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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Siebenter Abschnitt. Gärten, deren Charakter
wöhnlich es auch ist, sie aufzustellen, sondern Erinnerungen an einen wahren Ver-
lust. Kann hier nicht einem abgestorbenen frommen Freund eine Urne, ein Grabmal
gesetzt werden, das seine Asche enthält? Wenn die Stille des Abends in den heiligen
Hayn winkt, und der Mond, der an dem Grabe schleicht, mit seiner bleichen Fackel
diese Inschrift an einer nahen Eiche erhellt:
Mein Freund ist hin!
Sein Schatten schwebt mir noch vor dem verwirrten Sinn.
Mich deucht, ich seh sein Bild, ich höre seine Worte;
Ihn aber hält am ernsten Orte,
Die nichts zurücke läßt,
Die Ewigkeit mit starken Armen fest. *)

wie reich an feyerlicher Rührung ist nicht eine solche Scene! Auch Erinnerungen an
die Flucht der Zeit sind hier schicklich. Eine kleine Einsiedeley, blos mit einem Stun-
denglas auf dem Tische, und hinter ihm mit diesen Worten an der Wand:
En ruit hora, ruit sic vita ruentibus horis;
Sors, quamcunque dabit, non mihi vana ruat.

kann schon lehrreich rühren. Man möchte vielleicht Einsiedeleyen hier fast für über-
flüßig halten, weil schon das Hauptgebäude, die ganze Lebensart einsiedlerisch genug
ist; indessen haben sie doch in Klostergärten eine Schicklichkeit, die ihnen an vielen
andern Orten fehlt, und können, wenn sie auch nicht zur Bewohnung dienen, doch als
Gegenstände der Bezeichnung gelten, welche die Wirkung des Ganzen verstärken hel-
fen. Doch dürfen sie weder einander durch ihre Lage berühren, noch in einem einzelnen
Garten gehäuft werden, indem sie sonst den Begriff der Einsamkeit durch die Vor-
stellung von Geselligkeit aufheben würden. Zerbrochene Grabsteine, verfallenes Ge-
mäuer von Epheu durchwachsen, und andere Arten von Ruinen finden hier, als Bilder
der Vergänglichkeit, ihre Stelle. Die Gebäude eines Klostergartens, als Kapellen,
Gebeinhäuser, Einsiedlerwohnungen, und selbst die Ruinen müssen im gothischen
Styl seyn; denn er hat ganz das Prachtlose, das Einfältige, das Ehrwürdige, das
dieser Gattung von Anlagen zukommt, und interessirt zugleich durch die Erinnerung
an längst verflossene Jahrhunderte.

Wo es Lage und Gegend verstattet, da winde sich, nach allen diesen Scenen
der Melancholie, nach allen diesen labyrinthischen Gängen unter dunklen Schattenge-
wölben, in einsamen Haynen und finstern Gebüschen ein schmaler Pfad durch ein sich
immer mehr an Ernst verdüsterndes, immer mehr an Feyerlichkeit der Monumente

sich
*) v. Haller.

Siebenter Abſchnitt. Gaͤrten, deren Charakter
woͤhnlich es auch iſt, ſie aufzuſtellen, ſondern Erinnerungen an einen wahren Ver-
luſt. Kann hier nicht einem abgeſtorbenen frommen Freund eine Urne, ein Grabmal
geſetzt werden, das ſeine Aſche enthaͤlt? Wenn die Stille des Abends in den heiligen
Hayn winkt, und der Mond, der an dem Grabe ſchleicht, mit ſeiner bleichen Fackel
dieſe Inſchrift an einer nahen Eiche erhellt:
Mein Freund iſt hin!
Sein Schatten ſchwebt mir noch vor dem verwirrten Sinn.
Mich deucht, ich ſeh ſein Bild, ich hoͤre ſeine Worte;
Ihn aber haͤlt am ernſten Orte,
Die nichts zuruͤcke laͤßt,
Die Ewigkeit mit ſtarken Armen feſt. *)

wie reich an feyerlicher Ruͤhrung iſt nicht eine ſolche Scene! Auch Erinnerungen an
die Flucht der Zeit ſind hier ſchicklich. Eine kleine Einſiedeley, blos mit einem Stun-
denglas auf dem Tiſche, und hinter ihm mit dieſen Worten an der Wand:
En ruit hora, ruit ſic vita ruentibus horis;
Sors, quamcunque dabit, non mihi vana ruat.

