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Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822.

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Auch dieser Sorge wegen des Mangels der Spra¬
che, war daher Herr Tyß überhoben, doch nur, um
später in noch viel größere zu gerathen. Als nämlich
das Kind Peregrinus zum Knaben herangewachsen,
tüchtig lernen sollte, schien es, als ob ihm nur mit
der größten Mühe etwas beizubringen. Wunderbar
ging es mit dem Lesen und Schreiben wie mit dem
Sprechen; erst wollte es durchaus nicht gelingen und
dann konnt' er es mit einem Mal ganz vortrefflich und
über alle Erwartung. Später verließ indessen ein Hof¬
meister nach dem andern das Haus, nicht, weil der
Knabe ihnen mißbehagte, sondern weil sie sich in seine
Natur nicht finden konnten. Peregrinus war still,
sittig, fleißig und doch war an ein eigentliches syste¬
matisches Lernen, wie es die Hofmeister haben woll¬
ten, gar nicht zu denken, da er nur dafür Sinn
hatte, nur dem sich mit ganzer Seele hingab, was
gerade sein inneres Gemüth in Anspruch nahm, und
alles übrige spurlos bei sich vorübergehen ließ. Das,
was sein Gemüth ansprach, war nun aber alles Wun¬
derbare, alles was seine Fantasie erregte, in dem er
dann lebte und webte. -- So hatte er z. B. einst
einen Aufriß der Stadt Pecking mit allen Straßen,
Häusern u. s. w. der die ganze Wand seines Zimmers ein¬
nahm, zum Geschenk erhalten. Bei dem Anblick der

Auch dieſer Sorge wegen des Mangels der Spra¬
che, war daher Herr Tyß überhoben, doch nur, um
ſpäter in noch viel größere zu gerathen. Als nämlich
das Kind Peregrinus zum Knaben herangewachſen,
tüchtig lernen ſollte, ſchien es, als ob ihm nur mit
der größten Mühe etwas beizubringen. Wunderbar
ging es mit dem Leſen und Schreiben wie mit dem
Sprechen; erſt wollte es durchaus nicht gelingen und
dann konnt' er es mit einem Mal ganz vortrefflich und
über alle Erwartung. Später verließ indeſſen ein Hof¬
meiſter nach dem andern das Haus, nicht, weil der
Knabe ihnen mißbehagte, ſondern weil ſie ſich in ſeine
Natur nicht finden konnten. Peregrinus war ſtill,
ſittig, fleißig und doch war an ein eigentliches ſyſte¬
matiſches Lernen, wie es die Hofmeiſter haben woll¬
ten, gar nicht zu denken, da er nur dafür Sinn
hatte, nur dem ſich mit ganzer Seele hingab, was
gerade ſein inneres Gemüth in Anſpruch nahm, und
alles übrige ſpurlos bei ſich vorübergehen ließ. Das,
was ſein Gemüth anſprach, war nun aber alles Wun¬
derbare, alles was ſeine Fantaſie erregte, in dem er
dann lebte und webte. — So hatte er z. B. einſt
einen Aufriß der Stadt Pecking mit allen Straßen,
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[16/0021] Auch dieſer Sorge wegen des Mangels der Spra¬ che, war daher Herr Tyß überhoben, doch nur, um ſpäter in noch viel größere zu gerathen. Als nämlich das Kind Peregrinus zum Knaben herangewachſen, tüchtig lernen ſollte, ſchien es, als ob ihm nur mit der größten Mühe etwas beizubringen. Wunderbar ging es mit dem Leſen und Schreiben wie mit dem Sprechen; erſt wollte es durchaus nicht gelingen und dann konnt' er es mit einem Mal ganz vortrefflich und über alle Erwartung. Später verließ indeſſen ein Hof¬ meiſter nach dem andern das Haus, nicht, weil der Knabe ihnen mißbehagte, ſondern weil ſie ſich in ſeine Natur nicht finden konnten. Peregrinus war ſtill, ſittig, fleißig und doch war an ein eigentliches ſyſte¬ matiſches Lernen, wie es die Hofmeiſter haben woll¬ ten, gar nicht zu denken, da er nur dafür Sinn hatte, nur dem ſich mit ganzer Seele hingab, was gerade ſein inneres Gemüth in Anſpruch nahm, und alles übrige ſpurlos bei ſich vorübergehen ließ. Das, was ſein Gemüth anſprach, war nun aber alles Wun¬ derbare, alles was ſeine Fantaſie erregte, in dem er dann lebte und webte. — So hatte er z. B. einſt einen Aufriß der Stadt Pecking mit allen Straßen, Häuſern u. ſ. w. der die ganze Wand ſeines Zimmers ein¬ nahm, zum Geſchenk erhalten. Bei dem Anblick der

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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/21>, abgerufen am 28.03.2024.