Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.

Bild:
<< vorherige Seite


Vorrede.

ES giebet viel leute/ welche die
deutsche poesie so hoch erheben/ als
ob sie nach allen stücken vollkom-
men wäre; Hingegen hat es auch
andere/ welche sie gantz erniedri-
gen/ und nichts geschmacktes dar-
an finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren
vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die
ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem
eignen miste gewachsen: Also verachten die andern
alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich
hat. Summa: Es gehet ihnen/ wie den kleider-
narren/ deren etliche alles alte/ die andern alles
neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht
wissen/ was in einem oder dem andern gutes ste-
cket. Wir dürffen uns mit unsrer Poesie so klug
nicht düncken/ daß wir die ausländer dagegen ver-
kleinern wolten. Denn wir haben noch einen gros-
sen berg vor uns/ und werden noch lange klettern
müssen/ ehe wir auff den gipffel kommen/ auff wel-
chem von denen Griechen Homerus und Sopho-

cles,
a 4


Vorrede.

ES giebet viel leute/ welche die
deutſche poeſie ſo hoch erheben/ als
ob ſie nach allen ſtuͤcken vollkom-
men waͤre; Hingegen hat es auch
andere/ welche ſie gantz erniedri-
gen/ und nichts geſchmacktes dar-
an finden/ als die reimen. Beyde ſind von ihren
vorurtheilen ſehr eingenommen. Denn wie ſich die
erſten um nichts bekuͤmmern/ als was auff ihrem
eignen miſte gewachſen: Alſo verachten die andern
alles/ was nicht ſeinen urſprung aus Franckreich
hat. Summa: Es gehet ihnen/ wie den kleider-
narren/ deren etliche alles alte/ die andern alles
neue fuͤr zierlich halten; ungeachtet ſie ſelbſt nicht
wiſſen/ was in einem oder dem andern gutes ſte-
cket. Wir duͤrffen uns mit unſrer Poeſie ſo klug
nicht duͤncken/ daß wir die auslaͤnder dagegen ver-
kleinern wolten. Denn wir haben noch einen groſ-
ſen berg vor uns/ und werden noch lange klettern
muͤſſen/ ehe wir auff den gipffel kommen/ auff wel-
chem von denen Griechen Homerus und Sopho-

cles,
a 4
<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0013"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Vorrede.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>S giebet viel leute/ welche die<lb/>
deut&#x017F;che poe&#x017F;ie &#x017F;o hoch erheben/ als<lb/>
ob &#x017F;ie nach allen &#x017F;tu&#x0364;cken vollkom-<lb/>
men wa&#x0364;re; Hingegen hat es auch<lb/>
andere/ welche &#x017F;ie gantz erniedri-<lb/>
gen/ und nichts ge&#x017F;chmacktes dar-<lb/>
an finden/ als die reimen. Beyde &#x017F;ind von ihren<lb/>
vorurtheilen &#x017F;ehr eingenommen. Denn wie &#x017F;ich die<lb/>
er&#x017F;ten um nichts beku&#x0364;mmern/ als was auff ihrem<lb/>
eignen mi&#x017F;te gewach&#x017F;en: Al&#x017F;o verachten die andern<lb/>
alles/ was nicht &#x017F;einen ur&#x017F;prung aus Franckreich<lb/>
hat. Summa: Es gehet ihnen/ wie den kleider-<lb/>
narren/ deren etliche alles alte/ die andern alles<lb/>
neue fu&#x0364;r zierlich halten; ungeachtet &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t nicht<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en/ was in einem oder dem andern gutes &#x017F;te-<lb/>
cket. Wir du&#x0364;rffen uns mit un&#x017F;rer Poe&#x017F;ie &#x017F;o klug<lb/>
nicht du&#x0364;ncken/ daß wir die ausla&#x0364;nder dagegen ver-<lb/>
kleinern wolten. Denn wir haben noch einen gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en berg vor uns/ und werden noch lange klettern<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ ehe wir auff den gipffel kommen/ auff wel-<lb/>
chem von denen Griechen <hi rendition="#aq">Homerus</hi> und <hi rendition="#aq">Sopho-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">a 4</fw>
 <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">cles,</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0013] Vorrede. ES giebet viel leute/ welche die deutſche poeſie ſo hoch erheben/ als ob ſie nach allen ſtuͤcken vollkom- men waͤre; Hingegen hat es auch andere/ welche ſie gantz erniedri- gen/ und nichts geſchmacktes dar- an finden/ als die reimen. Beyde ſind von ihren vorurtheilen ſehr eingenommen. Denn wie ſich die erſten um nichts bekuͤmmern/ als was auff ihrem eignen miſte gewachſen: Alſo verachten die andern alles/ was nicht ſeinen urſprung aus Franckreich hat. Summa: Es gehet ihnen/ wie den kleider- narren/ deren etliche alles alte/ die andern alles neue fuͤr zierlich halten; ungeachtet ſie ſelbſt nicht wiſſen/ was in einem oder dem andern gutes ſte- cket. Wir duͤrffen uns mit unſrer Poeſie ſo klug nicht duͤncken/ daß wir die auslaͤnder dagegen ver- kleinern wolten. Denn wir haben noch einen groſ- ſen berg vor uns/ und werden noch lange klettern muͤſſen/ ehe wir auff den gipffel kommen/ auff wel- chem von denen Griechen Homerus und Sopho- cles, a 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Anmerkungen

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/13
Zitationshilfe: Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/13>, abgerufen am 28.03.2024.