kann ſchon lehrreich ruͤhren. Man moͤchte vielleicht Einſiedeleyen hier faſt fuͤr uͤber-
fluͤßig halten, weil ſchon das Hauptgebaͤude, die ganze Lebensart einſiedleriſch genug
iſt; indeſſen haben ſie doch in Kloſtergaͤrten eine Schicklichkeit, die ihnen an vielen
andern Orten fehlt, und koͤnnen, wenn ſie auch nicht zur Bewohnung dienen, doch als
Gegenſtaͤnde der Bezeichnung gelten, welche die Wirkung des Ganzen verſtaͤrken hel-
fen. Doch duͤrfen ſie weder einander durch ihre Lage beruͤhren, noch in einem einzelnen
Garten gehaͤuft werden, indem ſie ſonſt den Begriff der Einſamkeit durch die Vor-
ſtellung von Geſelligkeit aufheben wuͤrden. Zerbrochene Grabſteine, verfallenes Ge-
maͤuer von Epheu durchwachſen, und andere Arten von Ruinen finden hier, als Bilder
der Vergaͤnglichkeit, ihre Stelle. Die Gebaͤude eines Kloſtergartens, als Kapellen,
Gebeinhaͤuſer, Einſiedlerwohnungen, und ſelbſt die Ruinen muͤſſen im gothiſchen
Styl ſeyn; denn er hat ganz das Prachtloſe, das Einfaͤltige, das Ehrwuͤrdige, das
dieſer Gattung von Anlagen zukommt, und intereſſirt zugleich durch die Erinnerung
an laͤngſt verfloſſene Jahrhunderte.

Wo es Lage und Gegend verſtattet, da winde ſich, nach allen dieſen Scenen
der Melancholie, nach allen dieſen labyrinthiſchen Gaͤngen unter dunklen Schattenge-
woͤlben, in einſamen Haynen und finſtern Gebuͤſchen ein ſchmaler Pfad durch ein ſich
immer mehr an Ernſt verduͤſterndes, immer mehr an Feyerlichkeit der Monumente

ſich
*) v. Haller.
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[82/0090] Siebenter Abſchnitt. Gaͤrten, deren Charakter woͤhnlich es auch iſt, ſie aufzuſtellen, ſondern Erinnerungen an einen wahren Ver- luſt. Kann hier nicht einem abgeſtorbenen frommen Freund eine Urne, ein Grabmal geſetzt werden, das ſeine Aſche enthaͤlt? Wenn die Stille des Abends in den heiligen Hayn winkt, und der Mond, der an dem Grabe ſchleicht, mit ſeiner bleichen Fackel dieſe Inſchrift an einer nahen Eiche erhellt: Mein Freund iſt hin! Sein Schatten ſchwebt mir noch vor dem verwirrten Sinn. Mich deucht, ich ſeh ſein Bild, ich hoͤre ſeine Worte; Ihn aber haͤlt am ernſten Orte, Die nichts zuruͤcke laͤßt, Die Ewigkeit mit ſtarken Armen feſt. *) wie reich an feyerlicher Ruͤhrung iſt nicht eine ſolche Scene! Auch Erinnerungen an die Flucht der Zeit ſind hier ſchicklich. Eine kleine Einſiedeley, blos mit einem Stun- denglas auf dem Tiſche, und hinter ihm mit dieſen Worten an der Wand: En ruit hora, ruit ſic vita ruentibus horis; Sors, quamcunque dabit, non mihi vana ruat. kann ſchon lehrreich ruͤhren. Man moͤchte vielleicht Einſiedeleyen hier faſt fuͤr uͤber- fluͤßig halten, weil ſchon das Hauptgebaͤude, die ganze Lebensart einſiedleriſch genug iſt; indeſſen haben ſie doch in Kloſtergaͤrten eine Schicklichkeit, die ihnen an vielen andern Orten fehlt, und koͤnnen, wenn ſie auch nicht zur Bewohnung dienen, doch als Gegenſtaͤnde der Bezeichnung gelten, welche die Wirkung des Ganzen verſtaͤrken hel- fen. Doch duͤrfen ſie weder einander durch ihre Lage beruͤhren, noch in einem einzelnen Garten gehaͤuft werden, indem ſie ſonſt den Begriff der Einſamkeit durch die Vor- ſtellung von Geſelligkeit aufheben wuͤrden. Zerbrochene Grabſteine, verfallenes Ge- maͤuer von Epheu durchwachſen, und andere Arten von Ruinen finden hier, als Bilder der Vergaͤnglichkeit, ihre Stelle. Die Gebaͤude eines Kloſtergartens, als Kapellen, Gebeinhaͤuſer, Einſiedlerwohnungen, und ſelbſt die Ruinen muͤſſen im gothiſchen Styl ſeyn; denn er hat ganz das Prachtloſe, das Einfaͤltige, das Ehrwuͤrdige, das dieſer Gattung von Anlagen zukommt, und intereſſirt zugleich durch die Erinnerung an laͤngſt verfloſſene Jahrhunderte. Wo es Lage und Gegend verſtattet, da winde ſich, nach allen dieſen Scenen der Melancholie, nach allen dieſen labyrinthiſchen Gaͤngen unter dunklen Schattenge- woͤlben, in einſamen Haynen und finſtern Gebuͤſchen ein ſchmaler Pfad durch ein ſich immer mehr an Ernſt verduͤſterndes, immer mehr an Feyerlichkeit der Monumente ſich *) v. Haller.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/90>, abgerufen am 29.03.2024.