤler des He- likons ſind nach Whelers Beſchreibung gruͤn und bebluͤmt, und werden von liebli- chen *) Man hat von dem Prater und Au- garten, von dem berliner Thiergarten und von der Aue verſchiedene Grundriſſe und Proſpecte, deren Anfuͤhrung hier unnoͤthig ſcheint, da ſie, wegen der gewoͤhnlichen Veraͤnderungen ſolcher Anlagen, bald un- brauchbar oder durch neuere Vorſtellungen verdraͤngt werden.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/82>, abgerufen am 18.04.2024.